23. Dezember 2021, 11:07 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Extrem selten und gar nicht lustig: Beim Eigenbrauer-Syndrom produzieren spezielle Hefepilze im Darm ihren eigenen Alkohol, sodass Erkrankte auch ohne Drinks betrunken werden.
Es gibt nur wenige dokumentierte Fälle dieser kuriosen Krankheit. Und wenn sie entdeckt wurden, dann meist nach Alkoholkontrollen im Straßenverkehr und dem daraus resultierenden langen Prozess zu beweisen, dass man eben nicht getrunken hat. Aber auch Minderjährige waren bereits davon betroffen. Dass es möglich ist, betrunken zu sein und mitunter eine Alkoholvergiftung zu erlangen, ohne einen Tropfen Alkohol angerührt zu haben, ist selbst für am Eigenbrauer-Syndroms Erkrankte kaum zu fassen. Und doch existiert dieses Phänomen. FITBOOK stellt Ursachen, Symptome, Behandlungsmöglichkeiten sowie zwei Fallbeispiele vor.
Übersicht
Was ist das Eigenbrauer-Syndrom und warum macht es betrunken?
Betroffene des Eigenbrauer-Syndroms leiden unter einem gestörten Mikrobiom im Darm. In ihrem Verdauungstrakt befinden sich Hefepilze, die in der Lage sind, Kohlehydrate in Ethanol, also Alkohol umzuwandeln. Dieser gelangt schließlich in den Blutkreislauf und entfaltet dort seine Wirkung. Der Körper „braut“ sich sozusagen klammheimlich seinen „Drink“ selbst – mit denselben Auswirkungen, als hätte man wirklich zu tief ins Glas geschaut. Besonders heftig fällt dementsprechend der Rausch aus, wenn viele stärke- und zuckerhaltige Lebensmittel gegessen werden. 1
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Symptome des Eigenbrauer-Syndroms
Ein Schub fühlt sich tatsächlich wie ein handfester Alkoholrausch an, mit gleichzeitigem Anstieg des Blutalkoholwerts. Neben betrunken sein gehören zu den Symptomen des Eigenbrauer-Syndroms:
- Ermüdung
- Schwindel
- undeutliches Sprechen
- Stimmungsschwankungen
- Delirium
- Koordinationsverlust
- Gedächtnisprobleme
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Erbrechen
- Orientierungslosigkeit
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Ursachen
Auch bei gesunden Menschen werden bei der Verdauung geringe Mengen Alkohol gebildet, was aber zum natürlichen Vorgang gehört. Bei Betroffenen ist dieser Prozess allerdings aus den Fugen geraten. Es wird vermutet, dass ein hoher Verbrauch von Antibiotika das Gleichgewicht des Mikrobioms derart stören kann, dass es zu einem übermäßigen Wachstum der Alkohol-produzierenden Hefepilze kommt. Außerdem können eine extrem ungesunde Lebensweise sowie Vorerkrankungen wie
- Diabetes
- Adipositasbedingte Lebererkrankung
- Morbus Chrohn
- Kurzdarmsyndrom
- ein geschwächtes Immunsystem oder eine Autoimmunerkrankung
die Entstehung des Eigenbrauer-Syndroms begünstigen.2
Diagnose
Die Diagnose ist recht unkompliziert: Der Patient bekommt eine kohlenhydratreiche Mahlzeit, nach einigen Stunden wird der Blutalkoholspiegel überprüft. Menschen, die kein Eigenbrauerei-Syndrom haben, haben einen fast nicht nachweisbaren Blutalkoholspiegel. Ein extremer Anstieg kann daher darauf hinweisen. Ärzte können zusätzliche Blut- und Urintests durchführen, um mögliche andere Erkrankungen auszuschließen, die ihre Symptome erklären könnten. Allerdings ist die Krankheit so selten und erst seit den 1950ern bekannt, dass es mitunter lange dauert, bis Experten sie in Betracht ziehen. Denn ein bekanntes Phänomen von Alkoholismus ist, seine Sucht zu leugnen und zu verstecken. Außerdem wird vermutet, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt.1
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Behandlungsmöglichkeiten
Da es die Kohlenhydrate sind, die Betroffene des Eigenbrauer-Syndroms betrunken machen, bedarf es einer radikalen Ernährungsumstellung. Weißmehl, weißer Reis, Zucker, Gebäck und Kuchen sind tabu. Auch gibt es bestimmte Medikamente, die die Menge an Pilzen im Darm reduzieren. Ebenso können probiotische Nahrungsergänzungsmittel helfen, das Mikrobiom wieder in Balance zu bringen, indem sie nützliche Bakterien einführen und so das Pilzwachstum hemmen.3
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Zwei Fallbeispiele
2019 erschien ein Fallbericht eines Mannes, der immer wieder wegen Trunkenheit am Steuer erwischt wurde. Er lehnte eine Alkoholanalyse ab und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Sein anfänglicher Blutalkoholspiegel betrug 200 mg/dl. Das Krankenhauspersonal und die Polizei weigerten sich, ihm zu glauben, als er wiederholt Alkoholkonsum leugnete. Erst viele Jahre und einige Festnahmen später, entdeckten Ärzte, was wirklich mit ihm los war. 4
Ein anderer Fall betraf ein 13-jähriges Mädchen, das verhaltensauffällig wurde und oft stark alkoholisiert erschien und sogar Vergiftungssymptome zeigte. Sie wurde als „problematische Jugendliche“ in eine Reha eingewiesen, doch sie blieb betrunken. Erst nach und nach kamen die Experten dahinter, dass das Mädchen am Eigenbrauer-Syndrom erkrankt ist und ihre ausgesprochene Liebe zu Fruchtsäften mit den heftigen Symptomen in Verbindung stand. 5
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Quellen
- Maler, K, Cordell. B.J, Sticco, K.L. (aktualisiert 21. September 2021) Auto-Brewery-Syndrome. StatPearls. Treasure Island (FL).
- Cordell, B.J., Kanodia, A., Miller, G.K. (2019). Case-Control Research Study of Auto-Brewery Syndrome. Glob Adv Health Med.
- Malik F, Wickremesinghe P, Saleem A. Auto-Brewery Syndrome (2021): A Schematic for Diagnosis and Appropriate Treatment. Practical Gastroenterology.
- Malik, F., Wickremesinghe, P., Saverimuttu, J. (2019). Case report and literature review of auto-brewery syndrome: probably an underdiagnosed medical condition.BMJ Open Gastroenterology.
- Dahshan, A., Donovan, K. (2001). Auto-Brewery Syndrome in a Child With Short Gut Syndrome: Case Report and Review of the Literature, Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition.