19. Juni 2023, 10:57 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wie ist es bei Ihnen? Schnürt sich in stressigen Phasen Ihr Magen förmlich zu und Sie verlieren den Appetit? Oder gehören Sie eher zu den Stressessern? Derartige Reaktionen wirken sich logischerweise auf das Gewicht aus. Doch es spielen noch weitere, körperliche Prozesse eine Rolle dabei, ob man durch Stress eher zum Abnehmen oder Zunehmen neigt. FITBOOK hat darüber mit einem Arzt gesprochen.
Wenn im Bekanntenkreis jemand sichtbar an Gewicht zugenommen hat, lautet die Erklärung in vielen Fällen: Die Person hatte zuletzt viel Stress. Doch es geht auch umgekehrt, ein deutlicher Gewichtsverlust kann mit seelischen oder körperlichen Belastungsphasen zusammenhängen. Menschen reagieren auf Stress unterschiedlich – sowohl was das reine Essverhalten als auch Prozesse auf körperlicher Ebene betrifft. FITBOOK erklärt es genauer.
Übersicht
Abnehmen oder Zunehmen durch Stress – das steckt dahinter
Wer z. B. im Job viel zu tun hat und den Tag scheinbar nur meistern kann, wenn er sich zwischendurch mit einem Griff in die Pralinenschachtel belohnt, ist natürlich geneigt, zuzunehmen. Insbesondere, wenn – vielleicht ebenfalls aufgrund von Stress – die Zeit für ausreichend Bewegung fehlt und die zusätzlichen Kalorien nicht durch körperliche Aktivität verbrannt werden.
Auf der anderen Seite des Spektrums, quasi dem Stressesser gegenübergestellt: Menschen, die in Belastungsphasen nichts herunterbekommen. Dies kann einerseits zeitlich bedingt sein – man kommt schlichtweg nicht dazu, sich gut zu ernähren. Anderen können z. B. Liebeskummer oder Leistungsdruck im übertragenen Sinn den Magen zuschnüren.
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„Die Stressverarbeitung ist extrem unterschiedlich“, bestätigt Internist und Ernährungsmediziner Dr. med. Mattias Riedl. „Manche versuchen, ihre Stimmung mit Essen zu manipulieren.“ Dies wären die angeführten Menschen, die sich etwa mit Schokolade oder Fast Food vermeintlich etwas Gutes tun wollen. Dass Stress den Appetit verschlägt, sei dagegen etwas seltener. „Die körperliche Grundlage dafür ist eine Aktivierung des Sympathikus“, erklärt Riedl. Dies habe verschiedene Auswirkungen auf den Körper.
Physiologische Prozesse durch Aktivierung des Sympathikus
Der Sympathikus ist (neben dem Parasympathikus) ein Teil des vegetativen Nervensystems und wird in Stresssituationen aktiviert. Er versetzt den Körper in den „Fight or Flight“ („Flucht-oder-Kampf“)-Modus. Dies führt zu einer Reduktion der Verdauung und des Appetits, erschwerter Blasenentleerung und einer Unterdrückung der analen Kontraktion. Außerdem wird der Pulsschlag erhöht. Weiterhin bewirkt die Aktivierung des Sympathikus eine vermehrte Herzschlagkraft und kann daneben Aggressionen und Unruhe auslösen.
Es handelt sich um einen evolutionär bedingt wichtigen Prozess, der uns einst dazu befähigt hat, etwa vor wilden Raubtieren zu flüchten. Der Modus ermöglicht eine schnelle Leistungssteigerung und verbesserte Konzentration. Auf rein körperlicher Ebene kann er einen Toilettendrang oder ein Hungergefühl unterdrücken, wenn man einen Meeting-Marathon überstehen muss. Für die kurzfristige Reaktionsschnelle kann der Modus, der ein hohes Maß an Anspannung bedeutet, also hilfreich sein. Als Dauerzustand wäre er problematisch, dazu später mehr.
Reizdarm-Patienten und Stress
Für Menschen mit Reizdarmsyndrom ist Stress ein besonderes Thema. Bei ihnen sind es zumeist psychische Belastungen, die sich auf den Magen-Darm-Trakt auswirken können – auf jeweils unterschiedliche Weise. Einerseits ist es möglich, dass Betroffene auf akute Stressphasen mit Verstopfung reagieren. Andere dagegen haben ständig mit Durchfällen zu kämpfen und verlieren dadurch viel an Flüssigkeit und Nährstoffen. Hier ist ein Gewichtsverlust vorprogrammiert.
Das Stresshormon Cortisol beeinflusst den Kalorienverbrauch
In akuten Stressphasen kann die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol den Kalorienverbrauch erhöhen. Denn es kostet den Körper natürlich Energie, physisch und mental bereit zu sein für die Flucht oder den Kampf. Der gesamte Stoffwechsel ist in diesen Phasen deutlich aktiver. Menschen, die empfindlich auf Cortisol reagieren, verbrennen in der Folge mehr Kalorien. Wenn dieser Verbrauch nicht ausreichend durch eine umfassende Ernährung ausgeglichen wird, geht der Körper früher oder später an die Reserve und baut etwa Muskelmasse ab.
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Stress ist kein Abnehmmittel!
Aber Achtung: Gemeint sind hier akute Stressphasen. Sobald der Stress chronisch wird, beginnt der Körper laut Ernährungsmediziner Dr. Riedl mit Kompensation. Zu den möglichen Folgen gehören vermehrte Müdigkeit, eine beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit, seelische Verstimmungen sowie Libidoverlust und Verdauungsprobleme. Stress ist – spätestens dauerhaft – alles andere als gesund für den Körper. Dauerhaft schwächt er das Immunsystem und verlangsamt etwa die Wundheilung. Daneben thematisieren Studien immer wieder, dass Stress auf Dauer zur Gewichtszunahme führt. Denn Cortisol kann den gesamten Fettstoffwechsel beeinträchtigen und so zu Fetteinlagerungen führen. Als vermeintliches Abnehmmittel ist (künstlicher) Stress unter keinen Umständen geeignet, da er krank machen kann!
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Cortisol und Muskelaufbau
Kraftsportler fürchten Stress grundsätzlich. Es ist bekannt, dass das Stresshormon Cortisol die Proteinsynthese, also die Neubildung von Proteinen in lebenden Zellen, hemmt. In dieser Hinsicht gilt Cortisol als Gegenspieler von Testosteron. Das Sexualhormon aktiviert die Proteinsynthese und ist daher so wichtig für den Muskelaufbau.
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Versuchen Sie, Ihren Stress zu reduzieren
Es ist nicht immer möglich, sich in stressigen Phasen Auszeiten zu nehmen. Versuchen Sie trotzdem, freie, wenn auch kurze Zeiten für sportliche Betätigungen zu nutzen. Vermeiden Sie es, sich zu viele Termine zu legen, denn das erhöht nur den Stress. Was sich aufschieben lässt – aufschieben. Daneben gibt es einige Lebensmittel, die laut einer Studie das Stressempfinden reduzieren können.
Aber machen Sie bitte sich nicht verrückt! Gestresst zu sein, weil man gestresst ist, führt am Ende zu noch mehr Stress. Es kann immer mal zu belastenden Phasen kommen, das muss nicht direkt zum Gesundheitsproblem werden oder das Gewicht beeinflussen. Achten Sie auf sich und tun Ihr Mögliches, um die Zeit zu überstehen. Jobs oder (private) Verbindungen dagegen, die dauerhaft mit Stress verbunden zu sein scheinen, gilt es, zu überdenken.