27. Juni 2024, 14:21 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wer zu Übergewicht neigt, hat aller Wahrscheinlichkeit nicht die Ursache in der Anzahl seiner Zähne vermutet. Doch eine kürzlich veröffentlichte Studie aus den USA konnte offenbar genau diesen Zusammenhang herstellen. Alles zur Studie und wie Sie trotz Zahnverlust auf ihr Gewicht achten können, erklärt Ihnen FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke.
Die Zähne sind bekanntlich der einzig sichtbare Teil unseres Skeletts und ein notwendiges Werkzeug, um Nahrung zu zerkleinern, damit sie im Magen optimal auf die Nährstoffaufnahme vorbereitet werden kann. Folglich nehmen sie auch Einfluss auf das Körpergewicht. Doch was, wenn man weniger dieser Werkzeuge zur Verfügung hat? Etwa 55 Prozent der älteren Amerikaner haben kein funktionsfähiges Gebiss mehr (mindestens 21 Zähne). Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) fehlen weltweit 23 Prozent der Menschen ab 60 Jahren sogar alle Zähne.1 Ein amerikanisches Forschungsteam untersuchte im Zuge dessen, inwieweit die Anzahl der Zähne das Risiko für Übergewicht beeinflusst.
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Übersicht
Zahnklinik lieferte 1765 Patientenakten
Für die Querschnittsstudie wurden die Daten von 1765 Patienten, die zwischen Juli 2016 und April 2022 in der Rutgers School of Dental Medicine behandelt wurden, herangezogen. Genutzt wurden ausschließlich Akten von Personen im Alter von 65 bis 89 Jahren. Von diesen lagen vollständige Informationen zur Berechnung ihres Body-Mass-Indes (BMI) sowie Odontogramme (Zahndiagramme) vor.2
Von allen Teilnehmenden wiesen 717 (40,6 Prozent) einen BMI gleich oder höher als 25 auf, was bedeutet, dass sie übergewichtig waren. Unter ihnen waren 563 Personen (31,9 Prozent), die eine Adipositas (Fettleibigkeit) aufwiesen. Die fettleibigen Probanden hatten mit 70,0 Jahren das niedrigste Durchschnittsalter, waren überwiegend weiblich (60,6 Prozent) und enthielten den höchsten Anteil an selbstberichteten Diabetes- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Fehlende Zähne erhöhen das Risiko für Übergewicht um 40 Prozent
Die Auswertung des Forschungsteams ergab, dass die Probanden im Mittel noch über 20 Zähne verfügten. Damit lagen sie knapp unter dem Grenzwert von 21 Zähnen, der für funktionales Kauen erforderlich ist. Allerdings hatten 44,9 Prozent der Teilnehmer noch mindestens 21 Zähne und damit ein funktionsfähiges Gebiss.
Insgesamt war das Fehlen eines funktionsfähigen Gebisses mit einem um 40 Prozent erhöhtem Risiko für Fettleibigkeit verbunden; auch unter Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Vorhandensein von Magen-Darm-Störungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Jeder zusätzliche verbleibende Zahn verringerte das Risiko um zwei Prozent.
Offenbar spielen die Backenzähne eine besondere Rolle
Während die Vorderzähne vorwiegend lediglich zum Beißen von Nahrung genutzt werden, übernehmen die Backenzähne die Hauptarbeit des Kauens. Dadurch beeinflussen die vorderen Zähne scheinbar kaum das Gewicht einer Person; in der Studie zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl der Vorderzahnpaare, die normalerweise nach den Backenzähnen verloren gehen, und dem BMI. Dafür erhöhte jedes fehlende Paar gegenüberliegender Backenzähne das Risiko für Fettleibigkeit um sieben Prozent.
Die Autoren der Studie schlussfogerten, dass bei älteren Erwachsenen mit Zahnverlust – insbesondere bei Verlust der Backenzähne und einer Gesamtanzahl von weniger als 21 Zähnen – eine höhere Wahrscheinlichkeit für Fettleibigkeit als für Normalgewicht besteht.
Stärken und Schwächen der Studie
Positiv anzumerken ist die Größe der gewählten Stichprobe von Probanden. So auch das gewählte Berechnungsmodell, welches nicht nur zwischen der Gesamtanzahl der Zähne, sondern auch zwischen Vorder- und Backenzähnen sowie Veränderungen des Risikos pro Zahn unterscheiden konnte.
Allerdings merken die Wissenschaftler selbst an, dass ihre Ergebnisse begrenzt verallgemeinerbar für die gesamte amerikanische Bevölkerung sind, da alle verwendeten Daten aus einer einzigen Klinik stammen. Allerdings seien die Ergebnisse ergänzend zu der bisherigen Forschung auf diesem Gebiet.
Weiterhin ist die Verwendung des BMI zur Einordnung des Gewichtsstatus ohne entsprechende Messungen der Körperzusammensetzung eine Schwäche der Studienmethodik. Schließlich berücksichtigt der BMI allein die Zusammensetzung des Körpers (z. B. Fett- und Muskelmasse) nicht.
Zuletzt mussten sich die Wissenschaftler teils auf von den Teilnehmenden selbst gemeldeter Daten verlassen. Zusätzlich fehlten ihnen Informationen zu zusätzlichen Variablen, die den Gewichtszustand beeinflussen können, etwa ihre Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Außerdem wurden keine Daten zur Verwendung von Prothesen beim Essen erhoben. Dementsprechend wurde dies nicht in die Analysen mit einbezogen, wenngleich ein Drittel der Probanden Teil- oder Vollprothesen besaß.
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Warum können weniger Zähne zu einem erhöhten Gewicht führen?
Studienleiterin Rena Zelig erklärt in einer Pressemitteilung der Rutgers School of Dental Medicine, dass viele gesunde Lebensmittel, allen voran Obst und Gemüse, ohne ein funktionsfähiges Gebiss mühsam zu essen seien. „Eine mögliche Erklärung ist, dass Menschen, insbesondere ältere Erwachsene, denen Zähne fehlen und die Schwierigkeiten beim Kauen haben, anfangen, Lebensmittel zu essen, die leichter zu essen, aber weniger gesund sind, wie Kartoffelbrei, Kekse oder Donuts. Diese Lebensmittel enthalten normalerweise mehr Kalorien, Fett und Zucker, was zu einer Gewichtszunahme führt.“3
Aufklärung durch Zahnärzte gefordert
Zelig sieht Potenzial in einer besseren Aufklärung der Patienten durch ihre behandelnden Ärzte. „Zahnärzte könnten das Problem möglicherweise verringern, indem sie den Patienten beibringen, wie sie gesündere Nahrungsmittel durch Schälen, Schneiden, Kochen oder Mixen leichter essen können. Gemüse kann man einer Suppe oder einem Eintopf beifügen und Obst einem Smoothie oder einem Parfait.“