29. Oktober 2020, 20:53 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Eine Diät, bei der es ausdrücklich erlaubt ist, mehr statt weniger zu essen? Das klingt zu schön, um wahr zu sein. FITBOOK hat deshalb bei einem Ernährungsexperten nachgefragt, was es mit „Reverse Dieting“ auf sich hat – und ob man davon tatsächlich abnimmt.
„Reverse Dieting“ ist – wie der Name schon sagt – eine umgekehrte Diät. Das bedeutet, die Kalorienaufnahme wird Schritt für Schritt kontrolliert erhöht – also mehr, statt weniger gegessen. Das hört sich auf den ersten Blick sehr verlockend an. Die britische „Daily Mail“ feierte jetzt die atypische Diät als neusten Ernährungstrend der Promis, der sogar beim Abnehmen helfen soll. Doch kann das wirklich sein? Ganz so einfach ist das natürlich nicht, erklärt Ernährungscoach Jörn Utermann bei FITBOOK. Im Gegenteil: Wer „Reverse Dieting“ praktizieren will, muss sich auf eine extrem anstrengende Zeit einstellen.
Diese Diät wurde ursprünglich für Bodybuilder entwickelt
„Reverse Dieting ist eine Methode, um den durch Extremdiäten belasteten Stoffwechsel wieder auf die Sprünge zu helfen“, erklärt der Ernährungsprofi. „Sie wurde ursprünglich für Bodybuilder entwickelt, in deren Kreisen radikale Ernährungsweisen gerade vor Wettkämpfen an der Tagesordnung sind.“ Von Diäten, bei denen die Anwender schnell an Gewicht verlieren, wird ohnehin abgeraten. Doch wem das aus welchen Gründen auch immer passiert ist, kann Mithilfe von Reverse Dieting sozusagen Schadensbegrenzung betreiben. Denn Purzeln die Pfunde zu stark, purzeln auch sprichwörtlich Hormone und Stoffwechsel durcheinander. Bemerkbar macht sich das durch den berühmten Jo-Jo-Effekt, wie Diäterfahrene nur zu gut wissen.
Auch interessant: »16 Kilo in 1 Monat – warum ich es bereue, radikal abgenommen zu haben
Bei Reverse Dieting geht es nicht ums Abnehmen, sondern um das „Nicht-Zunehmen“
Wer nach einer Hungerphase wieder beginnt, normal zu essen, nimmt nicht selten rasant zu. Der Effekt der durchgezogenen Diät ist futsch und die Stimmung auch. „Reverse Dieting soll dem Körper mehr Zeit geben, den sogenannten Hungerstoffwechsel hinter sich zu lassen“, erklärt Utermann. „Deshalb lässt sich damit auch nicht wirklich abnehmen. Ziel ist es eher, nicht zuzunehmen. Damit das klappt, müssen über einen langen Zeitraum penibel Kalorien gezählt werden.“ Zielgruppe der umgekehrten Diät sind also nur Menschen, die gerade eine Diät abgeschlossen haben. Wer keine gemacht hat, dem wird Reverse Dieting höchstwahrscheinlich nichts nützen.
Die „einfachen Regeln“ von Reverse Dieting
Reverse Dieting ist eigentlich recht simpel: Jede Woche dürfen 50 bis 100 Kalorien mehr auf den Teller. „Damit wird der Körper Schritt für Schritt wieder an eine normale Ernährung gewöhnt, ohne dass alles direkt wieder in die Fettreserven wandert.“ Dabei ist es sogar egal, ob der erlaubte Extra-Snack in Form von Schokolade oder Brokkoli verputzt wird, versichert der Experte weiter. „Wer sich allerdings für die Schokolade entscheidet, muss schon eiserne Disziplin aufbringen, nach dem Mini-Stück nicht noch weiter zu futtern.“ Eine Falle, die nicht unterschätzt werden darf, denn wir haben es hier mit „mächtigen“ Hormonen als Gegner zu tun.
Auch interessant: FITBOOK-Kalorienrechner – Energieverbrauch beim Sport und im Alltag ermitteln
Warum Stoffwechsel und Hormone so viel Zeit brauchen
Es gibt zwei Hormone, die während einer Hungerphase außer Balance geraten: Ghrelin, das den Appetit steuert, und Leptin, das unseren persönlichen Bewegungsdrang regelt. „Während einer Radikal-Diät steigt Ghrelin rapide an, während Leptin absinkt. Das heißt, wir haben dauernd Hunger und kaum Lust, uns körperlich zu betätigen. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus des Körpers, um möglichst schnell wieder zuzunehmen“, erklärt Utermann. „Wenn wir aber dem Körper nur jede Woche etwas mehr Kalorien zuführen, dann geben wir ihm Zeit genug, wieder von alleine in den Ursprungsmodus zu kommen.“
Auch interessant: Warum man nach einer Crash-Diät nie wieder normal essen kann
So erklärt sich der Jojo-Effekt Warum man nach einer Crash-Diät nie wieder normal essen kann
Studie hat's untersucht Sport oder Diät – was ist besser, um sein Gewicht zu halten?
Alarmierende Studie Wie sich ständige Diäten und Jo-Jo-Effekt auf Herz und Nieren auswirken
Reverse Dieting ist alles andere als ein Spaziergang
Es braucht seine Zeit bis Hormone und Stoffwechsel wieder in den Einklang kommen – oft mehrere Monate. „Reverse Dieting ist im Prinzip die Diät nach der Diät. Das Kalorienzählen geht weiter, es muss genau jeden Tag genau notiert werden, was gegessen wurde. Das ist psychisch sehr anstrengend und raubt Energie, die man eigentlich für andere Dinge bräuchte“, weiß der Ernährungsexperte. Reverse Dieting ist also alles andere als ein hipper Ernährungstrend und eignet sich schon gar nicht zum Abnehmen. Vielmehr ist die Methode ein notweniges Übel, wenn mit der Diät zuvor etwas übertrieben wurde. Und noch eins: Es gibt keine einzige wissenschaftliche Studie zu dem Thema, was auch Utermann bemängelt. „Wir können bislang nur auf die positiven Erfahrungen von Ernährungsberatern und aus der Bodybuilder-Szene zurückgreifen.“