3. Juli 2024, 4:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Inkontinenz kann jeden treffen – ganz gleich ob jung oder alt, Mann oder Frau. Viele Betroffene schämen sich aber so sehr dafür, dass sie keinen ärztlichen Rat einholen. Dabei gibt es gute Behandlungsmöglichkeiten.
Es ist kein schönes Gefühl, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren. Und so ist es kein Wunder, dass Harninkontinenz zu den gesundheitlichen Tabuthemen gehört. Dabei betrifft es Menschen in allen Altersschichten und Lebenssituationen. So unterschiedlich die Patienten sind, so unterschiedlich können auch die Ursachen für Inkontinenz sein. Grob gesagt gibt es zwei Varianten: die Dranginkontinenz und die Belastungsinkontinenz (früher auch als Stressinkontinenz).
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Übersicht
Belastungsinkontinenz
„Bei der Belastungsinkontinenz funktionieren Schließmuskel und Beckenboden nicht richtig“, erklärte Prof. Ursula Peschers, Direktorin der Klinik für Gynäkologie am Isarklinikum München und Mitglied im Expertenrat der Deutschen Kontinenz Gesellschaft der „dpa“. Die Belastungsinkontinenz tritt in Situationen auf, in denen der Beckenboden belastet wird. Das ist zum Beispiel beim Niesen, Husten oder Hüpfen der Fall. Frauen haben eher mit einer Belastungsinkontinenz zu kämpfen als Männer. Eine Hormonumstellung, z. B. in den Wechseljahren, kann ein Auslöser sein.
Auch eine Schwangerschaft kann zu dieser Form der Inkontinenz führen. „Häufiger kommt es vor, dass der Beckenboden bei einer Geburt so überlastet oder verletzt wird, dass danach eine Inkontinenz auftritt“, sagte Prof. Daniela Schultz-Lampel, Direktorin des Kontinenzzentrums Südwest am Klinikum Schwarzwald-Baar und ebenfalls Mitglied im Expertenrat der Deutschen Kontinenz Gesellschaft.
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Behandlungsmöglichkeiten bei der Belastungsinkontinenz
Eine Möglichkeit sind Pessare, die bei einer Belastungsinkontinenz wie ein Tampon in die Vagina eingeführt werden können. Sie unterstützen Beckenboden und Schließmuskel, beim Sport zum Beispiel. In manchen Fällen können Medikamente oder Hormone anschlagen. „Je nachdem, wo die Ursache liegt, kann man Medikamente und Therapie natürlich auch kombinieren“, sagte Schultz-Lampel. Als letzter Schritt bleibt ein operativer Eingriff. „Es kann beispielsweise ein Band eingesetzt werden, welches den Beckenboden unterstützt“, erklärte Peschers.
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Dranginkontinenz
„Bei der Dranginkontinenz ist die Blase an sich das Problem oder die Kommunikation zwischen Gehirn und Blase“, so Peschers. Diese Form der Inkontinenz äußert sich dadurch, dass Betroffene plötzlich den sehr starken Drang haben, auf Toilette gehen zu müssen und den Urin oft nicht mehr einhalten können, bis sie es in ein Badezimmer geschafft haben.
Männer können nach einer Operation an der Prostata eine Dranginkontinenz entwickeln, laut Studien, so berichtet die „dpa“, seien aber vor allem Frauen ab 50 Jahren betroffen.
„Natürlich gibt es auch Mischformen“, fügte Peschers an. Zudem könne Inkontinenz im Zusammenhang mit Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz, Diabetes, einem Schlaganfall oder bestimmten Medikamenten auftreten.
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Behandlung einer Dranginkontinenz
Lebensstil
Eine einfache Möglichkeit, die Beschwerden bei Dranginkontinenz zu lindern, ist eine Veränderung der Lebensgewohnheiten. So sollten Betroffene etwa auf Koffein und Nikotin verzichten oder ihre Trinkgewohnheiten anpassen, so die Stiftung. Es könnte zum Beispiel helfen, die Trinkmenge gleichmäßiger über den Tag zu verteilen. Bei übergewichtigen Menschen empfiehlt sich außerdem eine Gewichtsabnahme.
Blasen- und Beckenbodentraining
Beim Blasentraining wird ein Toilettenplan erstellt, der Toilettengänge zu bestimmten Zeiten vorsieht. Diese sollen auch dann eingehalten werden, wenn kein Harndrang besteht. Mit der Zeit werden die Abstände zwischen den Toilettengängen dann ausgedehnt, zudem werden Techniken zum Unterdrücken des Harndrangs erlernt.
Beim Beckenbodentraining wird hingegen die Beckenbodenmuskulatur trainiert. Diese spielt eine wichtige Rolle dabei, dass wir den Urin halten können. Beide Trainings können auch miteinander kombiniert werden.
In beiden Fällen ist laut Stiftung Gesundheitswissen aber unklar, inwiefern sie bei Dranginkontinenz wirklich helfen können. Die Aussagekraft der bisherigen Studien dazu sei aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen nur gering. Zudem würden sie methodische Mängel aufweisen.
Elektrostimulation
Für das Entleeren der Harnblase sind Nervenimpulse verantwortlich. Bei der Elektrostimulation geht es darum, die entsprechenden Nerven elektrisch anzuregen. Sie kann mit Nadeln oder Elektroden am Schienbeinnerv oder mit Elektroden am unteren Rücken erfolgen.
Zumindest für den Einsatz einer Nadel gebe es laut Stiftung Gesundheitswissen gute Studienergebnisse für den Erfolg der Behandlung. So hätten sich die Symptome der Betroffenen verbessert. Das gelte aber nur für Menschen, deren Inkontinenz nicht auf eine körperliche Ursache zurückgeht.
Medikamente
Medikamenten zum Einsatz. Eine Art von Medikamenten soll dem übermäßigen Zusammenziehen der Muskeln in der Harnblasenwand entgegenwirken. Die andere Art soll die Muskulatur entspannen und so zu einer gesteigerten Speicherkapazität der Blase führen. Bei der Behandlung kann auch eine Kombination aus beiden Wirkstoffen eingesetzt werden.
Zudem gibt es auch Behandlungen mit Botox. Dabei wird das Nervengift in die Muskelwand der Blase gespritzt, um die Blasenmuskulatur vorübergehen zu lähmen. Diese Methode ist aber nicht für alle Patientinnen und Patienten geeignet und kann zu Nebenwirkungen wie einer Infektion der Harnwege führen.
Haben die Beschwerden eine hormonelle Ursache, kommt außerdem eine Behandlung mit Östrogen infrage.
Operationen
Im schlimmsten Fall kommen auch verschiedene Operationen gegen die Dranginkontinenz zum Einsatz. Ein Harnblasenschrittmacher kann über Elektroden etwa die Aktivität der Blasenmuskulatur normalisieren. Möglich ist auch eine Harnblasenvergrößerung durch Teile des Darms. Zuletzt kann außerdem ein Katheter helfen, der den Urin dauerhaft über einen Schlauch aus der Blase ableitet.
Psychotherapie
Manchmal ist die Ursache für eine Dranginkontinenz keine rein körperliche. Auch unterdrückte Aggressionen oder Ängste können laut Stiftung Gesundheitswissen Auslöser sein. In diesen Fällen kann eine Psychotherapie helfen.
Eine erste Version dieses Artikels ging 2020 online
Mit Material von dpa