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WHO-Studie sorgt für Verwirrung

Wie hoch ist die Corona-Todesrate wirklich?

Das Coronavirus: Deutet die sinkende Todesrate an, dass der Erreger weniger tödlich geworden ist?
Die Corona-Todesrate sank zuletzt. Doch bedeutet das gleichzeitig, dass das Virus weniger tödlich wird? Wissenschaftler sind sich da nicht einig. Foto: Getty Images
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FITBOOK Redaktion

22. Oktober 2020, 12:17 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Die Corona-Infektionszahlen steigen derzeit wieder rasant an. Doch bei der Todesrate beobachten Wissenschaftler insbesondere in Europa eine sinkende Tendenz. Zuletzt für Verwirrung sorgte eine neue Studie der WHO, die nur eine minimale Corona-Sterblichkeitsrate annahm. Warum prozentual weniger an Covid-19-Erkrankte an der Infektion sterben, darüber sind sich die Experten nicht einig.

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Über 11.000 Neuinfektion binnen eines Tages – dieses traurige Rekordhoch meldete zuletzt das Robert-Koch-Institut am 22. Oktober 2020. Doch trotz der derzeit wieder rasant ansteigenden Zahlen scheint die Todesrate bei Covid-19-Erkrankten nach unten zu gehen. Vieles deutet darauf hin, dass immer weniger Menschen aufgrund der Virusinfektion sterben. Zuletzt sorgte eine neue Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Verwirrung.

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WHO-Studie stiftet Verwirrung mit minimaler Todesrate

Hintergrund der derzeitigen Diskussion um die Corona-Todesrate sind neue Forschungsergebnisse des Epidemiologen John Ioannidis (Stanford University), veröffentlicht im „Bulletin of the World Health Organization“, einem wissenschaftlichen Online-Magazin, das von der WHO herausgegeben wird. Die Veröffentlichung erfolgte allerdings mit dem Hinweis, dass dies nur eine erste Onlineversion der Studie sei, die noch nicht alle finalen Korrekturen enthielte.

Im Rahmen der Studie hatte Ioannidis 61 Studien aus der ganzen Welt sowie auch nationale Angaben zur Sterblichkeit von Covid-19-Patienten analysiert. Daraus ermittelte er eine Sterblichkeitsrate von gerade einmal 0,23 Prozent. Das bedeutet, dass nach seinen Berechnungen von 10.000 erkrankten Menschen im Durchschnitt nur 23 Infizierte in Folge der Corona-Erkrankung sterben.

„Die abgeleiteten Infektionssterblichkeiten lagen tendenziell niedriger als die Schätzungen, die früher in der Pandemie gemacht wurden“, so die Schlussfolgerung des Forschers. So hätte man die Infektionssterblichkeit anhand erster Daten aus China, wo das Coronavirus erstmals ausgebrochen war, zunächst auf etwa 3,4 Prozent geschätzt. Andere Modellberechnungen gingen jüngst von etwa einem Prozent Sterblichkeit aus.

Infektionssterblichkeit und Fallsterblichkeit muss man getrennt betrachten

Die Studie der WHO sorgte medial für Verwirrung, so hatte das RKI noch zuletzt eine Fallsterblichkeit von ca. 2,7 Prozent angenommen. Der Wert ist also über zehnmal so hoch, wie der von Ioannidis auf Basis seiner Analyse angenommene. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass hier eigentlich gar kein Widerspruch besteht. Denn wie tödlich eine Krankheit ist, lässt sich auf zwei verschiedene Arten bemessen.

Zum einen kann man sich auf die Infektionssterblichkeit (IFR) beziehen. Diese gibt den Anteil der Verstorbenen gemessen an allen Infektionen an. Dieser Wert ist auch Gegenstand der neuen Studie der WHO.

Die Fallsterblichkeit (CFR) hingegen misst den Anteil der Verstorbenen an allen bekannten, also tatsächlich registrierten Infektionen an. Auf diesen Wert hingegen bezieht sich das RKI bei der Angabe der Sterblichkeitsrate.

Dass die Fallsterblichkeit im Vergleich zu Infektionssterblichkeit höher ist, liegt daran, dass viele Corona-Infektionen symptomfrei verlaufen, nicht überall auf der Welt umfangreich getestet wird und deshalb viele Infektionen nicht entdeckt werden. Die Höhe der Dunkelziffer an Corona-Infizierten kann man derzeit nur schwer einschätzen. Die WHO etwa schätzte grob, dass sich weltweit bis zu zwanzigmal mehr Menschen angesteckt haben könnten, als man tatsächlich nachweisen konnte.

Daher muss man bei Studien zur Fallsterblichkeit immer beachten, welche Definition der Sterblichkeit zugrunde gelegt wird.

Bereits in der Vergangenheit diskutierte man über die sinkende Todesrate

Ob das Coronavirus scheinbar immer weniger tödlich wird, war bereits im Sommer diskutiert worden. So war in England war der Anteil der Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren und später verstarben, Anfang August geringer als es noch Ende Juni der Fall war. Die Infektionssterblichkeitsrate (IFR) sank – je nach verwendetem Datensatz – um 55 bis 80 Prozent. Das ging aus einer Studie der University of Oxford hervor. „Dies scheint nicht die gleiche Krankheit zu sein oder nicht mehr so tödlich wie früher, als wir eine große Anzahl von Menschen sterben sahen“, sagte Jason Oke aus dem Forscherteam dem „New Scientist“. Der Trend bei der Corona-Todesrate sei nicht nur in England zu beobachten, sondern in ganz Europa.

Warum das so ist, ist jedoch nicht so klar. Was die Angaben für England betrifft, ist derzeit ein größerer Anteil jüngerer Menschen mit dem Coronavirus infiziert (die Fallzahlen unter den 15- bis 44-Jährigen sind aktuell am höchsten), als das zum ersten Höhepunkt der Pandemie im April der Fall war. Es ist bekannt, das eine Covid-19-Erkrankung für Jüngere weniger gefährlich ist. Daher wäre ein Shift bei den besonders betroffenen Altersgruppen eine Erklärung dafür, dass die Krankheit derzeit weniger tödlich erscheint.

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Jason Oke glaubt jedoch nicht, dass die Änderung der Altersverteilung allein ausreicht, um zu erklären, was passiert. Möglich wäre auch, dass eine sich fortlaufend verbessernde Behandlung von schwer erkrankten Corona-Patienten in Krankenhäusern zu einer sinkenden Sterblichkeitsrate beiträgt.

Auch interessant: Können uns „Circuitbreakter“ vor einem zweiten Total-Lockdown schützen?

Sinkt die Corona-Todesrate aufgrund einer neuen Virus-Variante?

Eine weitere Erklärungsmöglichkeit für die sinkende Corona-Todesrate haben Forscher aus Singapur ins Spiel gebracht. Sie haben eine neue Variante des Coronavirus, das D614G, entdeckt, die nach ihren Angaben mildere Krankheitsverläufe auslöst. Die in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte Studie zeige zum ersten Mal, dass eine Gen-Mutation die Schwere der Erkrankungen beeinflusse, erklärten die Wissenschaftler. Das habe Auswirkungen auf die Entwicklung eines Impfstoffs und die Behandlung von Covid-19. Bereits zuvor hatten Forscher erklärt, dass eine Virus-Mutation im Kampf gegen die Pandemie von Vorteil sein könnte. Erreger würden durch die Veränderungen mitunter zwar ansteckender, aber weniger tödlich.

Doch auch diese Theorie erfährt bereits durch andere Forschungsarbeiten Widerspruch. Eine Studie des Imperial College in London kam zum Ergebnis, die D614G-Variante bedeute kein reduziertes Todesrisiko.

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Studie: Einhaltung von Hygieneregeln senkt Sterblichkeit

Auch die Einhaltung von Hygiene-Maßnahmen könnte einen massiven Einfluss auf die Corona-Sterblichkeit haben. Das legen die noch ungeprüften Ergebnisse einer repräsentativen Studie der Ruhr-Universität Bochum nahe, die parallel in acht Ländern durchgeführt wurde. In Ländern mit guter Einhaltung der Hygiene-Regeln sind zwischen 1. Juni und 20. August 2020 13,6 Mal weniger Menschen an der Infektion gestorben als in Ländern mit schlechter Befolgung der Regeln.

Für die Studie wurden in Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Russland, Polen, den USA und Schweden je rund 1.000 Personen ab 18 Jahren befragt. Von den insgesamt 7658 Teilnehmern beurteilten 77 Prozent der Befragten die Maßnahmen als sinnvoll. Deutschland erreichte dabei den Spitzenwert mit 84 Prozent. 92 Prozent aller Befragten gaben an, sich an die Verhaltensregeln zu halten (Deutschland: 94 Prozent). „AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Anm. d. R.) sind unsere wichtigsten Waffen im Kampf gegen Covid-19“, so das Fazit von Prof. Dr. Jürgen Margraf, Leiter des Forschungs- und Behandlungszentrums.

Themen Coronavirus
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