18. September 2021, 17:33 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Für viele scheint es leider schon so normal zu sein, dass es gar nicht mehr infrage gestellt wird: den ganzen Tag den Bauch einzuziehen. Schließlich will man schlank aussehen. Keine Wölbungen sehen. Manche machen das schon seit Jahren, sogar Jahrzehnten. Welche Auswirkungen das auf den Körper hat, erklärt Luise Walther, Expertin für neurozentriertes Training und Personal Trainerin aus Berlin.
Bauch rein, Brust raus – oft reicht ein Auslöser, eine Bemerkung oder ein Kommentar und sofort heißt es: Luft anhalten und Bauch einziehen. Auch wenn dieses Verhalten zunächst harmlos erscheint und einen dünner aussehen lässt, das ständige Baucheinziehen sorgt jedoch für Spannungen des Zwerchfells und der Beckenbodenmuskulatur.
Übersicht
Bauch einziehen für einen stabilen Rumpf?
Immer noch bekommt man zum Teil von Ärzten, Trainern und Therapeuten den Tipp, den Bauch den tagsüber anzuspannen. Das soll angeblich helfen, den Rumpf zu stabilisieren. Tatsächlich ist die Stabilisierung unserer Körpermitte aber nicht davon abhängig, ob wir bewusst unsere Bauchmuskeln anspannen. Im Gegenteil: Unsere Körperhaltung wird durch Reflexe gesteuert. Dies passiert durch das Zusammenspiel der drei bewegungssteuernden Systeme:
- das visuelle System
- der Gleichgewichtssinn
- die Bewegung
Die Körperhaltung ist zum größten Teil von unseren Augen und unserem Gleichgewicht abhängig. Diese Steuerung passiert automatisch, ohne dass wir darüber nachdenken oder aktiv etwas machen müssen. Es wird vom autonomen Nervensystem gesteuert, auf das unser Bewusstsein keinen Einfluss hat. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir nicht willentlich unsere Körperhaltung beeinflussen können. Wenn man den ganzen Tag den Bauch einzieht, überfordert man daher den Körper und vor allem das Nervensystem.
Wenn Baucheinziehen zum Automatismus wird
Führt man eine Handlung oft genug aus, wird sie zu einem automatischen Verhalten. Um im Alltag leichter Entscheidungen treffen zu können, werden Dinge, die man immer wieder macht, in eine automatische Verhaltensschleife gespeichert. Das passiert zum Beispiel beim Zähneputzen. Egal wie schlaftrunken man morgens sein mag, man muss nicht großartig darüber nachdenken, wie man die Zahnpasta auf die Zahnbürste bekommt und mit welchen Bewegungen man die Zähne putzen muss. Hier wird eine automatische Verhaltensschleife abgespult, die man seit Jahren und Jahrzehnten täglich trainiert hat.
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Wer also in frühen Jugendjahren anfängt, seinen Bauch einzuziehen, macht daraus im Laufe der Zeit ein automatisches Verhalten. Nur dass das Baucheinziehen im Gegensatz zum Zähneputzen keine gesundheitlichen Vorteile bringt. Zum besseren Verständnis: Damit ist dauerhaftes und regelmäßiges Baucheinziehen gemeint, das nicht im Rahmen eines Trainings geschieht. Als Teil eines gezielten Workouts nutzt es natürlich etwas, den Bauch kurzzeitig anzuspannen.
Was passiert im Körper, wenn man dauerhaft den Bauch einzieht?
- Das ständige Baucheinziehen verändert das Atemmuster. Durch das Anspannen der Bauchmuskulatur atmet man automatisch weniger in den Bauch. Stattdessen verlagert sich die Atmung auf den Brustkorb. Dadurch atmet man flacher und häufiger. Statt das gesamte Lungenvolumen zu nutzen, verringert sich mit jedem Atemzug die Menge an Luft, die man einatmen kann. Um den Körper noch ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen, können am Tag statt der normalen 20.000 bis 25.000 Atemzüge 35.000 bis 40.000 Atemzüge nötig werden. Gleichzeitig reduziert die verminderte Bauchatmung die Belüftung der Lunge
- Durch die reduzierte Bauchatmung werden das Zwerchfell und der Beckenboden weniger benutzt. Das Zwerchfell ist der Hauptatemmuskel. Es zieht sich kuppelförmig durch den gesamten Bauchraum und trennt die Lunge von den restlichen Organen. Der Beckenboden setzt am Schambeinknochen an und zieht durch das gesamte Becken bis zum Steißbein. Es bildet den Gegenpart zum Zwerchfell. Zusammen bauen diese beiden Muskeln mit jedem Atemzug einen gleichmäßigen Druck auf die Organe auf. Bekommen die Organe dagegen weniger Bewegungsimpulse, können sie nur noch reduziert arbeiten. Das kann zu Verdauungsproblemen führen. Typische Symptome sind ein aufgeblähter Bauch, Blähungen oder unregelmäßiger Stuhlgang.
- Gerade bei Frauen kann das ständige Baucheinziehen und die Spannung im Unterbauch Menstruationsbeschwerden verstärken. Durch die angespannten Strukturen wird auch die Gebärmutter weniger mobilisiert. Die Spannung auf der Beckenbodenmuskulatur führt dazu, dass Krämpfe, die ganz natürlich während der Periode auftreten, intensiver wahrgenommen werden.
- Wenn sich die dauerhafte Spannung der Bauchmuskulatur auf die Beckenbodenmuskulatur überträgt, kann das zu Libidoverlust führen – bei Männern und Frauen. Das kann bis zu Problemen beim Orgasmus gehen.
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- Die gleichmäßige Druckbe- und Entlastung durch Beckenboden und Zwerchfell beeinflusst auch die Versorgung der Bandscheiben. Die gesamte Atemmuskulatur und Rumpfmuskulatur werden abwechselnd an- und entspannt. Das Zwerchfell und auch die Beckenbodenmuskulatur sind direkt mit der Bauch- und Rückenmuskulatur verbunden. Jeder Atemzug in den Bauch mobilisiert also auch die Bauch- und Rückenmuskulatur. Findet die Bauchatmung nur noch reduziert statt, werden also auch diese Muskeln nur noch eingeschränkt mitbewegt.
- Die dauerhafte Anspannung der Bauchmuskeln führt zu verringerter Aktivität der Rückenmuskulatur. Dadurch kann es besonders zu Beschwerden im unteren Rücken kommen.
Auf die gesundheitlichen Probleme, die durch ständiges Baucheinziehen auftreten können, machte vor Kurzem übrigens auch Madeleine Darya Alizadeh, österreichische Autorin und Influencerin, aufmerksam. Bei „Instagram“ berichtete sie sie offen von Beschwerden wie extremen Periodenkrämpfen und ihrer jahrelangen Angewohnheit, den Bauch einzuziehen, um schlanker auszusehen.
Bauch lieber trainieren, statt einziehen
Dauerhaft den Bauch einziehen, bringt also keinerlei gesundheitliche Vorteile. Denn die Organe brauchen Platz, um optimal arbeiten zu können. Wer sich aber trotzdem nur mag, wenn der Bauch sich möglichst wenig vorwölbt, dem sei zu empfehlen, den Bauch zu trainieren, statt ihn einzuziehen.
Aber wer viel Zeit damit verbracht hat, den Bauch einzuziehen, weiß womöglich gar mehr, wie man ihn entspannt. Keine guten Voraussetzungen fürs Training. Denn nur ein Muskel, der entspannen kann, kann auch maximal anspannen.
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Übungen für einen entspannten Bauch
Bauchatmung mit Druck durch beide Hände vorne
Aufrecht hinstellen und beide Hände auf den Bauch legen. Tief und gleichmäßig durch die Nase ein- und wieder ausatmen. Dabei versuchen, bewusst in den Bauch zu atmen. Wenn das schwerfällt, dann beide Hände leicht in den Bauch drücken und gegen diesen Widerstand atmen. Noch intensiver kann man die Bauchatmung wahrnehmen, wenn man beide Hände leicht in den Bauch drückt und dann nach oben zum Brustkorb schiebt. Darauf achten, nur eine kleine Bewegung auszuführen. Durch den gleichmäßigen Druck entspannt sich die Bauchmuskulatur und das Zwerchfell kann sich besser ausdehnen. Dadurch fällt die Bauchatmung leichter.
Bauchatmung mit Druck auf Bauch und Rücken
Aufrecht hinstellen und gleichmäßig durch die Nase ein- und ausatmen. Eine Hand auf den Bauch und eine Hand auf den Rücken legen. Bei der Atmung darauf achten, beide Hände leicht in den Rumpf zu drücken und sich dabei auf die Bewegung zu fokussieren. Wenn es einfacher fällt, kann man auch hier beide Hände mit leichtem Druck nach oben Richtung Brustkorb schieben. Damit nimmt man Spannung aus dem Bauchraum und die Atmung wirr gleichmäßiger.
Bauchatmung mit einer Hand auf dem Bauch und einer Hand auf dem Brustkorb
Um das natürliche Atemmuster zu trainieren, eine Hand auf den Bauch und eine Hand auf den Brustkorb legen. Gleichmäßig durch die Nase ein- und wieder ausatmen. Darauf achten, welche Hand sich wann bewegt. Was passiert bei der Einatmung und was bei der Ausatmung? Auch wenn es anfangs schwerfallen mag, durch das Auflegen der Hände bekommt das Gehirn zusätzliche Informationen. Das führt automatisch zur Verbesserung der Atmung.
Erst, wenn man es schafft, diese drei Übungen gut durchführen, sollte man damit beginnen, die Bauchmuskulatur gezielt zu trainieren. Und das heißt auch: Außerhalb des Workouts nicht mehr ständig den Bauch einziehen.