27. Februar 2021, 8:07 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Lisa Mosconi hat es sich zur Aufgabe gemacht, das weibliche Gehirn besser zu verstehen. Denn wer glaubt, bei Männern und Frauen laufe neurologisch alles gleich ab, irrt: Der weibliche Gehirnstoffwechsel unterscheidet sich enorm vom männlichen – und ist bisher viel schlechter erforscht. Das hat drastische Folgen auf die Gesundheit von Frauen. Sie erkranken unter anderem doppelt so häufig an Alzheimer wie Männer. Die gute Nachricht: Einfache, präventive Maßnahmen können das Risiko einer Erkrankung minimieren.
Haben Sie schon mal von „Bikini-Medizin“ gehört? Der Begriff beschreibt den Irrglauben, dass sich Männer und Frauen nur durch ihre Fortpflanzungsorgane unterscheiden. Frauengesundheit beschränkte sich dementsprechend jahrzehntelang auf die Stellen des Körpers, die von einem Bikini bedeckt werden, also Brüste und Unterleib. Ein Umstand, den die Neurowissenschaftlerin Dr. Lisa Mosconi schleunigst ändern will. Sie kämpft um Gleichberechtigung in der Medizin und hat sich auf die Erforschung des weiblichen Hirnstoffwechsels spezialisiert. Denn das Gehirn von Frauen ist deutlich anfälliger für Krankheiten wie Depressionen, Migräne, Hirntumore und Alzheimer als sein männliches Pendant – aber viel weniger erforscht.
Vor allem Alzheimer beschäftigt Mosconi sehr. So sehr, dass die Medizinerin jetzt ein ganzes Buch über die Prävention der Erkrankung bei Frauen geschrieben hat. In „Das weibliche Gehirn: Länger leben, besser schlafen, Demenz vorbeugen – wie Frauen gesund bleiben“ erklärt Sie nicht nur die wichtige Rolle des Sexualhormons Östrogen und was sich in der Menopause für das weibliche Gehirn ändert. Es geht auch darum, welche präventiven Möglichkeiten jede Frau schon in jungen Jahren hat, um ihr Gehirn besser vor Alzheimer zu schützen.
Übersicht
Warum sollten sich Frauen frühzeitig mit Alzheimer auseinander setzen?
Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V leben hierzulande aktuell rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Die meisten von ihnen haben Alzheimer und zwei Drittel aller Erkrankten sind Frauen. In den USA, wo Mosconi forscht, sieht es ganz ähnlich aus. Die genaue Ursache der Krankheit ist trotz großer Forschungsanstrengungen noch immer nicht bekannt. Auch nicht, warum Frauen viel häufiger erkranken. Mosconi vertritt die These, dass es nicht am höheren Durchschnittsalter von Frauen liegt, wie lange angenommen. Denn obwohl ein fortschreitendes Alter der höchste Risikofaktor ist: Frauen leben gar nicht mehr so viel länger als Männer, weil ihr Lebensstil längst genauso ungesund ist.
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Außerdem hat man herausgefunden, dass das Hauptmerkmal der Krankheit, die sogenannten Alzheimer Plaques (Ablagerungen in der Gehirnsubstanz), bereits im Alter von 50 bis 60 Jahren entstehen. Also viel früher als die Symptome der Demenzkrankheit selbst. Die treten bei den meisten Erkrankten erst in einem fortgeschrittenen Alter von 70 oder 80 Jahren auf. Mosconi sagt: Frauen sind anfälliger für Alzheimer und andere Gehirnerkrankungen, weil sich der weibliche und der männliche Hirnstoffwechsel drastisch unterscheiden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Sexualhormon Östrogen und die Menopause.
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Welchen Einfluss hat Östrogen auf das weibliche Gehirn?
Seit einiger Zeit weiß man, dass es einen Zusammenhang zwischen der Demenzerkrankung bei Frauen und ihrem Hormonspiegel gibt. Ein Schlüsselhormon ist dabei das Östrogen: Es ist eines der wichtigsten Botenstoffe im zentralen Nervensystem von Frauen, schützt die Nervenzellen und insbesondere ihre Schnittstellen, die Synapsen. In der Menopause sinkt der Östrogenspiegel. Das kann dazu führen, dass die Neuronen geschwächt und das Gehirn dadurch anfälliger für Alterungsprozesse und Krankheiten wird.
Ist die Menopause also der „Auslöser“ von Alzheimer von Frauen? Nein, sagt Mosconi. Aber weil das weibliche Gehirn in den Wechseljahren den Schutz des Östrogens und dessen Begleithormonen verliert, wird es anfälliger für medizinische Schwächen. Bei manchen Frauen äußert sich das dann zum nur in Form von Vergesslichkeit, hier und da mal einer Gedächtnislücke oder depressiven Verstimmungen. Bei anderen Frauen kann die hormonelle Veränderung im Gehirn dahingegen dazu führen, dass Alzheimer einsetzt.
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Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Frauen können die Widerstandsfähigkeit des Gehirns nämlich beeinflussen, indem sie schon im jungen und mittleren Alter auf einige Faktoren achten. Wie sinnvoll das ist, zeigen aktuelle Studien: Sie weisen darauf hin, dass mindestens ein Drittel aller Alzheimer-Fälle verhindert werden könnte, wenn Betroffene nicht nur frühzeitig eine bessere medizinische Versorgung hätten, sondern auch schlicht ihre Lebensweise veränderten.
Ganz nach dem Motto: Vorbeugen ist die beste Medizin. Aber was hilft? Mosconi rät in ihrem Buch zu einer Kombination aus Dingen, die gesundheitsbewussten Menschen nicht neu sein dürften, die aber dazu führen, den Hormonspiegel zu regulieren und das Gehirn zu schützen.
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Faktor 1: Ausgewogene Ernährung
Der wichtigste und einfachste Punkt ist laut der Neurologin die richtige Ernährung. Denn die hat nicht nur Auswirkungen auf unser Gewicht und generelles Körperbefinden. Von allen Organen ist das Gehirn dasjenige, das am meisten unter einer unausgewogenen Ernährung leidet. Deswegen ist es wichtig, die richtigen Nährstoffe zu sich zu nehmen und schlechte oder schädliche Inhaltsstoffe zu vermeiden. Mosconi selbst ernährt sich „plant-based“, also vegan.
Frauen, die ihr Gehirn schützen möchten, rät sie zu einer Ernährung, die reich an Ballaststoffen, Antioxidantien und Phytoöstrogenen ist. Ballaststoffe und Phytoöstrogene sollen ausgleichend auf den Östrogenspiegel wirken. Antioxidantien bekämpfen freie Radikale und verlangsamen so den körperlichen Alterungsprozess. Die Nuklearmedizinerin appelliert, auf industriell verarbeitete Lebensmittel zu verzichten, die oft schädliche Transfette und Chemikalien enthaltenen. Denn diese können das Krebsrisiko erhöhen und den Hormonhaushalt stören.
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Faktor 2: Bewegung
Wer sich sportlich betätigt, tut auch etwas für den Kopf. Aerobes Training, das die Durchblutung fördert, trägt dazu bei, dass Sauerstoff und Nährstoffe ins Gehirn gelangen. Das hilft, die Plaque-Bildung in den Arterien zu verlangsamen. Doch das ist bei Weitem noch nicht alles. Klinische Testreihen, Gehirn-Scans und Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass regelmäßige Bewegung Wachstumshormone im Gehirn stimulieren, die das Gedächtnis verbessern.
Sport stärkt unser Immunsystem und sorgt für bessere Abwehrkräfte. Und das alles hilft dem Gehirn wiederum, sich gegen Krankheiten wie Alzheimer zu wehren. Studien belegen, dass schon vier Stunden Sport die Woche (und sei es bloß Spazierengehen), das spätere Demenzrisiko um 35 Prozent verringern. Übrigens: Es muss nicht gleich das stundenlange Killer-Workout sein, im Gegenteil. Mosconi rät Frauen, die ihrem Gehirn etwas gutes tun und Alzheimer vorbeugen möchten, zu „sanften Sportarten“ wie Yoga, Pilates, Walking, Fahrrad fahren oder lockeres Schwimmen.
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Faktor 3: Stressminimierung
Ob Karriere, Kinderwunsch oder Crash-Diät: Der Alltag vieler Frauen ist von Stress bestimmt, das Leben durchgetaktet. Weil Beruf, Beziehung und Familie unter einen Hut gebracht werden müssen. Weil man schön und schlank sind will. Und weil man seiner Rolle als moderne Frau ja irgendwie bestmöglich gerecht werden soll. Wie ungesund das ist, ist mittlerweile bekannt: Langanhaltender Stress gilt als Gesundheitsrisiko, er kann zu Gedächtnisverlust und Gehirnschrumpfung führen und den Hormonspiegel negativ beeinflussen.
Studien haben gezeigt, dass das weibliche Gehirn ganz anders umgeht als das männliche. Mosconi rät Frauen in ihrem Buch dazu, individuelle Wege zu finden, Stress abzubauen, um ihr Gehirn vor kognitiven Schäden zu schützen. Etwa durch Digital Detox, Atemübungen, Meditation und genug Zeit mit Freunde und Familie. Denn wer ein gesundes Sozialleben führt, hat nicht nur eine höhere Lebenserwartung, sondern wissenschaftlich bewiesen auch ein reduziertes Demenz-Risiko.
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Faktor 4: Guter Schlaf
Guter und vor allem ausreichend Schlaf ist essenziell für die Gesundheit des Gehirns. Denn in der Tiefschlafphase wird unter anderem neurotoxisches Beta-Amyloid abgebaut, aus dem Alzheimer-Plaques bestehen. Wer nachts immer wieder aufwacht, stört diesen Prozess. Mosconi appelliert deshalb, alles zu tun, was möglich ist, um den eigenen Schlaf zu verbessern. Auch wenn es keine einheitlichen Studienergebnisse zur idealen Schlafdauer gibt, rät sie zu sieben bis acht Stunden pro Nacht und mindestens sechs Stunden für Menschen über 65.
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Faktor 5: Gehirntraining
Der fünfte Tipp der Neurowissenschaftlerin für eine lange Gehirngesundheit ist, auch geistig fit zu bleiben. Etwa durch tägliches Zeitungslesen, soziale Aktivitäten und dadurch, auch mit fortschreitendem Alter noch Neues zu erlernen. Ob das eine Sprache, das Spielen eines Musikinstruments oder ein Hobby ist – Hauptsache, das Gehirn wird immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Denn je mehr wir unser Gehirn benutzen, desto stärker werden die Verbindungen zwischen den Zellen. Und das wiederum führt zu mehr kognitiven Reserven und dazu, dass sich das Gehirn besser vor Schäden und Krankheiten wie Alzheimer schützen kann.
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Zur Person
Die Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin Dr. Lisa Mosconi leitet die Women’s Brain Initiative und ist Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College in New York City. Dort lehrt sie als Professorin für Neurologie und Radiologie. Sie ist Mitglied der psychiatrischen Fakultät an der New York University und hat zwei Bücher veröffentlicht: „Brain Food“ und „Das weibliche Gehirn: Länger leben, besser schlafen, Demenz vorbeugen – wie Frauen gesund bleiben“