30. Mai 2022, 11:54 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, um Heuschnupfen zu bekämpfen. Doch was ist, wenn alles nichts hilft? FITBOOK-Redakteurin Nadja hat eine ungewöhnliche Methode getestet und versucht, ihre Pollenallergie mit Hypnose zu heilen. Wie eine Hypnosetherapie abläuft, mit welchen Kosten man rechnen muss und ob die Symptome tatsächlich ausblieben, verrät sie in Teil 1 ihres Selbstversuchs.
Hyposensibilisierung, Ernährungsumstellung, Cortison-Behandlung: Es gibt kaum etwas, das ich noch nicht ausprobiert habe, um meine Pollenallergie loszuwerden. Seit meiner Kindheit bin ich allergisch gegen Gräser- und Birkenpollen. Die Monate April bis Juni verbringe ich mit juckenden Augen und laufender Nase. Bislang war kein Therapieerfolg von Dauer. Daher bin ich seit Jahren auf Medikamente angewiesen, die mich entweder müde machen oder andere Nebenwirkungen haben. In meiner Verzweiflung bin ich sogar bereit, eine eher unkonventionelle Methode auszutesten: Ich lasse meine Allergie mit Hypnose behandeln.
Übersicht
Allergie loswerden mit Hypnose – wie soll das gehen?
Bei meiner Recherche wird schnell klar: Neben Allergien gibt es kaum eine Eigenschaft, die man nicht mit Hypnose behandeln kann. Sich das Rauchen abgewöhnen, überschüssige Kilos loswerden, Prüfungsangst überwinden – bei allem kann angeblich eine Hypnosetherapie helfen.
Mir erscheint es sinnvoll, den Weg über das Unterbewusstsein zu nehmen, um tief verankerte, ungeliebte Angewohnheiten aufzugeben. Aber Heuschnupfen ist doch eine körperliche Reaktion, genauer: eine Fehlfunktion des Immunsystems, das harmlose Pflanzenpollen als Gefahr ansieht und sich mit dem Ausstoß von Entzündungsbotenstoffen dagegen wehrt. Diese wiederum verursachen die typischen Symptome wie Juckreiz, Niesen und Ausschlag.1 Wie kann also Hypnose helfen, die in der Psyche ansetzt, um die körperlichen Symptome einer Allergie zu unterdrücken?
Diplom-Psychologin Eva-Maria Sperger erklärt, wie Hypnose funktioniert: „Über gezielte Sprache und Erzeugung von Bildern und Erwartungen können wir bestimmte Körperreaktionen auslösen, fördern und ins Positive steuern. Dasselbe Prinzip kann auch für emotionale Reaktionen verwendet werden. Dazu wird eine Sprache, die sogenannte Trancesprache, verwendet, die den Klienten bzw. die Klientin in einen leicht veränderten Zustand versetzt, in dem positive Suggestionen vom Körper umgesetzt werden. Diese Reaktion lässt sich unter Hypnose und unter Verwendung der Trancesprache verändern und bleibt auch bestehen, wenn man dann mit dem tatsächlichen Auslöser konfrontiert ist. In Studien konnte gezeigt werden, dass sich unter einer Hypnose die Immunantwort sofort und messbar beeinflussen lässt. Diese neue Reaktionsweise des Körpers kann auch im Wachzustand bestehen bleiben.“
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„Hypnose ist wie eine VR-Brille“
Bei der Hypnosetherapie kommt ein simples Wirkprinzip zum Einsatz. Sperger erklärt es anhand eines Beispiels: „Es gibt ein Experiment, bei dem man sich vorstellt, dass man eine dicke, saftige Zitrone in der Hand hält. Man stellt sich vor, wie sie sich anfühlt, wie sie riecht und wie man schließlich hineinbeißt. Was passiert? Der Speichelfluss wird angeregt. Das kann man nicht unterdrücken. Und das, obwohl es nur eine Vorstellung ist. Das beweist, dass unser Körper Bilder umsetzt. Es findet eine automatische Reaktion des Körpers statt, die selbst dann nicht unterdrückt werden kann, wenn man weiß, dass die Zitrone nicht wirklich da ist.“
Die Hypnose könne man sich vorstellen wie eine VR-Brille, die eine virtuelle Realität erzeugt. Man nutzt die imaginierten Bilder, um die körperliche Reaktion zu beeinflussen: „In der Hypnose lassen sich über gezielte Bilder und Suggestionen unter Trance körperliche Reaktionen verändern. Sogar komplizierte Operationen können unter Trance stattfinden, ohne dass der Patient oder die Patientin Schmerz empfinden. Der Körper reagiert umgekehrt auch unter Hypnose mit der allergischen Reaktion, wenn suggeriert wird, sich auf einer frisch blühenden Blumenwiese zu befinden.“
Ziel der Hypnose ist es, die Situation, die im echten Leben negative Reaktionen wie die Symptome einer Allergie auslöst, unterbewusst mit einer positiven körperlichen Empfindung zu verbinden. Sperger: „Bei der Hypnose werden die Teile des Gehirns aktiviert, die für das Sehen und die Emotionen zuständig sind. Das kann man bei einem Gehirnscan beobachten. Die angstvolle Vorstellung kann unter Hypnose also mit einer positiven Emotion gekoppelt werden. Das macht man beispielsweise auch beim mentalen Training mit Sportlern.“
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Von Hinterzimmer-Hypnotiseuren und High-Class-Hypnotherapie
Ich bin zwar skeptisch, will es aber unbedingt ausprobieren. Also suche ich nach Angeboten für eine Hypnosetherapie. Und die gibt es in Großstädten wie Sand am Meer. Mal sind es Heilpraktiker, mal Psychologen und oft Menschen, die vor ihrer Ausbildung zum Hypnosetherapeut etwas völlig anderes gemacht haben. Da diese Bezeichnung aber nicht geschützt ist, ist es schwierig herauszufinden, welche Angebote tatsächlich seriös und sicher sind.
Ich hole einige Angebote ein und stelle fest: Auch die Preisunterschiede sind enorm. So bietet ein Hypnose-Zentrum das Komplett-Paket, bestehend aus vier Sitzungen à zwei Stunden inklusive einer telefonischen Beratungsstunde sowie Vor- und Nachbereitung für 2400 Euro an – High-Class-Hypnotherapie sozusagen. Zwar gibt es auch deutlich günstigere Angebote – diese wirken jedoch oft unseriös oder esoterisch. Nach einem telefonischen Vorgespräch entscheide ich mich für eine Hypnose bei Nathalie. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und ausgebildete Hypnosetherapeutin. Wir vereinbaren, ein bis zwei Sitzungen durchzuführen, je nach Bedarf. Pro Sitzung verlangt sie 100 Euro.
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Ohne Show und Pendel: So verläuft meine erste Hypnose
Es ist Anfang März, noch habe ich keine Allergiesymptome. Nathalie empfängt mich freundlich in ihrer kleinen Naturheilpraxis, ein Raum im Souterrain mit gelben und orangefarbenen Wänden. Zwei Salzsteinlampen spenden dezentes Licht, es riecht leicht nach Räucherstäbchen. In der Mitte des Raumes stehen zwei Stühle, ich darf mir aussuchen, auf welchem ich Platz nehme. Die Vorhänge werden zugezogen, Rosentee wird in Steingut-Becher gegossen.
Zunächst schildere ich Nathalie meine üblichen Symptome. Sie möchte wissen, wie ich mir die Allergie bildlich vorstelle. Ich beschreibe eine Pusteblume, deren Samenkörner vom Wind fortgetragen werden und sich dann an mich heften. Das Ziel der ersten Hypnosestunde, so erklärt sie mir, sei, mir einen Schutz auszudenken. Dafür führt sie mich in eine Entspannung: Zunächst soll ich im Raum ankommen. Ich spüre meine Füße auf dem Boden, das Kissen in meinem Rücken. Ich höre das Rauschen der Heizung, das Ticken der Uhr. Einatmen, ausatmen. Die Entspannung wird tiefer, aber ich bin bei vollem Bewusstsein. Ich versuche, mich nur auf Nathalies Worte zu konzentrieren und mich ganz fallen zu lassen.
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Dann schildert sie mir einen Ort in der Natur, den ich mir vorstellen soll: Warmer Waldboden, duftendes Moos, ein plätschernder Bach. Vor meinem inneren Auge sehe ich alles, obwohl ich weiß, dass ich in dem kleinen Raum sitze. Ich bin nicht ganz wach, ich schlafe auch nicht. Ich bin irgendwo dazwischen. In diesem Zustand fragt mich Nathalie, wie ich mir einen Schutz vor den Pflanzenpollen vorstelle. Ich antworte spontan und intuitiv, was mir gerade in den Sinn kommt: Eine Decke, die ich mir über den Kopf ziehen kann.
Zurück in die Kindheit
Gemeinsam versuchen wir nun, meiner Allergie auf den Grund zu gehen. Dafür soll ich mich in eine Situation aus meiner Kindheit versetzen, in der die Symptome besonders heftig waren. Ich sehe mich im Garten meiner Oma, auf einem Liegestuhl sitzend, mit einem kalten Waschlappen im Gesicht. Meine Augen jucken und tränen, ich kann nicht aufhören, sie zu reiben. Um mich herum blüht die Wiese. Das Erstaunliche: Während ich da in Nathalies Praxis sitze, beginnt meine Nase bei der Vorstellung tatsächlich zu kitzeln.
Nun soll ich mir vorstellen, wie sich die Decke schützend über mich legt. Ich fühle Erleichterung, Geborgenheit, Sicherheit. Und auch das Kribbeln in meiner Nase lässt langsam nach – erstaunlich. Als ich die Augen wieder öffne, fühle ich mich, als hätte ich geschlafen. Gleichzeitig spüre ich die Anstrengung der letzten Stunde – ein intensiver Austausch zwischen dem, was mir Nathalie vorgegeben hat und meiner eigenen Vorstellungskraft. In einigen Wochen soll ich mich wieder bei ihr melden und ggf. einen zweiten Termin ausmachen.
6 Wochen später: Konnte die Hypnose wirklich meine Allergie heilen?
Die kommenden Wochen achte ich akribisch auf jedes Anzeichen von Heuschnupfen. Mit einer App überprüfe ich den Pollenflug. Die ersten Birken beginnen langsam zu blühen. Doch die Symptome bleiben tatsächlich aus. Beim Spazieren im Park betrachte ich kritisch die Bäume. Ich stelle mir vor, wie meine transparente Decke schützend auf mir liegt und die ungeliebten Pflanzenpollen davon abhält, sich an mich zu heften. Gleichzeitig sage ich mir immer wieder vor: Ich bin geheilt. Und es scheint tatsächlich zu wirken. Üblicherweise beginne ich spätestens im April mit der Einnahme von Medikamenten. Doch ich brauche keine. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren verbringe ich die ersten warmen Monate des Jahres ohne lästigen Schnupfen und juckende Augen. Ich bin völlig überwältigt.
Doch Mitte Mai erlebe ich einen Rückschlag. Ob dieser von Dauer ist oder ob sich mein Heuschnupfen tatsächlich für immer verabschiedet hat, ist bald in Teil 2 meines Erfahrungsberichts nachzulesen.
Selbstversuch, Teil 2 6 Wochen nach der Hypnosetherapie – ist die Allergie verschwunden?
FITBOOK sprach mit Top-Allergologen Sport trotz Allergie? Das müssen Sie beachten
Pollenallergie-Saison Symptome, an denen man Heuschnupfen erkennt – und was wirklich hilft
Quelle
- 1. Apotheken Umschau. Allergien: Definition, Symptome, Therapie.