6. Januar 2021, 12:14 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Erst nach der zweiten Impfung bietet das Serum von Pfizer/Biontech vollen Immunschutz gegen Corona. Das Mittel ist jedoch knapp. Eine Vorschlag ist daher: die zweite Spritze aufschieben und in der Zwischenzeit mehr andere Menschen impfen. Doch diese Idee polarisiert.
Um zumindest einen gewissen Schutz gegen Corona zu haben, könnten möglichst viele Menschen zunächst die erste Dosis des Impfstoffs bekommen. Die zweite Impfung bzw. Dosis käme dann später als vorgesehen dran. So lautet zumindest ein aktueller Vorschlag der Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Aber kann ein solches Vorgehen wirklich in Frage kommen?
Beweggründe, die zweite Corona-Impfung später zu geben
Zum Hintergrund: Seit Ende Dezember bekommen bestimmte Bevölkerungsgruppen in Deutschland den Impfstoff „Comirnaty“ von BioNTech und Pfizer injiziert. Damit das Mittel viel Schutz gegen Corona bietet, muss nach etwa zwei bis drei Wochen eine zweite Impfung stattfinden.
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Denkbar wäre nun also, die zweite Impfung gegen Corona deutlich später vorzunehmen. Dadurch könnten mehr Menschen eine erste Dosis bekommen – und damit zumindest einen gewissen Schutz vor Covid-19, so die Hoffnung. In Großbritannien hatte der zuständige Impfstoff-Ausschuss empfohlen, vorerst möglichst vielen Menschen nur die erste Dosis zu geben. Die zweite Impfung könne zwölf Wochen nach der ersten Spritze gegen Corona folgen.
Vorschlag muss geprüft werden
Es liegt nun bei der Ständigen Impfkommission (STIKO), vorliegende Daten und Studien zu einer solchen Praxis zu sichten, auszuwerten und eine Empfehlung in dieser Frage abzugeben. Denn: „Eine solche Entscheidung in Abweichung von der Zulassung bedarf einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung und Abwägung“, heißt es in einem BMG-Papier.
Da in Deutschland erst Ende Dezember mit dem Impfen begonnen wurde, ist bislang nicht bekannt, dass jemand regulär bereits die zweite Impfung gegen Corona bekommen hätte. Empfohlen ist laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur, die zweite Dosis „mindestens 21 Tage“ nach der ersten zu spritzen. Die WHO empfiehlt einen Abstand von 21 bis 28 Tagen.
In der entscheidenden Phase-III-Studie zu Comirnaty mit rund 36.000 Teilnehmern hat laut BioNTech die Mehrheit der Probanden „die zweite Impfstoffdosis wie im Studienprotokoll vorgeschrieben“ bekommen – also nach 21 Tagen. Den Ergebnissen zufolge hat der Impfstoff sieben Tage nach der zweiten Dosis eine Wirksamkeit von 95 Prozent entfaltet. Das bedeutet, dass unter den Probanden der geimpften Gruppe 95 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als unter denen einer Kontrollgruppe.
Wirkweise des Impfstoffs
Bei der Impfung mit Comirnaty werden die Körperzellen angeregt, einen bestimmten Virus-Baustein selbst herzustellen. Dieser Baustein gaukelt dem Körper eine Infektion vor, das Immunsystem wird aktiviert und bildet beispielsweise Antikörper. Allerdings sei diese Reaktion nach der ersten Dosis noch nicht besonders ausgeprägt. Das erklärt Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI). Erst nach der zweiten kommt es zu einem sogenannten Boost-Effekt: Das Immunsystem springt an und ist gegenüber einer spätere Infektion mit Sars-CoV-2 gerüstet.
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Wie viel Schutz bietet die erste Dosis?
Schiebt man die zweite Corona-Impfung nach hinten, ist erstmal mehr Impfstoff da, um mehr Menschen die erste Spritze zu setzen. Die Hoffnung ist, dass diese allein schon einen gewissen Schutz bietet. So weist etwa die Gesellschaft für Immunologie darauf hin, „dass bereits die erste Impfung ab Tag 14 einen beträchtlichen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bieten kann“. Es dürfe zwar nicht auf die zweite Dosis verzichtet werden, aber: „In dieser besonderen Pandemielage ist es vertretbar, mit den jetzt vorhandenen Impfdosen möglichst vielen Menschen erst einmal die erste Immunisierung zu ermöglichen, und die zweite Impfung verzögert, aber zwingend innerhalb von 60 Tagen, nachzuholen.“
Tatsächlich wurden Details über den Impfschutz nach der ersten Spritze noch nicht genauer erforscht. „Die Studie war nicht darauf ausgerichtet, die Wirksamkeit des Impfstoffs bei nur einer Dosis zu untersuchen.“ So steht es in der Fachpublikation zur Phase-III-Studie im „New England Journal of Medicine“. Die Autoren schreiben aber auch: „Nichtsdestotrotz lag die beobachtete Wirksamkeit in der Zeitspanne zwischen der ersten und der zweiten Dosis bei 52 Prozent.“
Was dagegen sprechen könnte, die zweite Corona-Impfung aufzuschieben
Insgesamt gilt die Datenlage als recht schwach. Es fehle eine Studie mit Zehntausenden Probanden, um die Dauer und Stärke der Schutzwirkung nach nur einer Dosis korrekt beurteilen zu können. Die Angaben zu einer Wirksamkeit von 52 Prozent nach nur einer Spritze bezeichnet er aufgrund der geringen Anzahl der aufgetretenen Covid-19-Erkrankungen in der Studie als „nicht sehr zuverlässig“. Zudem sei unklar, wie lange man die zweite Dosis aufschieben könne, um damit noch einen Boost-Effekt zu erreichen.
Biontech weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass in der Phase-III-Studie Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs nur für den Fall untersucht wurden, dass die zweite Dosis 21 Tage nach der ersten erfolgt. „Auch wenn Daten aus der Studie gezeigt haben, dass ein gewisser Schutz auch schon 12 Tage nach der ersten Impfung besteht, gibt es bisher keine Daten, dass ein Schutz nach der ersten Dosis auch über 21 Tage hinaus erhalten bleibt.“
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Änderung der Zulassung wäre nötig
Für Corona-Impfstoffe in der EU ist die EMA in Amsterdam zuständig. In einer Mail weist die Behörde darauf hin, dass die Empfehlungen zum Ablauf der Impfung auf Daten der Phase-III-Studie beruhen. In dieser Studie habe der Abstand zwischen den beiden Dosen maximal 42 Tage betragen. Würde der Abstand etwa auf sechs Monate vergrößert werden, „würde das eine Änderung der Bedingten Marktzulassung sowie mehr klinische Daten“ notwendig machen. Bislang gebe es keine Daten, die zeigen, dass es einen Schutz nach der ersten Dosis gibt, der über zwei bis drei Wochen hinausgeht.
Das EMA-Pendant in den USA, die FDA, warnt davor, von der vorgeschriebenen Verabreichung der zwei Dosen abzuweichen. Mögliche Veränderungen in diesem Vorgehen wie die Reduzierung der Dosen oder die Verlängerung der Intervalle könnten eine Gefahr für das öffentliche Gesundheitswesen darstellen. Änderungen könnten erst erwogen werden, wenn es dazu wissenschaftlich fundierte Daten gebe.
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Besteht das Risiko einer Resistenz-Entwicklung
Das hält Experte Ulbert für „extrem unwahrscheinlich“. Befürchtungen in diese Richtung beruhen seiner Einschätzung nach auf Erfahrungen bei Antibiotika. Gegen diese Stoffe können Bakterien vergleichsweise einfach Resistenzen bilden, indem sie genau die Stelle eines Proteins verändern, an der das Medikament angreift. Bei den Corona-Impfstoffen sei die Lage aber eine andere. Die vom Körper gebildeten Corona-Antikörper seien sehr vielfältig und bänden das Virus an vielen unterschiedlichen Stellen. Um den Impfstoff unwirksam zu machen, müsste das Virus sich an allen diesen Stellen wandeln.