4. Januar 2024, 16:41 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Glioblastome sind die auffälligsten im Erwachsenenalter auftretenden Tumoren des Gehirns. Sie sind äußerst aggressiv und lassen bis jetzt keine realen Chancen auf Heilung zu. Auftreten können sie überall da, wo sich Hirnstützgewebe befindet – also auch in Hirnregionen, in denen etwa Riechen oder moralische Denken sitzt. Das ist tückisch, denn die Symptome hängen davon ab, wo der Tumor sitzt.
US-Senator John McCain war von einem Glioblastom betroffen, genauso der deutsche Schriftsteller Wolfgang Herrndorf („Tschick“), der seine Situation auf berührende Weise im Buch „Arbeit und Struktur“ beschrieben hat. Zuletzt berichteten deutsche Medien in dem Zusammenhang über den Tod des Filmemachers Johannes Honsell. Der Erfinder von „Checker Tobi“ starb am 27. Dezember, nachdem er erst wenige Wochen zuvor über Kopfschmerzen geklagt haben soll.1 Was die Symptome des Glioblastoms so tückisch macht, dazu sprach FITBOOK mit zwei Experten: einem Neurologen sowie einem Onkologen.
Übersicht
- Zahlen und Fakten zum Glioblastom
- Neurologe: »Lokalisation ist Zufall – Symptome hängen davon ab, wo das Glioblastom sitzt
- Glioblastom bleibt an gewissen Stellen „stumm“ – man merkt ihn nicht
- Symptome: Keine Panikmache bei Kopfschmerzen
- Was bislang über die Ursachen des Glioblastoms bekannt ist
- Warum man Glioblastome nicht erfolgreich herausoperieren kann
- Therapiemöglichkeiten
- Wo steht die Forschung mit neuen Medikamenten?
- Quellen
- Quellen
Zahlen und Fakten zum Glioblastom
Jährlich erkranken in Deutschland rund 8000 Menschen neu an unterschiedlichen Gehirntumoren.2 (Zum Vergleich die Neuerkrankungen bei Dickdarmkrebs: 55.000, Prostatakrebs: 66.000, Brustkrebs: 70.000)3. Am gutartigen Ende der Skala rangiert das Meningeom. Der häufigste Hirntumor bei Erwachsenen wächst von den Hirnhäuten aus. Er kann in den meisten Fällen durch eine Operation vollständig entfernt und geheilt werden. Am bösartigen Ende der Hirntumoren rangiert das Glioblastom: diffus in die Hinstruktur hineinwachsend, hochaggressiv und immer tödlich. Laut dem Onkologen Dr. med. Rainer Lipp beträgt die mittlere Überlebenszeit insgesamt nur 15 bis 18 Monate. Auch wenn man – je nach molekularbiologischem Muster des Tumors und Operationsergebnis – mit einem Glioblastom auch noch mehrere Jahre überleben kann, zeigen Untersuchungen, dass nach zwei Jahren oft nur noch drei bis 26,5 Prozent der Patienten leben.4 „Nach fünf Jahren“, schätzt der Neurologe Prof. Dr. med. Frank Erbguth im Gespräch mit FITBOOK, „leben noch etwa fünf Prozent der Betroffenen“.
Neurologe: »Lokalisation ist Zufall – Symptome hängen davon ab, wo das Glioblastom sitzt
Glioblastome sind also immer hochaggressiv. Doch die Bösartigkeit sei nur das eine große Kriterium, wenn es um die Frage nach Symptomen und Therapieoptionen geht (die im Fall des Glioblastoms sehr beschränkt sind, wie wir später noch sehen werden). Das andere Kriterium sei die Frage, wo im Gehirn das Glioblastom genau sitze, erklärt Erbguth. Auftreten könne es grundsätzlich überall da, wo Glia sitzt, also Hirnstützgewebe, so der Präsident der Deutschen Hirnstiftung zu FITBOOK. Also in jeder Ecke des Gehirns, die Größe reicht von Haselnuss bis Apfel. Während die Lokalisation Zufall sei, „hängen die Symptome eines Glioblastoms davon ab, wo im Gehirn es sitzt“.
Glioblastom bleibt an gewissen Stellen „stumm“ – man merkt ihn nicht
Weshalb es genau diese Eigenschaft sei, die Glioblastome so tückisch mache, erläutert der Neurologe folgendermaßen: „Wächst es in Hirnregionen, die in ihrer Funktion nicht so dicht benötigt werden, merkt man die Erkrankung recht spät.“ Ein Beispiel sei das Frontalgehirn, in dem unter anderem das Riechen und das moralische Denken sitzen. Ein Glioblastom, das hier sitze, bleibt laut Erbguth „stumm“. Wer denkt bei verändertem Wesen oder Verhalten schon an einen Hirntumor?
Ganz anders läuft es hingegen, wenn das Glioblastom etwa an einer Stelle wächst, an der die Bewegung gesteuert wird. Erbguth zu FITBOOK: „Dann merkt man das sehr schnell.“ Die Symptome seien dieselben wie bei einem Schlaganfall: Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, Sehstörungen, Krampfanfälle. Doch anders als beim Schlaganfall würden die Störungen bei einem Hirntumor nicht schlagartig, sondern peu à peu auftreten, erklärt der Experte den Unterschied.
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Symptome: Keine Panikmache bei Kopfschmerzen
Beim Thema Kopfschmerzen – die häufig im Zusammenhang mit Berichten von Betroffenen genannt werden – warnt Erbguth nachdrücklich vor Panikmache: Zwar könnten diese durchaus ein Merkmal sein, weil sich um den Tumor herum ein Ödem bilde, welches im Kopf Druck erzeuge und Schmerzen verursache – jedoch sei „die Wahrscheinlichkeit, bei heftigen Kopfschmerzen einen Gehirntumor zu haben, relativ gering“. Abgeklärt werden sollten Kopfschmerzen, die über mehrere Wochen durchgehend anhalten oder kontinuierlich stärker werden, so Erbguth. Diese Ansicht teilt auch der Onkologe Rainer Lipp, Geschäftsführer der Stiftung Deutsche Onkologie.
Was bislang über die Ursachen des Glioblastoms bekannt ist
Zu den Ursachen eines Glioblastoms gibt es bislang leider wenig wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine genetische Disposition gelte als wahrscheinlich, zweifelsfrei belegt sei diese jedoch bisher nicht, so der Neurologe Frank Erbguth. Im Gespräch mit FITBOOK ergänzt er: „Es ist ein Stück Schicksal.“ Vorsorgeuntersuchungen, etwa durch bestimmte Marker im Gehirn, wie dies inzwischen bei Demenz oder Parkinson möglich ist (FITBOOK berichtete), gebe es für das Glioblastom derzeit noch nicht. Entkatastrophisieren will der Mediziner in Bezug auf Mobilgeräte, die immer wieder als mögliche Ursache im Gespräch sind. „Das Handy fördert Hirntumoren nicht“, stellt Erbguth klar. Studien, die seit mehr als 20 Jahren andauern, widerlegen einen entsprechenden Zusammenhang ebenfalls.5
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Warum man Glioblastome nicht erfolgreich herausoperieren kann
Eine Besonderheit nicht nur des Glioblastoms, sondern aller Hirntumoren ist die Tatsache, dass sie nicht in andere Organe metastasieren. Auch hier tappt die Wissenschaft noch etwas im Dunkeln. Experten wie der Onkologe Rainer Lipp vermuten als Grund das Fehlen des Anschlusses an die systemische Blutversorgung (Blut-Hirn-Schranke) und das Fehlen von lymphatischem Gewebe. Doch wenn dem so ist – Glioblastome also nicht streuen – weshalb kann man sie dann nicht erfolgreich herausoperieren?
Sieht man von der Tatsache ab, dass Glioblastome (unabhängig von ihrer Größe) extrem schwer zu operieren sind, „weil der Abstand zu gesunden Hirnarealen sehr gering ist“, wie Lipp erläutert, gibt es noch eine Besonderheit. Neurologe Frank Erbguth berichtet: „Glioblastome entstehen und wachsen zwar lokal, bilden jedoch bereits sehr früh eine Art Satellitensystem aus in Hirnregionen, die nicht scharfgestellt sind, aber dann aufflammen, wenn das Glioblastom attackiert wird“. Moderne Forschung zeige, dass Glioblastome nach einer Operation oder Bestrahlung diese anderen Zellen „informiert“. Drastisch gesagt à la: „Jetzt müsst ihr den Job machen“.
Therapiemöglichkeiten
Wie bereits erwähnt, sind die Behandlungsmöglichkeiten des Glioblastoms bislang noch sehr überschaubar. Mit einer Biopsie und feingeweblichen Untersuchung bei der Operation wird die Diagnose gesichert. „Gelingt eine vollständige Operation nicht, können viele der folgenden Maßnahmen nur noch das Leben verlängern und die Lebensqualität verbessern“, so der Onkologe Rainer Lipp zu FITBOOK. Üblich sei – nach einer Operation – die Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie in Tablettenform. Rund drei bis vier Monate Lebenszeit können Betroffene mit der relativ neuen Tumortherapiefelder-Methode (TTF, auch Tumor Treating Fields oder TTFields genannt) gewinnen, was in Studien gezeigt werden konnte: Elektroden am Kopf schicken elektromagnetische Energie an den Tumor. Die Maßnahme ist sehr anstrengend für den Patienten: Er muss einen Rucksack mit der Technik tragen, denn die Stimulation muss dauerhaft erfolgen.
Wo steht die Forschung mit neuen Medikamenten?
Hoffnung macht der Onkologe für neue Medikamente, die „vor allem auf spezielle molekulare Muster der Tumoren ausgerichtet sind und schätzungsweise in den nächsten zwei bis fünf Jahren auf den Markt kommen werden“. Den ganz großen Durchbruch im Kampf gegen die aggressiven Glioblastome mit dauerhafter Heilung werde das jedoch nicht bringen, dämpft der Experte die Erwartungen. Hier steht nach wie vor die Operation im Vordergrund, die vor allem bei früher Erkennung erfolgreich sein kann.