26. März 2020, 4:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Überall auf der Welt werden (teils drastische) Maßnahmen ergriffen, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Auch in Deutschland hat dies zu gravierenden Einschränkungen im Alltag geführt – und diese mitunter zu Kritik. Dabei wird bisweilen auf die Grippewelle 2017/2018 verwiesen, die in Deutschland 25.100 Todesopfer gefordert hat. Damals herrschte in der Öffentlichkeit trotz hoher Opferzahlen nur wenig Aufregung. Warum wurde von der Politik zu der Zeit kaum etwas unternommen, um das Virus zu stoppen? FITBOOK erklärt den Unterschied zwischen der Corona-Pandemie heute und der Grippewelle 2017/18.
Deutschland hat Angst vor Corona. So sehr, dass ein Großteil der Bevölkerung die von der Regierung beschlossenen verschärften Maßnahmen akzeptiert zu haben scheint. Insgesamt verläuft die Corona-Krise in Deutschland angesichts der geringen Sterberate aktuell relativ glimpflich. Und vergleicht man die Lage zurzeit mit der Grippewelle 2017/18, so ist der Unterschied sogar noch deutlicher: Damals starben mehr als 25.100 Menschen an der Influenza. An den Folgen von Corona sind bislang rund 20.000 Menschen (Stand: 25.03.2020) gestorben – weltweit!
Noch immer unterschätzen viele Covid-19
Der Verweis auf die Grippewelle 2017/18 ist für einige Menschen offenbar auch ein Grund, die aktuelle Pandemie und Aufregung um das Coronavirus nicht ganz so ernst zu nehmen. Im privaten Umfeld oder in der Supermarktschlange gibt es immer mal einen, der die neuen Abstandsregeln übertrieben findet und Covid-19 mit einem „Schnupfen“ vergleicht.
Natürlich ist mit Panik niemandem geholfen. Klar ist aber auch: Unterschätzen sollte man die aktuelle Lage auf keinen Fall! Um sie realistisch einordnen zu können, auch im Vergleich zur Grippewelle 2017/18, hat FITBOOK Experten um ihre Einschätzung gebeten.
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Warum wurde während der Grippewelle 2017/18 nicht Alarm geschlagen?
In erster Linie habe damals weniger mediales Interesse bestanden, erklärt uns Frau Prof. Dr. Constanze Wendt, Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Hygiene und Umweltmedizin. Weiterhin vermutet sie, dass sich damals auch bewusst mit Warnungen etwas bedeckt gehalten wurde. Dies könne an den Erfahrungen mit der Schweinegrippe (2009/2010) liegen. Auch hier hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Pandemie-Fall ausgerufen. Rückblickend jedoch hatte sich die Krankheitswelle aber als weniger dramatisch dargestellt.
Prof. Dr. Stephan Ludwig (Universitätsprofessor am Münsteraner Institut für Molekulare Virologie) gibt einen weiteren entscheidenden Punkt zu bedenken: Bei der Grippewelle 2017/2018 hatte man es mit einer gesamten Wintersaison zu tun, „das ist kein großes Problem für unser Gesundheitssystem“. Auch sei es nicht wahr, dass vor der Grippe nicht gewarnt würde. Es werde jedes Jahr mit Impfaufrufen der Versuch unternommen, Infektionen zu reduzieren. „Viele Bürger hören aber lieber auf verblendete Impfgegner als auf die Fachleute!“
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Wie ansteckend war die Influenza 2017/2018?
Corona 2020 und Grippewelle 2017/18: Die Sterberate in den Altersgruppen
„Todesfälle durch Covid-19 betreffen meist die ältere Bevölkerung. Bei Influenza gehören auch kleine Kinder zur Risikogruppe, bei Covid-19 nicht“, fasst Prof. Ludwig zusammen. Aber: „Auch an Covid-19 erkranken mehr und mehr jüngere Menschen!“ Corona-Partys oder gemeinsames Angrillen würde der Experte also keineswegs empfehlen, selbst wenn es noch nicht bereits verboten wäre.
Der Vergleich zwischen der Corona-Pandemie und der Influenza hinke aber ohnehin, findet er. „Wenn man hier vergleichen will, muss man bestätigte Fälle mit bestätigten Fällen vergleichen. In der aktuellen Influenza-Saison waren etwas mehr als 100.000 Menschen daran erkrankt, davon sind bislang etwa 200 gestorben“, so Prof. Ludwig. Die Zahl umfasse allerdings die gesamte Grippesaison und nicht wenige Wochen.
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Könnte die Dunkelziffer an Corona-Toten sehr viel höher liegen?
Es ist natürlich davon auszugehen, dass noch um einiges mehr Menschen an Corona erkrankt bzw. vielleicht sogar gestorben sind als offiziell bestätigt. Das räumt auch Herr Prof. Ludwig ein.
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Frau Prof. Wendt sieht beim Vergleich der Fallzahlen der aktuellen Corona-Pandemie und der Grippewelle 2017/18 ein ganz anderes Problem: Die Patienten, die damals an der Influenza gestorben sind – und somit auch in die Statistik einzahlen –, wurden für gewöhnlich erst dann mit dem Virus diagnostiziert, als sie beispielsweise in die Klinik kamen und es ihnen folglich bereits sehr schlecht ging.
Für die Grippe hatten Ärzte damals keine Testpflicht. „Es hat also auch während der Grippe-Welle 2017/18 viele mildere Verläufe gegeben. Erkrankte, die wegen ihrer Beschwerden krankgeschrieben wurden und ein paar Tage oder Wochen zu Hause blieben, bis sie wieder gesund waren“, versichert sie im Gespräch mit FITBOOK. Heißt: Damals war auch die Dunkelziffer der Genesenen sehr hoch.
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Fazit
Dass wegen des Corona-Virus „Alarm“ geschlagen wird, erklärt uns Fachärztin Wendt mit der Neuartigkeit des Typus SARS-CoV-2. „Gegen die Grippe gibt es innerhalb der Bevölkerung immer mal Immune, die geimpft sind oder bereits eine Erkrankung durchgemacht haben“, sagt sie uns. „Gegenüber Corona sind wir hingegen alle empfindlich“.Das macht wohl den entscheidenden Unterschied aus – und die Corona-Pandemie so beunruhigend.