6. Januar 2022, 20:12 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es klingt plausibel, dass man vorwiegend im jungen Alter viel Sport treibt und ein aktives Leben führt. Schließlich sprudelt man nur so vor Energie. Im hohen Alter kann man sich dann schön zur Ruhe setzen und gemütlich Bücher lesen. Denkste! Amerikanische Forscher erklären, warum ein aktives Leben insbesondere im hohen Alter wichtig ist.
Mit dem Rentenalter verbinden die meisten Menschen Ruhe und Entspannung. Kein Wunder, denn nach vielen Jahren des Arbeitens und Strebens nach Zielen ist man ziemlich erschöpft. Mit steigendem Alter wird das Leben zudem immer komfortabler und dadurch leider auch bewegungsärmer. Ein gefährlicher Mix für den Körper, denn Bewegungsmangel ist bekanntlich eine der Hauptursachen für die meisten Zivilisationskrankheiten. Amerikanische Evolutionsforscher erklären nun in einer Studie, dass der Mensch dazu gemacht ist, ein aktives Leben selbst im hohen Alter zu führen.1 Das soll vor dem Verfall des Körpers schützen.
Übersicht
„Mit zunehmendem Alter wird es immer wichtiger, körperlich aktiv zu bleiben“
Der Evolutionsbiologe Daniel E. Lieberman (47) und sein Kollege Aaron Baggish (57) forschen nicht nur gemeinsam, sie sind auch Trainingspartner. So sollen sie sich über ihre Ideen zu der Studie bei den morgendlichen 10 bis 15 Kilometer Läufen ausgetauscht haben. Passend zu ihrem aktiven Leben geht es nämlich hier um körperliche Aktivität: „Es ist eine weitverbreitete Vorstellung in westlichen Gesellschaften, dass es normal sei, mit zunehmendem Alter langsamer zu werden, weniger zu tun und in Rente zu gehen“, wird Studienleiter Lieberman von dem Wissenschaftsportal „SciTechDaily“ zitiert.2 „Unsere Botschaft ist das Gegenteil: Mit zunehmendem Alter wird es immer wichtiger, körperlich aktiv zu bleiben“, ergänzt er. Doch wie begründen die Forscher diese Theorie?
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Aktivität bremst den Verfall des Körpers
Die Forscher gehen davon aus, dass der Mensch sich im Laufe der Evolution dahingehend entwickelt hat, mit zunehmendem Alter körperlich aktiv zu bleiben. Dadurch verlagere er seine Energie im Organismus weg von Prozessen, die der Gesundheit schaden, und hin zu Mechanismen im Körper, die die Gesundheit fördern. Deswegen schütze Bewegung vor chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und sogar einigen Krebsarten. So könne laut den Forschern ein aktives Leben den allmählichen Verfall des Körpers im Laufe der Jahre verlangsamen.
Im Gegensatz zu anderen Studien berufen sich die Wissenschaftler nicht auf klinische Ergebnisse, sondern auf Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie. Als Grundlage dafür nahmen sie die Menschenaffen (Primaten). Dabei stellten sie fest, dass Primaten, die in freier Wildbahn nur 35 bis 40 Jahre leben, deutlich weniger aktiv sind als Menschen. So muss im Laufe der menschlichen Entwicklung eine Selektierung stattgefunden haben, die längeres Leben und körperliche Aktivität bevorzugte.
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„Wir haben uns quasi von Couch-Potatoes heraus entwickelt“, schlussfolgert Studienautor Lieberman. Er wunderte sich beim Beobachten wilder Schimpansen in Tansania darüber, wie viel Zeit sie damit verbrachten, bloß zu sitzen und ihre Nahrung zu verdauen. Im Gegensatz dazu haben beispielsweise heutige Jäger und Sammler durchschnittlich etwa 135 Minuten moderater bis starker körperlicher Bewegung pro Tag. Das sei etwa sechs- bis zehnmal mehr als der durchschnittliche Amerikaner.
Laut den Autoren sei die Bewegung einer der Hauptgründe dafür, dass Jäger und Sammler, die die Kindheit überleben, etwa sieben Jahrzehnte leben. Das liege etwa 20 Jahre über dem Alter, in dem die Menschen aufhören, Kinder zu bekommen. Doch welche Prozesse stecken dahinter? Und wie wirken sie sich auf die Gesundheit aus?
Energieumverteilung fördert die Gesundheit
Um herauszufinden, wie sich Bewegung auf die Gesundheit im höheren Alter auswirkt, untersuchten die Forscher, was mit der Energie im Körper passiert. Dabei stellten sie fest, dass wir durch Bewegung die überschüssige Energie von schädlich hin zu positiven Prozessen umleiten. Folgendermaßen fördert die Energieumverteilung unsere Gesundheit:
- 1. Die überschüssige Energie im Körper wird durch Bewegung (Verbrennung von Kalorien) von potenziell schädlichen Mechanismen wie der Fettspeicherung weggelenkt.
- 2. Körperliche Aktivität ist ein physiologischer Stress, wodurch den Reparaturprozessen im Körper Energie zugewiesen wird. Das stärkt wiederum den Körper.
Durch Bewegung sorgen insbesondere die Reparaturprozesse in den Zellen und im Erbgut des Körpers dafür, dass man nachweislich ein geringeres Risiko für Diabetes, Fettleibigkeit, Krebs, Osteoporose, Alzheimer und Depression hat.
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Fazit
Der Evolutionsbiologe und Studienleiter Liebermann kommt zu dem Schluss: „Der wichtigste Punkt ist, dass unser Körper Bewegung braucht, um gut zu altern. Wir haben uns dazu entwickelt, unser ganzes Leben lang aktiv zu sein“. Früher sei tägliche körperliche Aktivität notwendig gewesen, um zu überleben. Heute hingegen müssen wir uns bewusst für mehr Bewegung entscheiden, um etwas Gutes für unsere Gesundheit und Fitness zu tun. Laut Liebermann müssen wir nicht gleich so aktiv werden wie ein Jäger und Sammler. Schon 10 bis 20 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag reichen aus, um das Sterberisiko zu senken.
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Quellen
- 1. Lieberman, D.E., Kistner, T.M., Richard, D. et al. (2021). The active grandparent hypothesis: Physical activity and the evolution of extended human healthspans and lifespans. Proceedings of the National Academy of Sciences.
- 2. SciTechDaily. New Biomedical Research Outlines How Longer Lives Are Tied to Physical Activity (aufgerufen am 06.01.2022)