30. Juli 2021, 4:53 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Ist Alkohol schädlich oder vielleicht sogar gesund? Die Studienlage ist hier nicht eindeutig. Wer zum Beispiel sein Krebsrisiko niedrig halten möchte, sollte lieber auf Wein und Co. verzichten. Dagegen zeigte eine neue Untersuchung, dass moderater Alkoholkonsum für Menschen mit Herzleiden positiv sein kann.
Für viele Menschen gehört Alkohol als Genussmittel zu ihrem Leben einfach dazu. Denn wie schädlich kann so ein Glas Wein am Tag zur Entspannung schon sein? Eine gute Nachricht: Für Menschen, die ein Herzleiden haben, ist moderater Alkoholkonsum womöglich nicht riskant, sondern sogar gesund. Offenbar vermindert sich mit einer kleinen Menge Alkohol am Tag das Risiko für eine erneute Herzattacke, einen Schlaganfall oder Angina pectoris (Schmerzen in der Brust, Brustenge). Das fanden nun Forscher in London heraus.
Übersicht
Dürfen Herzkranke Alkohol trinken?
Diverse frühere Studien deuten darauf hin, dass Wein einen gesundheitsfördernden Effekt haben könnte1,2,3,4. Doch wie verhält es sich bei Menschen, die bereits einen Herzinfarkt erlitten oder andere Herzschäden haben? Ist es für sie schädlich oder gesund, moderat Alkohol zu trinken? Diesen Fragen gingen nun die Forschenden des University College in London nach und veröffentlichten ihre Ergebnisse in „BMC Medicine“5.
Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Daten, die im Rahmen der UK Biobank Study erhoben wurden. Sie betrachteten 14.386 Herzpatienten – also Personen, die in der Vergangenheit bereits einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Angina pectoris erlitten hatten. Angereichert wurde die Datenbasis der Untersuchung durch frühere Studien, sodass die Forscher letztendlich die Daten von insgesamt 48.423 unter die Lupe nehmen konnten. Dabei richteten sie ihren Fokus auf Alkoholkonsum und seine Wirkung.
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Moderater Alkoholkonsum offenbar gesund bei Herzleiden
Tatsächlich zeigte sich bei der Analyse, dass herzkranke Menschen durchaus davon profitieren können, täglich ein bisschen Alkohol zu trinken. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, in der die Teilnehmer komplett auf Alkohol verzichteten, stellte sich heraus, dass bis zu 105 Gramm Alkohol pro Woche gesundheitsfördernd wirken. Das bedeutet, dass eine Flasche Wein oder ein Sixpack Bier mit mittlerem Alkoholgehalt pro Woche Herzkranke offenbar vor weiteren Herzattacken oder einem verfrühten Tod schützen kann.
Aber: Nur geringe Mengen Alkohol sind gut
105 Gramm sind weniger als die von der WHO (World Health Organization) empfohlenen Menge. Laut der Gesundheitsorganisation dürften Frauen und Männer bis zu 166 Gramm pro Woche konsumieren. Laut der aktuellen Studie sollten Herzkranke aber deutlich drunter bleiben. Am besten sei es für ihre Gesundheit, weniger als die Hälfte davon zu sich zu nehmen, also höchstens 80 Gramm pro Woche. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit Herzkrankheiten womöglich gar nicht aufhören müssen, Alkohol zu trinken, um weitere Herzattacken, Schlaganfälle oder Angina zu vermeiden“, erläutert Studienleiter Chengyi Ding in einer Pressemitteilung.6 „Aber sie sollten überlegen, die Alkoholmenge, die sie pro Woche konsumieren, zu senken.“
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Im Allgemeinen gilt trotzdem Vorsicht beim Alkohol
Obwohl die Ergebnisse der Londoner Studie eine gute Nachricht für Herzleidende sind, die gerne mal etwas Wein oder Bier trinken, wollen die Forschenden nicht grundsätzlich einen Freifahrschein für Alkoholkonsum aussprechen. Im Hinblick auf das Risiko, an Krebs zu erkranken, kann laut Studien auch bei moderatem Alkoholkonsum nicht von einem gesunden Effekt gesprochen werden.
Erhöht eine Flasche Wein pro Woche das Krebsrisiko?
Dass Rauchen der Gesundheit schadet, ist den meisten Menschen klar. Im Gegensatz dazu wird der mögliche Schaden für die Gesundheit durch Alkohol gemeinhin nicht richtig eingeschätzt. So leiten die Forschenden des University Hospital Southampton ihre Studie ein, die 2019 im Fachjournal „BioMed Central Public Health“ veröffentlicht wurde.7 Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten Daten aus dem „Health Survey for England“ untersucht, der jedes Jahr aktuelle Gesundheitsinformationen zur britischen Bevölkerung bereithält.
Für ihre Auswertung gingen die Forschenden von einem generellen Krebsrisiko für Männer und Frauen aus, das bei etwa 50 Prozent liegt. Zwischen Weiß- und Rotwein wurde für die Studie nicht unterschieden. Außerdem wiesen die Forschenden darauf hin, dass sich die Untersuchung auf einen relativ geringen Alkohol- und Zigarettenkonsum bezieht. Um ihre Ergebnisse auf andere Mengen übertragen zu können, legten sie für Alkohol Einheiten – „Units“ – fest. Eine Flasche Wein entsprach dabei zehn Einheiten, drei Flaschen waren mit 30 Einheiten gleichzusetzen.
Ab welchen Mengen wird Alkohol so schädlich wie 10 Zigaretten am Tag?
Die Auswertung ergab, dass von 1000 Nichtrauchern und Nichtraucherinnen, die pro Woche jeweils eine Flasche Wein (10 Einheiten) trinken, rund zehn Männer und sogar 14 Frauen irgendwann an Krebs erkranken werden. Wären es pro Kopf sogar drei Flaschen Wein (30 Einheiten) pro Woche, stiege die Zahl der erkrankten Männer auf 19 und die der Frauen sogar auf 36 an. Bezogen auf den gesundheitsschädigenden Effekt ist das in etwa genauso ungesund wie fünf Zigaretten am Tag für Männer und zehn für Frauen.
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Welche Krebsart wird durch Alkoholkonsum begünstigt?
Bei Frauen würde insbesondere das Risiko auf Brustkrebs steigen, heißt es. Dagegen würde der Genuss von Wein bei Männern die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung im Magen-Darm-Trakt erhöhen. Mit ihren Ergebnissen wollten die Forschenden darauf aufmerksam machen, dass auch moderater Alkoholkonsum als ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit angesehen werden sollte. Sie hoffen, damit zu einem gesundheitsbewussteren Lebensstil zu motivieren.
Die Auswirkung von Alkoholkonsum auf die Gesundheit war auch Gegenstand einer Studie der Universität Cambridge, FITBOOK berichtete. Dort kam heraus, dass bereits geringfügige Abweichungen von den offiziell von der britischen Regierung empfohlenen Höchstmenge an Wein – 91 Milliliter mit 11 Prozent Alkoholgehalt, also etwa ein halbes Glas – ein höheres Risiko auf Schlaganfall, Herzversagen und weitere lebensbedrohlichen Erkrankungen mit sich bringen.
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Fazit
Die Frage, ob (moderater) Alkoholkonsum nun gesund oder schädlich ist, lässt sich anhand der Studienlage nicht eindeutig beantworten. Während moderater Alkoholkonsum bei Herzkranken positiv wirken kann, erhöht er andererseits womöglich das Risiko, an Krebs zu erkranken. Wie bei allem macht auch hier vor allem die Menge das Gift. Und das ist Alkohol nun mal: ein Nervengift. Wer regelmäßig zu viel trinkt, läuft Gefahr, seiner Gesundheit extrem zu schaden. In großen Mengen kann Alkohol nachweislich krebserregend sein, die Leber schädigen, das Alzheimer- und Demenz-Risiko erhöhen, uns die Konzentration rauben und depressiv machen.8,9,10 Hin und wieder ein Glas Wein zu trinken, können sich Genussmenschen laut Studienlage jedoch guten Gewissens erlauben.
Daten von 350.000 Personen Studie widerlegt Mythos vom „gesunden“ moderaten Alkoholkonsum
Gesundheitliche Risiken Überraschendes Studienergebnis zu Alkoholkonsum bei Männern
Weltweit im Jahr 2020 740.000 neue Krebsfälle laut Studie auf Alkoholkonsum zurückzuführen
Quellen
- 1. Micallef, M. et al. Red wine consumption increases antioxidant status and decreases oxidative stress in the circulation of both young and old humans. Nutrition Journal (2007, aufgerufen am 29.7.2021)
- 2. Copetti, C. et al. Acute Consumption of Bordo Grape Juice and Wine Improves Serum Antioxidant Status in Healthy Individuals and Inhibits Reactive Oxygen Species Production in Human Neuron-Like Cells. Journal of Nutrition and Metabolism. (2018, aufgerufen am 29.7.2021)
- 3. Andrade, A. et al. Short-Term Red Wine Consumption Promotes Differential Effects on Plasma Levels of High-Density Lipoprotein Cholesterol, Sympathetic Activity, and Endothelial Function in Hypercholesterolemic, Hypertensive, and Healthy Subjects. Clinics. (2009, aufgerufen am 29.07.2021)
- 4. Giacosa, A. et al. Mediterranean Way of Drinking and Longevity. Critical rerviews in food science and nutrition. (2016, aufgerufen am 29.7.2021)
- 5. Ding C., O’Neill D., Bell S. et al. Association of alcohol consumption with morbidity and mortality in patients with cardiovascular disease: original data and meta-analysis of 48,423 men and women. BMC Medicine. (2021)
- 6. LaMotte S., Drinking a little each week protects your heart if you have a cardiovascular condition, study finds. CNN (2021)
- 7. Hydes TJ, Burton R., Inskip H. et al. A comparison of gender-linked population cancer risks between alcohol and tobacco: how many cigarettes are there in a bottle of wine? BMC Public Health. (2019, aufgerufen am 29.07.2021)
- 8. Massey, V.L. et al. Acute alcohol-induced liver injury. Frontiers in psychology. (2012, aufgerufen am 29.7.2021)
- 9. Fergusson, D.M. et al. Tests of causal links between alcohol abuse or dependence and major depression. Archives of general psychiatry. (2008, aufgerufen am 29.7.2021)
- 10. Turati, F. et al. Alcohol and liver cancer: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. Annals of oncology. (2014, aufgerufen am 29.7.2021)