16. Februar 2021, 17:15 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Morgens kommen Sie schwer in die Gänge, tagsüber sind Sie ständig müde – und wenn Sie zu schnell aufstehen, wird Ihnen gerne mal schwindelig? Schuld könnte ein niedriger Blutdruck sein. Welche Ursachen Hypotonie hat und wie Betroffene ihren Kreislauf auf natürliche Weise in Schwung bringen können, hat FITBOOK den Direktor des Deutschen Herzzentrums in München, Prof. Heribert Schunkert, gefragt.
Dass Bluthochdruck (Hypertonie) gesundheitlich bedenklich ist, ist allgemein bekannt. Aber wie sieht es eigentlich in die andere Richtung aus, wenn der Blutdruckwert also eher niedrig ist? Zu diesem Thema stand der Münchner Kardiologe Prof. Dr. med. Heribert Schunkert FITBOOK Rede und Antwort. Er ist Direktor der Klinik für Erwachsenenkardiologie des Deutschen Herzzentrums und Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung.
Übersicht
Wann spricht man von niedrigem Blutdruck?
Der optimale Blutdruck bei einem gesunden Erwachsenen liegt aus ärztlicher Sicht etwa bei 120/80 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule). Sinkt dieser Wert allerdings unter 100/60 mmHg (Frauen) beziehungsweise 110/70 mmHg (Männer), spricht man von niedrigem Blutdruck – oder Hypotonie, so der Fachbegriff.
Jedoch sollte man sich nicht zu sehr an starren Werten orientieren. Auf unsere Frage hin, ab wann der Blutdruck denn tatsächlich zu niedrig ist, erklärt uns Prof. Schunkert zunächst, dass in erster Linie das subjektive Empfinden maßgeblich sei. „Blutdruck ist dann zu niedrig, wenn er zu Beschwerden führt. Das heißt also, es zählt weniger der Wert, sondern vielmehr, wie der Mensch in der Alltagssituation auf diesen Wert reagiert“, so Prof. Schunkert weiter.
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Welche Symptome können auf Hypotonie hinweisen?
Nicht alle Menschen, die einen niedrigen Blutdruck haben, nehmen dies überhaupt körperlich wahr. Am häufigsten klagen Betroffene jedoch über starke Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme. Auch Atemnot, ein Engegefühl oder Stechen im Brustkorb können Symptome für eine Hypotonie sein.
Zum Teil tritt auch Herzrasen auf. Das Herz versucht, die verminderte Durchblutung mit einer höheren Schlagfrequenz auszugleichen. Menschen mit niedrigem Blutdruck frieren wegen der schlechten Durchblutung außerdem oft an Händen und Füßen.
Was sind mögliche Ursachen?
Niedrige Blutdruckwerte können unterschiedliche Gründe haben. Grundsätzlich sinkt der Blutdruck dann, wenn das Füllvolumen im Verhältnis zur Weite der Arterien zu gering ist. Einfach gesagt, es wird nicht genug Blut durch unseren Körper gepumpt. Die Ursachen dafür lassen sich nochmals in drei verschiedene Typen unterteilen:
Veranlagung (Primäre konstitutionelle Hypotonie)
Der wohl häufigste Grund für dauerhaft niedrigen Blutdruck ist die eigene körperliche Veranlagung. Es gibt in diesem Fall keinen konkreten Auslöser, sondern der niedrige Blutdruck ist einfach eine Typsache. Auch das Alter und Geschlecht können dabei eine Rolle spielen. So sei niedriger Blutdruck häufiger ein Problem bei jungen Frauen als bei älteren Menschen. „Junge Menschen haben im Durchschnitt deutlich niedrigere Blutdruckwerte. Frauen haben bis zur Menopause auch niedrigeren Blutdruck als Männer, überholen allerdings dann, im Durchschnitt zumindest, die Männer, wenn es um die Blutdruckwerte geht. Das heißt also, niedriger Blutdruck aufgrund einer Veranlagung ist häufiger ein Problem bei jungen Frauen als zum Beispiel bei älteren Menschen“, erklärt uns der Kardiologie-Professor.
Folgeerscheinung (Sekundäre symptomatische Hypotonie)
Der sogenannte sekundäre niedrige Blutdruck tritt als Folgeerscheinung anderer körperlicher Umstände auf. Unter anderem können Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie eine Herzinsuffizienz oder Stoffwechselstörungen, wie beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion, ursächlich sein. Bei den Untersuchungen ist dann wichtig, eine Herzerkrankung wie zum Beispiel die Herzmuskelschwäche, eine Durchblutungsstörung oder eine verengte Herzklappe als Ursache für den niedrigen Blutdruck auszuschließen. Zudem kann niedriger Blutdruck auch durch einen starken Flüssigkeitsverlust ausgelöst werden, beispielsweise aufgrund von unzureichender Wasserzufuhr, starkem Erbrechen, Durchfall oder hohem Fieber. Diese Form der Hypotonie kann unter Umständen eine medikamentöse Behandlung erforderlich machen.
Temporärer Blutdruckabfall (Orthostatische Hypotonie)
Wird Ihnen manchmal schwarz vor Augen, wenn Sie zu schnell aufstehen? Dann könnte es sich hierbei um eine sogenannte orthostatische Hypotonie handeln. Gemeint ist damit ein nur temporärer (also nicht chronischer), plötzlicher Blutdruckabfall. „Häufig tritt die Symptomatik nach Lagewechsel auf. Wenn man flach liegt, ist das Kreislaufsystem besser befüllt. Stellt man sich dann auf, versackt gerne Blut in den Beinen und es fließt weniger Blut zum Herzen zurück. Das kann zum Abfall des Blutdrucks, Schwarzsehen vor den Augen oder Schwindel führen oder einen schwankenden Gang zur Folge haben“, so Prof. Schunkert.
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Ist zu niedriger Blutdruck gefährlich?
Die wichtigste Frage an den Herzspezialisten ist natürlich, ob ein zu niedriger Blutdruck unter Umständen gefährlich werden kann. Daraufhin kann uns der Professor aber entwarnen und erklärt: „Wenn jemand einen niedrigen Blutdruck gut toleriert, ist das aus kardiologischer Sicht sogar sehr günstig. Je niedriger der Blutdruck, desto geringer ist der Verschleiß der Gefäße und desto geringer das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.“ Wenn der niedrige Blutdruck Ihnen also keine Beschwerden bereitet, wirkt sich das positiv auf die eigene Herzgesundheit aus.
Niedriger Blutdruck alleine gesehen stellt übrigens auch keine Krankheit im eigentlichen Sinne dar. Da die Hypotonie nur in deutschen Medizinlehrbüchern zu finden ist, wird sie in der internationalen Wissenschaft teils auch etwas spöttisch als „German disease“, die deutsche Krankheit, bezeichnet.
Wichtig ist jedoch in jedem Fall die Ursache ärztlich abklären zu lassen. Handelt es sich um einen sekundär symptomatischen niedrigen Blutdruck, so ist unter Umständen eine Behandlung der Ursachen erforderlich.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Auch wenn eine primäre Hypotonie in den meisten Fällen nicht gefährlich ist, so sind die etwaigen Symptome dennoch unangenehm. Eine natürliche Behandlung sollte nach Prof. Schunkert jedoch immer vor einer medikamentösen Behandlung stehen.
Im Folgenden hat der Experte auch einige Tipps für Menschen mit (zu) niedrigem Blutdruck parat.
Schwankender Blutdruck und Wetterfühligkeit – was tun?
Besonders wichtig sei es, ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Das könne vor allem auch bei phasenweise schwankendem Blutdruck, beispielsweise durch eine besondere Wetterfühligkeit, ein effektives Mittel sein. So sei es besonders hilfreich, einen halben Liter lauwarmes Wasser zu trinken. „Das kann einen deutlichen Blutdruckanstieg bewirken“, so Prof. Schunkert.
Menschen mit dauerhaft niedrigem Blutdruck rät der Professor außerdem zu einer besonders kochsalzreichen Ernährung. Speisesalz bindet Wasser im Körper und erhöht dadurch das Blutvolumen und auch den Blutdruck.
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Was hilft, wenn ich morgens schwer in die Gänge komme?
Ein weiterer guter Tipp: Bewegung! Insbesondere regelmäßiges Ausdauertraining wie beispielsweise Joggen, Schwimmen oder Radfahren bringt unseren Kreislauf in Schwung und kann so die Symptome mindern. Wer morgens nur schwer in die Gänge kommt, dem ist zu raten, den Körper schon vor dem Aufstehen ein wenig zu aktivieren. Dazu eignen sich einfache Übungen im Liegen, zum Beispiel mit den Beinen in der Luft Rad zu fahren oder sie zu strecken und anzuwinkeln, um den Blutfluss anzuregen. Die Blutzirkulation in den Beinen kann man übrigens auch durch das Tragen von Kompressions- oder Stützstrümpfen fördern.
Eine Wechseldusche – also mal warm, mal kalt – wirkt ebenfalls anregend auf das Herz-Kreislauf-System. Wenn Sie das zu viel Überwindung kostet, können Sie auch zunächst nur einzelne Körperpartien mit abwechselnd warmem und kaltem Wasser abduschen.
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Kann Hypotonie medikamentös behandelt werden?
Medikamentös wird Hypotonie nur selten behandelt. Benutzt werden gegebenenfalls sogenannte Sympathomimetika, die die Blutgefäße verengen und so die Herzfrequenz erhöhen. Auch der Wirkstoff Dihydroergotamin wird zum Teil eingesetzt. Dieser erhöht die Wandspannung in den Venen und verhindert so, dass das Blut beim Aufstehen in die Beine absackt. Prof. Schunkert rät hier jedoch zu Vorsicht: „Medikamente sind nicht ohne Nebenwirkungen und sollten nur nach ausführlicher internistischer Abklärung von jemandem, der sich mit Blutdruckproblemen auskennt, verordnet werden.“
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Fazit: Kein Grund zur Sorge, aber lassen Sie die Ursache abklären
Seinen Blutdruck regelmäßig zu kontrollieren, ist für jeden Menschen, egal welchen Alters, wichtig und gut. Bei zu hohem Blutdruck sollten Sie sich in jedem Falle ärztlichen Rat holen, da dieser schnell gefährlich werden kann. Sind Ihre Werte allerdings eher zu niedrig, müssen Sie sich meistens keine Sorgen machen, sollten aber immer auf Ihr subjektives Empfinden achten. Auch hier ist es ratsam, einen Arzt aufzusuchen, um die genaue Ursache für die Hypotonie abzuklären und mögliche verursachende Krankheiten ausschließen oder frühzeitig behandeln zu können.