22. April 2020, 13:45 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Corona-Infizierte können andere Menschen anstecken, wenn sich bei ihnen noch keine Symptome gezeigt haben oder sie bereits offiziell genesen sind – das haben die meisten von uns so oder so ähnlich schon gehört. Nur ab wann und bis wann ist man eigentlich ansteckend? Die Forschung läuft, um diesen kritischen Zeitraum der Infektiosität noch genauer zu definieren. Einige Ergebnisse gibt es bereits.
Je mehr Daten von Patientenfällen der Forschung zur Verfügung stehen, desto besser lernt sie es, den Erreger SARS-CoV-2 und die Covid-19-Erkrankung zu verstehen. Im Fokus steht dabei u.a. die Frage, wie sehr und ab wann Corona-Infizierte ansteckend sind, sprich eine Gefahr für andere Menschen darstellen.
Studie zu Virusvermehrung im Moment der Infektion
Charité-Chef-Virologe Prof. Dr. Christian Drosten weiß um die Erkenntnisse aus der Forschung; manche davon wurden unter seiner Leitung gewonnen. In einer Ausgabe des „Corona Update“-Podcasts beim NDR Ende März berichtete er von einer aktuellen Studie aus Hongkong. 96 Fälle seien analysiert und dabei die gleichen Beobachtungen gemacht worden wie durch seines eigenes Team im Rahmen einer kleineren Untersuchung vor einigen Wochen: dass das Virus sich unmittelbar nach der Infektion vervielfacht.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 sei „in den allerfrühesten Abstrichen schon so hoch nachweisbar“, berichtet Drosten, dass es bereits in den ersten beiden Tagen danach in Abstrichen „auf dem absteigenden Ast ist. Das heißt, der Gipfel des Virus muss schon vor dem ersten Tag liegen.“ Mit jedem folgenden Abstrich würde das Viren-Vorkommen weniger.
Nur – was bedeutet das für Infektiosität?
Im selben Kontext habe die Forscher-Gruppe untersucht, ab welchem Zeitpunkt Corona-Infizierte ansteckend sind. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Guangdong betrachteten sie Fälle von Personenpaaren, von denen ein Teil den anderen angesteckt hat.
Im Fokus habe gestanden, wie viel Zeit zwischen Symptombeginn bei der einen und Symptombeginn bei der anderen betroffenen Person vergangen ist. Dieser Zeitraum, laut Drosten in der Fachsprache Serienlänge („Serial Interval“) genannt, habe dabei relativ genau bestimmt werden können: mit einem Mittelwert von 5,2 bis 5,8 Tagen.
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Quasi sofort sind Corona-Infizierte ansteckend
Prof. Drosten hat diese neuen Zahlen mit denen aus einer vorangegangenen, „sehr gut gemachten Studie“ derselben Uni verglichen. Dabei ging es um die Inkubationszeit, also die Dauer zwischen Infektion und erstem Auftreten von Symptomen bzw. Ausbruch der Krankheit. Sie definierte eine mittlere Inkubationszeit von 5,2 Tagen.
„Das ist natürlich interessant“, sagt der Fachmann im NDR-Podcast, „denn wir haben hier ein Phänomen, wo praktisch das Serienintervall, die Serienlänge, fast genau so lang ist wie die Inkubationszeit.“
Folglich warte ein Patient im Schnitt nach Infektion genauso lang auf Symptome wie die Person, die er angesteckt hat. Er könnte seine eigene Infektion also ganz unmittelbar danach weitergegeben haben.
So ist es bei fast der Hälfte der Infizierten
Wie Drosten erklärt, lässt sich anhand der Wahrscheinlichkeitsverteilung der vorliegenden Daten ein Häufigkeitsgipfel bei der Infektiosität ausrechnen. „Und die sogenannte Area under the curve, also der Bereich, der von dieser Wahrscheinlichkeitskurve abgedeckt wird, vor dem Symptombeginn, ist 44 Prozent. Das heißt, man kann davon ausgehen, 44 Prozent aller Infektionsereignisse haben stattgefunden, bevor der Infizierende überhaupt krank war.“
Vor diesem Hintergrund machen die aktuellen Abstandregeln (= man soll zu Personen, die nicht demselben Hausstand angehören, mindestens 1,5 Meter Abstand halten) natürlich umso mehr Sinn. Von offensichtlich Kranken würden sich die meisten automatisch fernhalten. Offenbar sind/waren sie aber auch schon weit vorher infektiös – bzw. sogar weitaus infektiöser.
Wann ist man besonders ansteckend und wie lange?
„Der Gipfel der Infektionstätigkeit, also der infektiöseste Tag im Krankheitsverlauf, ist der Tag vor Symptombeginn im Mittel aller Patienten. Das ist eine Sache, die man sich aufschreiben kann“, macht Prof. Drosten am 20. April 2020 im NDR-Podcast klar, als er erneut auf die Studie aus Hongkong (mittlerweile in „Nature Medicine“ erschienen) zu sprechen kommt. „Schon am Tag vor Symptombeginn sind die Patienten am meisten infektiös. Dann ist es auch so, dass die allermeiste Infektionstätigkeit nach vier Tagen von Symptomen schon vorbei ist. Wenn jemand vier Tage Symptome hatte, ist er fast nicht mehr infektiös. Und nach einer Woche Symptomatik ist er nicht mehr infektiös.“
Eine Studie von Januar 2021, veröffentlicht auf der Website der britischen Regierung, kommt neun Monate später zu einem anderen Schluss. Im Rahmen der Forschung hatte „Public Health England“ regelmäßig zehntausende Arbeitnehmer aus dem Gesundheitssektor auf Covid-19-Infektionen und Antikörper getestet. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten Menschen, die eine Infektion hinter sich hatten, noch mindestens fünf Monate lang immun waren. Die Studie fand jedoch Hinweise darauf, dass genesene Patienten mit Antikörper weiterhin eine hohe Viruslast in sich tragen würden und andere Menschen damit infizieren könnten. Daher sollten auch vorläufig immune Personen weiterhin alle Vorsichtsmaßnahmen, wie einen Mund- und Nasenschutz, Abstand von mindestens 1,5 Metern und regelmäßiges Händewaschen, befolgen.
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Alle aktuellen Erkenntnisse unter Vorbehalt
Virologie-Professor Drosten mahnt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aktuell besonders schnell an die Öffentlichkeit kämen. Normalerweise müssten diesem Schritt Begutachtungsprozesse vorausgehen, die Wochen bis Monate in Anspruch nehmen können. Doch dafür fehlen im Moment Zeit und vermutlich auch Kapazitäten.
Im Moment gehe es also „manchmal von einem Wissenschaftler zur Zeitschrift“, ohne Umwege. Es sei daher nicht ungewöhnlich, dass nach einer Weile – wenn aktualisierte Erkenntnisse gewonnen wurden – entsprechende Anpassungen nötig sind. Es könnte also auch sein, dass der Zeitpunkt, ab wann Corona-Infizierte ansteckend sind, noch einmal konkretisiert wird.