
4. Februar 2025, 11:31 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wer sich zweimal am Tag die Zähne putzt und auch regelmäßig zum Zahnarzt geht, kann auf denkbar einfache Weise sein Risiko für Alzheimer minimieren. Der Grund: Schädliche Mundbakterien, die beim Menschen Zahnfleischentzündungen hervorrufen, begünstigen offenbar unmittelbar die Entstehung von Demenz im Gehirn. Außerdem können Sie auf einem bestimmten Weg das Wachstum nützlicher Bakterien fördern.
Dass tägliches Zähneputzen nicht nur vor Karies schützt, sondern das Risiko für Alzheimer senkt, wurde 2021 in einer US-Studie des „NYU College of Dentistry“ untermauert. Zuvor hatten Untersuchungen an bereits verstorbenen Patienten Hinweise geliefert, dass genau jenes Bakterium (in der Fachsprache „Porphyromonas gingivalis“ genannt), das Zahnfleischentzündungen und Parodontitis verursacht, nicht nur Unheil im Mund anrichtet. Es produziert auch Enzyme, die im späteren Leben für krankhafte Veränderungen im Gehirn sorgen können. Eine kürzlich erschienene Studie zeigt zudem, dass bestimmte Bakterien die Gedächtnisleistung verbessern können.
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Übersicht
Zusammenhang zwischen schlechter Mundflora und „Alzheimer-Biomarker“
Bei der Studie aus 2021 mit lebenden Seniorinnen machten die Forschenden wichtige Entdeckungen.1 Laut den Autoren leiden 70 Prozent der Erwachsenen über 65 Jahre an Parodontitis. Dadurch vergrößeren sich die Taschen zwischen Zähnen und Zahnfleisch. Das erleichtert es schädlichen Bakterien, sich dort anzusiedeln. „Im Mund leben sowohl gefährliche Bakterien, die Entzündungen fördern, als auch gesunde, schützende Bakterien“, erklärte Studienautorin Prof. Angela Kamer in der offiziellen Pressemitteilung von 2021. „Dabei fanden wir heraus, dass der Nachweis des CSF-Biomarkers im Gehirn direkt mit einem Anstieg schädlicher Bakterien in der Mundflora verbunden war.“2 Zur Erklärung: Mithilfe des CSF-Biomarkers (Cerebrospinal Fluid) wird Alzheimer diagnostiziert.
Untersuchung mit 48 Senioren ohne Anzeichen von Demenz
Die Alzheimer-Krankheit ist durch zwei charakteristische Proteine im Gehirn gekennzeichnet. Zum einen Amyloid Beta, das sich zu Plaque zusammenklumpt und vermutlich das erste Protein ist, das sich während der Alzheimer-Entwicklung im Gehirn ablagert. Zum anderen Tau, das sich in Nervenzellen ansammelt und durch Verwirrung und Gedächtnisverlust bemerkbar macht.
Um eine mögliche Verbindung zwischen schlechtem Zähneputzen und Alzheimer-Risiko herzustellen, entnahmen die Forschenden Bakterienproben aus dem Zahnfleisch von 48 gesunden Senioren. Keiner von ihnen hatte Anzeichen von Demenz. Anschließend wurde mittels einer Lumbalpunktion (Liquorentnahme an der Wirbelsäule) der Spiegel von Amyloid Beta sowie Tau untersucht.
Schädliche Bakterien im Mund – ein Warnsignal für drohende Alzheimer-Erkrankung?
Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit schädlicheren Bakterien im Mund – dementsprechend mit schlechter geputzten Zähnen – mit größerer Wahrscheinlichkeit die Alzheimer-Signatur für verringerte CSF-Amyloidspiegel aufweisen. Ein Warnzeichen, dass sich das Alzheimer-Protein bereits im Gehirn ansammelt. Einen Zusammenhang zwischen Zahnfleischerkrankungen und Tau-Spiegel wurde allerdings nicht entdeckt.
Regelmäßig Zähneputzen als einfache Methode zur Alzheimer-Prävention
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein gesundes Bakteriengleichgewicht in der Mundflora zur Alzheimer-Prävention signifikant beiträgt. Dazu gehören zweimal täglich Zähneputzen und der jährliche Zahnarztbesuch zur Kontrolle.
Einordnung
Die Studie weist methodische Stärken wie eine homogene Stichprobe und standardisierte Untersuchungen auf. Allerdings sind die Ergebnisse aufgrund des Querschnittsdesigns, der kleinen Stichprobe und der eingeschränkten Generalisierbarkeit mit Vorsicht zu interpretieren. Die Studie zeigt zwar interessante Zusammenhänge, doch kausale Rückschlüsse sind nicht möglich.

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Weitere Studie bestätigt den Zusammenhang des oralen Mikrobioms und dem Demenzrisiko
Forscher der University of Exeter wollten mögliche Zusammenhänge zwischen dem oralen Mikrobiom, der Verfügbarkeit von Stickstoffmonoxid (NO) – ein wichtiges Molekül für die Gefäß- und Gehirnfunktion – und der kognitiven Gesundheit aufdecken.3 Dabei sollten Unterschiede zwischen gesunden älteren Erwachsenen und Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung herausgearbeitet werden. Zusätzlich wurde untersucht, ob sogenanannte APOE4-Träger, ein möglicher Marker für Demenz, innerhalb der Gruppe mit kognitiver Beeinträchtigung bestimmte bakterielle Muster aufweisen, die möglicherweise ihr Alzheimer-Risiko beeinflussen.
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Besonders zwei mögliche Mechanismen standen im Fokus. Zum einen könnten schädliche Mundbakterien durch geschädigtes Zahnfleisch in die Blutbahn gelangen und die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Zum anderen könnten sie die Stickstoffmonoxid-Produktion beeinflussen. Während einige Bakterien Nitrat effizient in Stickstoffmonoxid-aktive Substanzen umwandeln, entziehen andere dem Körper wichtige Vorstufen dieses Moleküls, wodurch sich eine negative Wirkung auf die kognitive Gesundheit ergeben könnte.
Durch diese Untersuchung erhoffen sich Wissenschaftler neue Erkenntnisse darüber, ob sich durch gezielte Maßnahmen – etwa durch eine nitratreiche Ernährung – das Fortschreiten von kognitivem Verfall verlangsamen lässt.
Proben von 115 Teilnehmern
An der Studie nahmen 115 ältere Erwachsene aus der britischen PROTECT-Kohorte teil, einer Online-Plattform zur Erforschung der geistigen Gesundheit im Alter. Die Probanden teilte man in zwei Gruppen ein: 60 gesunde Teilnehmer und 55 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung. Eine Teilgruppe der kognitiv eingeschränkten Patienten wurde zudem nach ihrem genetischen Alzheimer-Risiko durch das APOE4-Allel weiter differenziert.
Jeder Teilnehmer spülte 30 Sekunden lang mit einer bestimmten Lösung den Mund, bevor eine Probe entnommen wurde. Aus diesen extrahierte man bakterielle DNA, mittles einer Sequenzierung identifizierte man anschließend verschiedene Bakterienarten. Zur Beurteilung der kognitiven Funktionen führte man verschiedene Tests mit den Probanden durchgeführt, die das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die exekutive Kontrolle bewerten. Abschließend wandten die Wissenschaftler statistische Analysen an, um Zusammenhänge zwischen Bakteriengemeinschaften, kognitiver Leistung und genetischen Risikofaktoren zu untersuchen.
Identifizierung bakterieller Muster
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die bakterielle Vielfalt zwischen gesunden Personen und Mensch mit leichter kognitiver Beeinträchtigung nicht signifikant unterscheidet. Auch in den Stickstoffmonoxid-Biomarkern gab es zwischen diesen Gruppen keine signifikanten Unterschiede. Dennoch konnte man innerhalb der Gruppe mit kognitivem Verfall spezifische bakterielle Muster identifizieren, die mit kognitiven Funktionen und der Stickstoffmonoxid-Verfügbarkeit zusammenhängen.
Eine hohe Präsenz von Neisseria und Haemophilus in der Mundflora war mit besseren Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen sowie mit höheren Nitritwerten verbunden. Diese Bakterien gehören zu den Mikroorganismen, die Nitrat effizient in Stickstoffmonoxid umwandeln und könnten somit eine schützende Rolle spielen. Im Gegensatz dazu wurde eine hohe Anzahl von Prevotella-Bakterien mit einer geringeren Stickstoffmonoxid-Verfügbarkeit in Verbindung gebracht. Besonders Prevotella intermedia trat häufiger bei APOE4-Trägern auf, was darauf hindeuten könnte, dass diese Bakterien als Marker für ein erhöhtes Alzheimer-Risiko dienen.
Ein weitere wichtige Erkenntnis war, dass die Gattung Porphyromonas, die mit Parodontitis assoziiert ist, bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung häufiger vorkam als bei gesunden Teilnehmern. Dies unterstreicht frühere Studienergebnisse, die zeigten, dass eine erhöhte Präsenz dieser Bakterien mit kognitiven Beeinträchtigungen in Verbindung stehen könnte.
Bestimmte Bakterien im Mund sind Risikofaktor für Alzheimer
Die Studie liefert weitere Hinweise darauf, dass das orale Mikrobiom mit der kognitiven Gesundheit verknüpft sein könnte. Besonders interessant ist, dass bestimmte Bakteriengruppen entweder positive oder negative Effekte haben könnten. Während Neisseria und Haemophilus eine potenziell schützende Rolle spielen, könnte Prevotella intermedia einen Risikofaktor darstellen – insbesondere bei Menschen mit einer genetischen Veranlagung für Alzheimer.
Die Ergebnisse unterstreichen auch die Bedeutung von Stickstoffmonoxid. Da eine reduzierte Stickstoffmonoxid-Produktion mit vaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert ist, könnte eine gezielte Beeinflussung der Stickstoffmonoxid-Bildung über das Mundmikrobiom ein neuer Ansatz zur Vorbeugung kognitiver Einschränkungen sein.
Generell sollte auf ausreichende Mundhygiene geachtet werden, um das potenzielle Risiko für Alzheimer durch Zähneputzen so gering wie möglich zu halten.
Einordnung der Studie
Die Ergebnisse sind vielversprechend, doch es gibt einige Einschränkungen. Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, lässt sich keine Kausalität nachweisen – es bleibt unklar, ob die Veränderungen in der Mundflora eine Folge oder eine Ursache der kognitiven Beeinträchtigung sind. Zudem wurden keine Ernährungsdaten erfasst, obwohl die Nahrungsaufnahme die Stickstoffmonoxid-Produktion beeinflussen kann.
Ein weiterer Punkt ist die Geschlechterverteilung, da der Großteil der Teilnehmer weiblich war. Hormonelle Unterschiede könnten eine Rolle bei der Stickstoffmonoxid-Bildung und der Bakterienzusammensetzung spielen.
Zukünftige Studien sollten genauere Aussagen über die bakteriellen Stoffwechselprozesse treffen. Außerdem sind Langzeitstudien erforderlich, um mögliche Kausalzusammenhänge zu identifizieren. Auch sollte man tiefer darin einsteigen, inwiefern Zähneputzen tatsächlich das Risiko für Alzheimer minimieren kann.