20. August 2019, 11:41 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Manche Lebensmittelunverträglichkeiten sind schwer zu untersuchen – zum Leid von Patienten, die ihren Magen-Darm-Beschwerden zu gerne medikamentös und/oder mit entsprechender Ernährung begegnen würden. Und in einigen Fällen sollten sie das auch unbedingt tun, um eine krankhafte Weiterentwicklung ihrer Symptome zu verhindern. Für sie gibt es jetzt Hoffnung: dank einer speziellen Untersuchungsmethode, die genau da ansetzt, wo sich die Beschwerden darstellen.
Eine Zöliakie, also eine Glutenunverträglichkeit, ist eine relativ klare Angelegenheit, auf die bereits eine Blutuntersuchung Hinweise gibt. Das erklärt uns Privat-Dozent Dr. Güldütuna, Facharzt für Gastroenterologie, in seiner Praxis in Frankfurt am Main. „Manche Menschen leiden aber an einer weniger ausgeprägten Unverträglichkeit auf Gluten, der Glutensensitivität, die ebenfalls Beschwerden bereitet. Diese konnte man lange nicht nachweisen, es gab dafür keine laborchemischen Methoden“, wie der Experte sich erinnert.
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Doch nicht nur Gluten(-empfindlichkeit) kann bei manchen Menschen ungewünschte Magen-Darm-Reaktionen hervorrufen. Diese können von Blähungen über Schmerzen bis hin zu Verstopfung oder Durchfall reichen. Die Betroffenen würden die kritischen Speisen und Getränke meiden, wenn sie wüssten, welche es sind. Oftmals handelt es sich um solche Stoffe, die in Verschiedenem enthalten sind (beispielsweise Weizen, Kuhmilch, Hefe und Soja) und deshalb unbewusst aufgenommen werden.
„Der Arzt erklärt uns den Unterschied zwischen IgE- und IgG-vermittelten Lebensmittelunverträglichkeiten. Von IgE-vermittelten wüssten die Betroffenen in der Regel. Dabei handelt es sich beispielsweise um Nuss- oder Meeresfrüchteallergien, die sich mit geschwollenen Lippen, Atemnot oder dramatischeren Symptomen wie einem anaphylaktischen Schock zeigen. Diese kann man auch im Blut nachweisen – anders als IgG-vermittelte Unverträglichkeiten, die grundsätzlich mit eher unspezifischen Symptomen einhergehen. Das erschwert es, einen gesicherten Befund zu stellen.“–
Wenn ihre Beschwerden in den gängigen Untersuchungen (Magen- und Darmspiegelung, Ultraschall, Kernspintomographie) auf keine konkrete Ursache zurückgeführt werden konnten, werden jene Patienten gerne mit der Diagnose Reizdarm abgespeist, sagt uns der Fachmann. Das Problem: Das Krankheitsbild eines Reizdarms kann verschiedenste Auslöser haben. Umso wertvoller ist eine neue Untersuchungsmethode, mit der Dr. Güldütuna seit einigen Monaten arbeitet. Die Endoskopische Mikroskopie, in Fachkreisen konfokale Laserendomikroskopie (CLE) genannt, setzt genau da an, wo die Beschwerden im Gang sind: im Darm.
So läuft die Untersuchung ab
Schon beim Anamnese-Gespräch, also im Vorfeld des Laserendomikroskopie-Termins, füllt der Patient einen ausführlichen Fragebogen zu seinen Beschwerden aus. Am Tag der Untersuchung erscheint er nüchtern und bekommt ein Betäubungsmittel gespritzt, das ihn in einen Dämmerschlaf versetzt. Zusätzlich wird ihm ein sogenannter Fluoreszenzmarker verabreicht. Wie der Arzt uns erklärt, handelt es sich dabei um eine Art Farbstoff, der auch bei verschiedenen augenärztlichen Untersuchungen verwendet wird.
Es wird eine Sonde mit Kamera über die Speiseröhre in den Zwölffingerdarm eingeführt, welche die Bilder aus dem Inneren des Körpers auf Bildschirme projiziert. Dann werden die allergieverdächtigen Nahrungsmittel direkt auf das Gewebe aufgetragen, in löslicher Form. „Das wären dann zwei Gramm Weizen auf 20 Milliliter Flüssigkeit“, veranschaulicht Dr. Güldütuna. Danach wird per Laser die Schleimhaut gescannt und beobachtet, ob nach Zugabe der jeweiligen Lebensmittel etwas passiert. Der behandelnde Arzt kann die Reaktionen auf Bildschirmen in tausendfacher Vergrößerung nachvollziehen.
Maximal vier Lebensmittel auf einmal testbar
Bei der Auswertung geben bestimmte Kriterien dem Fachmann Aufschluss darüber, ob und wie (stark) das Gewebe auf den Stoff reagiert. Dieser Prozess dauert etwa zehn Minuten. Pro Untersuchung können maximal vier Lebensmittel überprüft werden. Bei einer leichten Reaktion verfährt man laut Dr. Güldütuna in der Regel so, dass die Substanz ausgespült und das Gewebe kurz gereinigt wird, so dass man die Untersuchung fortsetzen kann. Kommt es zu einem starken Ausschlag, sind andere Substanzen am selben Tag nicht mehr testbar.
Für den Patienten ist die etwa dreiviertelstündige Untersuchung schmerzfrei. Im Anschluss kann er (idealerweise mit einer Begleitperson, aufgrund möglicher Geschwächtheit durch das Betäubungsmittel) wieder nach Hause gehen.
Deutschlandweit gibt es bislang nur elf Medizinzentren, die eine konfokale Laserendomikroskopie anbieten. Im niedergelassenen Bereich ist Dr. Güldütuna europaweit noch der Erste. Entwickelt wurde die Technik von einem Wissenschaftlerteam um Frau Prof. Annette Fritscher-Ravens von der Universität Kiel, wie der Frankfurter Gastroenterologe uns erklärt. Genaueres dazu hat sie damals im Fachblatt „Gastroenterology“ veröffentlicht.
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Wichtig für die Krebsvorsorge
Die Endoskopische Mikroskopie hat verschiedene unschätzbare Vorteile, wie Dr. Güldütuna uns sagt. Mit dem Gerät kann man über Unverträglichkeitsreaktionen hinaus feststellen, ob am Gewebe krankhafte Veränderungen (Dysplasien) stattgefunden haben – und zwar doppelt so gut wie bei anderen Untersuchungsmethoden.
Besonders revolutionär sei die Erfindung deshalb im Bereich der Refluxkrankheit, bei der Magensäure in den Speiseröhreneingang zurückfließt. Dies führt mit der Zeit zu Reizungen, die sich zu einer weiteren Krankheitsstufe entwickeln können: dem Barrett-Ösophagus (chronisch-entzündliche Veränderung am Gewebe, aus der Krebs entstehen kann). In Amerika sei es bereits Routine, den Krankheitsverlauf von Barrett-Patienten mit diesem Verfahren zu überprüfen. Die Gesetzeslage erlaube es dort, vorhandene Dysplasien schon während der Untersuchung zu entfernen. In Deutschland müsse man die Betroffenen zunächst aufklären und einen neuen Termin für den Eingriff vereinbaren. In jedem Fall sei es extrem wichtig, eine Barrett-Erkrankung engmaschig und vor allem gründlich zu untersuchen. „Innerhalb eines Jahres können jene Dysplasien zu einem Krebs werden“, warnt der Arzt. Das sei auch der Hauptgrund, weshalb er die Endoskopische Mikroskopie in sein Diagnostik-Angebot aufgenommen hat.
Reizdarm-Patienten finden übrigens auf der Seite https://reizdarmselbsthilfe.org/ die derzeit größte Datenbank an Kliniken, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Betroffene.