
20. März 2025, 19:02 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Seit Jahren ist das „Vogelgrippevirus“ H5N1 ein Thema. Denn es hat das Potenzial, eine neue weltweite Pandemie auszulösen. Bisher ist noch kein Fall bekannt, in dem das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Allerdings gibt es neue Hinweise darauf, dass das Virus mutiert und von Menschen auf Tiere übertragen werden kann. Das alarmiert amerikanische Forscher. Auch ein Experte aus Deutschland schätzt auf FITBOOK-Nachfrage die Lage als ernstzunehmend ein.
Die rasche Ausbreitung des hochinfektiösen Vogelgrippevirus H5N1 hat ein „beispielloses“ Ausmaß erreicht, das weltweit Hunderte von Millionen Vögeln tötet und zunehmend auf Säugetiere übergreift, warnt die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) in einer aktuellen Stellungnahme.1 Allein in den ersten Monaten des Jahres 2025 mussten rund 166 Millionen Vögel (hauptsächlich Legehühner) weltweit geschlachtet werden. Das sorgte auch für Engpässe bei der Eier-Versorgung. Wichtiger ist jedoch der Schutz der Menschen, die sich mit dem Virus infizieren können. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden seit 2003 weltweit über 2600 Erkrankungen und 1100 Todesfälle mit H5N1 nachgewiesen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtet.2 Und die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Durch neue Mutationen und das Übertragen des Vogelgrippe-Virus von Menschen auf Tiere, wächst die Wahrscheinlichkeit für eine erneuten Pandemie, wie amerikanischer Forscher berichten. Außerdem: Wie Immunologe Prof. Dr. Carsten Watzl die aktuelle Lage einschätzt.
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Übersicht
Was ist die „Vogelgrippe“?
Das Virus H5N1 ist unter mehreren Namen bekannt, wobei die gängigsten „Vogelgrippe“ oder „Geflügelpest“ sind. Verursacht wird sie durch Influenzaviren vom Typ A, weswegen sie auch als „Aviäre Influenza“ bezeichnet wird. Für gewöhnlich sind Vögel die Überträger, was zu der entsprechenden Bezeichnung führte. Dabei befinden sich die wenig ansteckenden Viren meistens in ihrem Magen-Darmtrakt oder den Atemwegen. Die betroffenen Vögel selbst erkranken schwach oder gar nicht daran. Man vermutet, dass, wenn sich Hausgeflügel (und nicht nur Wildvögel) infizieren sollten, die Viren in eine aggressivere Form mutieren und sich somit mehr ausbreiten können.
Wie infizieren sich die Tiere?
Es wird angenommen, dass eine Übertragung auf Hausgeflügel stattfindet, indem die Tiere Kontakt mit dem Kot infizierter Vögel haben oder sich die Viren bei den Tieren über die Schleimhäute einnisten können.3 So kommt es auch vor, dass sich Säugetiere mit H5N1 anstecken können, nachdem sie Kontakt zu infizierten Vögeln, Geflügel oder deren Ausscheidungen hatten. Bislang betraf es vor allem fleischfressende Wildtiere, die sich vermutlich an verendeten Wildvögeln infizierten. Im Jahr 2024 gab es aber erstmals Ausbrüche auch in Milchkuhherden, wie das RKI berichtet.
Wie infizieren sich Menschen?
Auch die Übertragung von Tier auf Mensch geschieht durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren oder deren Ausscheidungen, erklärt das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.4 Dies geschieht vor allem, wenn die Viren in Augen, Nase oder Mund gelangen. Auch das Einatmen kann zu einer Ansteckung führen.
Bislang ist noch nicht geklärt, ob das Virus, welches in rohen Lebensmitteln wie Eiern, Rohmilchkäse und Frischmilch gelangen kann, durch den Verzehr ansteckend ist. Eine (noch nicht unabhängig geprüfte) Studie von März 2025 wies das Virus jedoch zumindest in Rohmilchkäse nach und lieferte Hinweise, dass H5N1 den Käseherstellungsprozess unter Umständen überstehen kann.5 In einem Bericht von CNN heißt es, es gebe bislang keine bestätigten Berichte über Menschen, die durch den Verzehr von mit Vogelgrippe kontaminierten Lebensmitteln, einschließlich Rohmilchkäse, erkrankt seien. Es gebe jedoch Fälle, in denen Molkereimitarbeiter sich infizierten, indem sie Rohmilch ins Gesicht oder in die Augen bekommen hätten. Offenbar hängt es auch von der Dosis an, also der Virenanzahl, der Menschen ausgesetzt werden. Je stärker ein Lebensmittel kontaminiert ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es doch infektiös sein kann.
Deswegen ist es zur Vorbeugung einer Ansteckung mit H5N1 generell sicherer, pasteurisierte Milchprodukte zu verzehren und rohe Eier bzw. Rohmilchprodukte zu vermeiden.
Welche Symptome treten bei Menschen auf?
Die ersten Symptome treten bei Menschen normalerweise innerhalb von sieben Tagen nach einer Infektion auf. Die Erkrankung an der Vogelgrippe kann einen milden oder einen schweren Verlauf haben und im schlimmsten Fall bis zum Tod führen.
Milder Verlauf:
- grippeähnliche Symptome
- Fieber
- Halsschmerzen
- Atemnot
- Husten
Schwerer Verlauf:
- Entzündung der unteren Atemwege (z.B. Lungenentzündung)
- Bindehautentzündung
- Nasen- oder Zahnfleischbluten
- Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen
- Gehirnentzündung
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Wie Wahrscheinlich ist eine Vogelgrippe-Pandemie?
Die Meinungen zu einer potenziellen Vogelgrippe-Pandemie gehen weit auseinander. Denn anders als bei der Coronapandemie, gibt es bislang keine Nachweise dafür, das das H5N1-Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Eine aktuelle Einschätzung der amerikanischen Zentren für Gesundheitskontrolle und Prävention (CDC) besagt, dass das Risiko einer Ansteckung für die allgemeine Bevölkerung gering sei.5 Allerdings seien Menschen, die mit potenziell infizierten Tieren arbeiten wie in Molkerei- oder Geflügel-Betrieben, einem moderaten bis hohen Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren, so CDC. Generell sei aber die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Vogelgrippevirus zu Infizieren, sehr gering.
Ähnlich urteilt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO).6 Laut einem Statement vom November 2024 und auf der Grundlage der verfügbaren Informationen sei das globale Risiko für die öffentliche Gesundheit durch H5N1-Viren gering. Das Infektionsrisiko für beruflich gefährdete Personen wird als gering bis mäßig eingestuft. Obwohl Ansteckungen beim Menschen aufgrund des Kontakts mit infizierten Tieren oder kontaminierten Umgebungen zu erwarten sind, sind die Auswirkungen solcher Infektionen auf die öffentliche Gesundheit auf globaler Ebene zum gegenwärtigen Zeitpunkt gering.
Und auch das Robert Koch Institut berichtet, dass es derzeit weltweit keine Hinweise für eine fortgesetzte Mensch-zu-Mensch-Übertragung mit aviären Influenzaviren gebe. Laut dem RKI sind in Deutschland bislang keine Erkrankungen mit H5N1-Viren beim Menschen gemeldet worden. Und das, obwohl auch hierzulande Vögel mit H5-Viren zirkulieren.
Warum sind einige Forscher alarmiert?
Bislang schlägt die WHO noch keinen Alarm, dass sich das Virus unter Menschen ausbreiten kann. Allerdings gibt es mittlerweile über 2000 Fälle, bei welchen sich Menschen bei infizierten Tieren mit dem Virus ansteckten. Gefährlich dabei ist, dass solche Infektionen sehr oft tödlich verlaufen. Die Sterberate liegt bei rund 50 Prozent. Etwa jeder zweite Infizierte stirbt also.
Unter Berücksichtigung der aktuellen Vogelgrippe-Entwicklungen hat die amerikanische Harvard Medical School Wissenschaftler vom Massachusetts Consortium on Pathogen Readiness (MassCPR) zu ihrer Pandemie-Einschätzung befragt.8 Die große Frage lautete: Stehen wir an der Schwelle zu einem größeren Ausbruch der Vogelgrippe?
„Bei H5N1 gibt es einige Faktoren, die auf eine zunehmend riskante und unsichere Situation hindeuten“, sagt Jacob Lemieux, Spezialist für Infektionskrankheiten am Massachusetts General Hospital. Eine verstärkte Aktivität halte seit über einem Jahr an. Die Infektion breite sich über Haus- und Wildtiere aus und greife häufiger auf den Menschen über. „Die Zahl der Fälle beim Menschen ist seit dem letzten Jahr, als der erste Ausbruch bei Kühen auftrat, stark angestiegen,“ erklärt Lemieux. Obwohl es bislang keine Anzeichen für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gebe, sehe er die Notwendigkeit, verstärkt auf nationaler, bundesstaatlicher und kommunaler Ebene die Infektions-Ausbreitung zu verfolgen.
„Ich denke, wir leben neben einem Vulkan, …“
„Ich denke, wir leben neben einem Vulkan, der ausbrechen kann oder auch nicht. Aber wir müssen uns auf die Möglichkeit einer Pandemie vorbereiten,“ warnt der Forscher Jacob Lemieux. Auch sein Kollege Jeremy Luban, Professor für Molekularmedizin, Biochemie und molekulare Biotechnologie an der UMass Chan Medical School zeigt sich besorgt. „Im vergangenen Jahr habe ich Grippeexperten befragt, und es gab eine enorme Bandbreite an Antworten. Einige sagten, dass H5N1 seit den 1990er Jahren im Umlauf ist und sie daher nicht glauben, dass es zu einer Pandemie kommen wird. Andere sind äußerst besorgt darüber, dass sich das Virus stark verändert hat und sich auf neue Arten ausbreitet, wodurch es neue Eigenschaften erlangen kann“, sagt Prof. Luban.
Einschätzung von Immunologe Prof. Dr. Carsten Watzl
In den USA gibt es also durchaus Experten, die sich besorgt zeigen, dass von der Vogelgrippe eine größere Gefahr ausgehen könnte – womöglich sogar in Richtung einer Entwicklung hin zu einer Pandemie. Wie sieht der deutsche Blick auf die H5N1-Lage aus? Auf FITBOOK-Nachfrage gab Prof. Dr. Watzl folgende Einschätzung: „Das Vogelgrippe-Virus steht auf der WHO-Liste möglicher Erreger, die das Potential für eine neue Pandemie haben. Daher muss man die aktuelle Verbreitung der Vogelgrippe durchaus ernst nehmen. Aktuell ist das Risiko für Menschen aber noch gering, da es das Virus noch nicht geschafft hat, sich von Mensch zu Mensch auszubreiten. Das Vogelgrippe Virus in Hühnern und Wildvögeln kann für den Menschen zwar gefährlich sein (mit teils tödlichen Infektionen), wenn man sich aber von kranken oder toten Wildvögeln fern hält und nicht direkt mit Zuchttieren arbeitet, hat man auch kein Risiko, sich anzustecken.“
Die Situation in den den USA beobachtet aber auch er genau: „Die Verbreitung in Milchkühen in den USA sollte meiner Meinung nach besser eingedämmt werden. Zwar ist dieses Virus weniger gefährlich für den Menschen – bisherige Infektionen sind bisher zumeist mild verlaufen –, aber die Tatsache, dass sich das Virus in Säugetieren vermehrt erhöht auch die Gefahr, dass es sich mehr an den Menschen anpasst und irgendwann eine Mensch zu Mensch Übertragung möglich wäre.“

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Wäre Deutschland mit Impfstoffen vorbereitet?
Auch wenn es in Deutschland noch keine Erkrankungen des Menschen mit der Vogelgrippe gab, ist dennoch Vorsicht angesagt. Es wird geraten, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, gerade, wenn man im engen Kontakt mit Geflügel- oder Nutztieren arbeitet, die vielleicht infiziert sein könnten. Somit kann das Risiko einer Übertragung auf den Menschen minimiert werden. Immerhin behält die Weltgemeinschaft die Ausbreitung des Vogelgrippe-Virus im Auge.
Prof. Dr. Watzl legt Hoffnungen in Impfungen und eine bessere Vorbereitung auf eine mögliche Vogelgrippe-Pandemie als es seinerseits bei der Coronapandemie der Fall war bzw. sein konnte. „Influenza-Viren sind nicht so neu wie SARS-CoV-2. Es gibt auch schon Impfstoffe gegen H5N1, die müssten aber wahrscheinlich noch angepasst werden, wenn das Virus tatsächlich pandemisch wird. Es besteht auch die Hoffnung, dass durch frühere Influenza-Infektionen und -Impfungen eine gewisse Kreuzimmunität besteht, aber auch hier muss man sehen, wie sehr diese vor einem pandemischen Virus schützen könnte. Aber in Bezug auf Ausbreitung und Schutzmaßnahmen sind wir wahrscheinlich besser vorbereitet als bei SARS-CoV-2, obwohl man da sicherlich noch einiges verbessern könnte“, so der Immunologe.
Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) wurden tatsächlich bereits erste Impfstoffe gegen H5N1entwickelt. Weitere, auch mRNA-basierte, Impfstoffe seien in Entwicklung, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.8 Allerdings habe Deutschland bislang keine dieser Impfstoffe geordert. Das geschehe nur „im Falle einer bestehenden oder drohenden bedrohlichen übertragbaren Krankheit“, erklärte das Bundesministerium für Gesundheit. Da momentan das Risiko für eine Vogelgrippe-Pandemie gering ist, lagert man noch keine entsprechenden Impfstoffe.