23. Oktober 2024, 20:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Viele Menschen fürchten, im hohen Alter an Alzheimer, einer Form der Demenz, zu erkranken. Denn die nervenschädigende Krankheit löscht nach und nach die Fähigkeiten und die Persönlichkeit der Betroffenen aus. Forscher fanden nun heraus, dass Menschen, die zwei Sprachen fließend sprechen, offenbar besser vor Alzheimer geschützt sind.
In Deutschland leiden etwa 1,8 Millionen Menschen an einer Demenzerkrankung, wie die „Deutsche Alzheimer Gesellschaft“ laut einer Erhebung von 2022 berichtet.1 In den meisten Fällen handelt es sich um die Alzheimer-Krankheit. Dabei sterben durch schädliche Proteinablagerungen im Gehirn nach und nach die Nervenzellen ab. Diese chronische – also nicht heilbare – Nervendegeneration schädigt zunächst das Kurzzeitgedächtnis. Im weiteren Verlauf verschlechtern sich Orientierungssinn, Sprachvermögen sowie die gesamte Wahrnehmung und Persönlichkeit der Betroffenen.2 Obwohl Alzheimer nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Lebensstilfaktoren, die davor schützen können. Nun haben Forscher einen weiteren Faktor identifiziert. Denn laut einer kanadischen Studie sind Menschen, die bilingual sind, also zwei Sprachen fließend sprechen, besser vor Alzheimer geschützt. Dafür haben sie sogar eine Erklärung.
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Übersicht
Diese Lebensstilfaktoren können von Alzheimer schützen
Wie kann ich mich vor Alzheimer schützen? Diese Frage stellen sich sicherlich viele Menschen, vor allem, wenn sie die Lebensmitte überschritten haben. Denn das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, steigt mit dem Alter. Obwohl es auch im mittleren Alter auftreten kann, so sind die meisten Betroffenen jenseits der 65. Es gibt aber Lebensstilfaktoren, die das Gehirn vor frühzeitigem Abbau schützen. Dazu gehören laut der „Alzheimer Forschung Initiative e. V.“ vor allem folgende Punkte:
- viel körperliche Bewegung im Alltag
- geistige Fitness
- soziale Kontakte
- ausreichend Schlaf
- gesunde Ernährung
Es gibt etliche Studien, die den positiven Einfluss dieser Faktoren auf den Schutz des Gehirns vor Alzheimer belegen. Beziehungsweise umgekehrt einen negativen Einfluss belegen, sofern diese Lebensstilfaktoren vernachlässigt werden. Eine frühere Studie aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass zum Beispiel Meditation selbst im höheren Alter noch vor Alzheimer schützen kann (FITBOOK berichtete).
Forscher untersuchten die Belastbarkeit bestimmter Gehirnregionen
Nun berichtet eine aktuelle Studie über den positiven Einfluss von Zweisprachigkeit auf das Alzheimer-Risiko.3 Demnach können sich offenbar Menschen glücklich schätzen, die bilingual – also zweisprachig – aufgewachsen sind, beziehungsweise im Alltag zwei Sprachen fließend benutzen. Um das zu belegen, nutzten die Forscher Daten der kanadischen „Comprehensive Assessment of Neurodegeneration and Dementia“-Studie. Diese wurde vom kanadischen Konsortium für Neurodegeneration im Alter (CCNA) durchgeführt mit 365 Probanden. Außerdem wurde noch eine weitere ähnliche Studie mit 175 Probanden hinzugezogen.
Die Forscher verglichen die Gehirncharakteristika von einsprachigen und mehrsprachigen älteren Erwachsenen, die sich in folgenden Stadien:
- kognitiv gesund
- Risiko für einen kognitiven Verfall
- leichte kognitive Beeinträchtigung
- an Alzheimer erkrankt
Bei den Probanden handelte es sich vor allem um Kanadier, die entweder nur Französisch, nur Englisch oder beide Sprachen fließend beherrschten. Auch weitere Sprachen, die z.B. unter Migranten gesprochen wurden, waren vorhanden. Innerhalb der multilingualen Gruppe gaben 67,6 Prozent an, zwei Sprachen zu sprechen, 22,0 Prozent gaben an, drei Sprachen zu sprechen, und die übrigen Teilnehmer gaben an, zwischen vier und sieben Sprachen zu kennen. Mithilfe von sogenannten Neuro-Imaging-Methoden untersuchte man die Resilienz (Belastbarkeit) von Gehirnregionen, die mit Sprache und Alterung in Verbindung stehen.
Menschen, die zwei Sprachen fließend sprechen, offenbar besser vor Alzheimer geschützt
Die Auswertung der Daten ergab, dass der Hippocampus (eine Art Zwischenspeicher des Gehirns) bei mehrsprachigen Menschen mit der Alzheimer-Krankheit deutlich größer war als bei einsprachigen Menschen. Bei dem Vergleich wurden Alter, Bildung, kognitive Funktion und das Gedächtnis der jeweiligen Personen berücksichtigt. „Im Hippocampus, der wichtigsten Gehirnregion für Lernen und Gedächtnis, die stark von Alzheimer betroffen ist, war mehr Hirnsubstanz vorhanden“, wird die Hauptautorin der Studie, Kristina Coulter, von dem Fachportal „MedicalXpress“, zitiert.
So gab es Anzeichen für eine Hippocampus-Atrophie (Gewebeschwund) bei einsprachigen Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung sowie Alzheimer. Dagegen hat sich das Hippocampus-Volumen bei zwei- bzw. mehrsprachigen Personen im Verlauf der Alzheimer-Entwicklung nicht stark verändert. „Das Hirnvolumen im Bereich der Alzheimer-Erkrankung war bei allen mehrsprachigen Teilnehmern der Gruppe – den gesunden Älteren, den beiden Risikogruppen sowie der Alzheimer-Gruppe – gleich“, sagt Coulter. Laut ihr deute es darauf hin, dass die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit das Gehirn vor einem Abbau schützt.
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Mehrsprachigkeit schützt offenbar vor Gehirnabbau
Die Forscher haben auch eine mögliche Erklärung, warum Menschen, die zwei oder mehrere Sprachen sprechen, besser vor Alzheimer geschützt sein könnten. So führt die Mehrsprachigkeit dazu, dass sich im Laufe der Gehirnentwicklung mehr Volumen aufbaut, eine Art Reserve. Vor allem im Hippocampus. Dadurch verfügt das Gehirn selbst bei einer Alzheimer-Erkrankung über ausreichend Reserven, um normale Hirnfunktionen aufrechtzuerhalten.
Diese kognitive Reserve sorgt offenbar dafür, dass das Gehirn sich neu vernetzt und Alzheimer-Schädigungen umgehen bzw. ersetzen kann. Dies sorgt für eine bessere Resilienz und ermöglicht andere Teile des Gehirns zur Funktionsaufrechterhaltung zu nutzen. Die Forscherin Coulter ergänzt, dass sie keine mit der Zweisprachigkeit verbundene Hirnreserve in den sprachrelevanten Hirnregionen oder eine kognitive Reserve in den von Alzheimer betroffenen Hirnregionen gefunden haben. Es brauche hier aber noch weitere Forschung, um die genauen Mechanismen dahinter zu verstehen.