
11. April 2025, 12:58 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mit dem Alter scheint das Gehirn oft langsamer zu werden – doch eine bestimmte Fähigkeit verrät mehr über unsere verbleibende Lebenszeit, als man bislang dachte. Eine neue Langzeitstudie aus Deutschland zeigt, dass ein einfacher Sprachtest ausreichen könnte, um das Risiko für einen frühen Tod besser einzuschätzen.
Was sagt unsere Art zu sprechen über unsere Lebensdauer aus? Dieser spannenden Frage ist ein internationales Forschungsteam nachgegangen, das über 18 Jahre lang ältere Menschen in Berlin begleitet hat. Die Ergebnisse dieser bislang einzigartigen Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung stellen gängige Annahmen über Intelligenz im Alter infrage. Statt auf den IQ oder das Gedächtnis kommt es offenbar auf unsere Sprachfähigkeit an. Wie ein einfacher Sprachtest die Lebenserwartung bestimmen kann, erfahren Sie bei FITBOOK.
Übersicht
Was die Wissenschaftler untersuchten
Schon lange ist bekannt, dass Intelligenz die Lebenserwartung beeinflusst. Doch welche kognitive Fähigkeit diesen Zusammenhang am stärksten prägt, war bisher unbekannt. Ist es unser Gedächtnis, die Sprachfähigkeit oder die Verarbeitungsgeschwindigkeit? Ein internationales Forschungsteam hat sich dieser Frage angenommen und Senioren hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten untersucht.1
Ziel der Studie war es herauszufinden, ob bestimmte kognitive Leistungen den Zeitpunkt des Todes vorhersagen können. Dabei kam es sowohl auf aktuelle Werte sowie deren Veränderung im Laufe der Zeit an. Denn der geistige Abbau im Alter kann Hinweise auf gesundheitliche Risiken geben.
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Daten stammen aus Berliner Studie
Die Analyse basiert auf Daten der Berliner Altersstudie (BASE), einer der umfassendsten Längsschnittstudien zum Altern in Deutschland. Insgesamt wurden die Daten von 516 Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 84,9 Jahren untersucht. Die Datenerhebung erfolgte zu acht Untersuchungszeitpunkten mit einer maximalen Nachbeobachtungszeit von 18,36 Jahren (mittlere Studiendauer: 4,04 Jahre). Zu Beginn dieser Untersuchung waren bereits alle Probanden verstorben – ihre verbliebene Restlebenszeit seit der Tests war also bekannt.
Die Studienautoren untersuchten die kognitiven Fähigkeiten ihrer Probanden in vier Bereichen:
- Verarbeitungsgeschwindigkeit
- Episodisches Gedächtnis (autobiografisches Wissen, kein Faktenwissen)
- Wortflüssigkeit
- Wortwissen
Dabei mussten die Probanden neun Tests aus diesen Feldern absolvieren. Darunter etwa Paare merken (Gedächtnis), der Zahlen-Symbol-Test (Verarbeitungsgeschwindigkeit) sowie Tiere oder Wörter mit ‚s‘ aufzählen (Wortflüssigkeit). Bei diesen Tests sollten die Teilnehmer innerhalb von 90 Sekunden möglichst viele verschiedene Tiere oder reale Wörter mit nennen.
So geht der Test:
Wie viele verschiedene Tiere können Sie in 90 Sekunden aufsagen?
Zu Vergleichszwecken wurde ein Intelligenzindex auf Basis der kognitiven Ergebnisse berechnet. Die kognitiven Verläufe wurden in einem sogenannten „gemeinsamen multivariaten longitudinalen Überlebensmodell“ (JMLSM) analysiert. Dieses Verfahren ermöglicht es, den Einfluss der tatsächlichen geistigen Leistung sowie deren Änderungsrate auf das Sterberisiko zu berechnen. In der Berechnung wurden Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status und Verdacht auf Demenz als Kontrollvariablen berücksichtigt.
Tiere aufzählen sagt Sterblichkeit voraus
Die entscheidende Erkenntnis der Wissenschaftler: Nur die beiden Sprachtests zur Wortflüssigkeit – „Tiere aufzählen“ und „Wörter mit ‚s‘ nennen“ – sagten die Lebenserwartung eindeutig voraus. Je besser die Leistung in diesen Aufgaben war, desto geringer das Sterberisiko. Genauer: Pro genanntem Tier verringerte sich das Risiko um fünf Prozent, pro zusätzlichem „s“-Wort um drei Prozent. Besonders deutlich wurde der Unterschied in den Überlebenswahrscheinlichkeiten: Personen, die zu einem Untersuchungszeitpunkt viele Tiere aufzählen konnten (33 Stück), lebten noch etwa 12 Jahre, während diejenigen, die nur wenig Tiere nennen konnten (etwa 11 Stück), noch etwa drei Jahre vor sich hatten. In den anderen kognitiven Bereichen zeigte sich kein eindeutiger Zusammenhang. Ebenso wenig sagte der Intelligenzindex die Lebenserwartung zuverlässig voraus.
Bemerkenswert ist auch: Nicht die Änderungsrate (also ob jemand schneller abbaut) war entscheidend, sondern der aktuelle Leistungsstand. Wer zu einem aktuellen Untersuchungszeitpunkt viele Wörter aufzählen konnte, hatte bessere Überlebenschancen – unabhängig davon, wie stark seine kognitive Leistung zuvor abgenommen hatte.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Befunde sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass es bei der Frage nach der Lebenserwartung im Alter nicht nur auf den IQ ankommt, sondern auf die Fähigkeit, schnell und flexibel mit Sprache umzugehen. Die Tests zur Wortflüssigkeit legen offenbar die Funktionsfähigkeit wichtiger Hirnregionen offen, insbesondere des Stirnhirns und limbischer Areale. Diese sind zentral für komplexe kognitive Prozesse, die mit Gesundheit und Selbstständigkeit im Alter in Verbindung stehen.
Für ältere Menschen bedeutet das: Wer regelmäßig sprachlich aktiv ist, trainiert nicht nur sein Gehirn, sondern investiert womöglich direkt in seine Lebenserwartung. Als „Trainingsmethoden“ kommen z. B. Geschichten erzählen, Schreiben oder Denksportaufgaben infrage.
Einordnung der Studie
Die Studie besticht mit methodischer Präzision und Tiefe. Durch die Verwendung JMLSM wurde nicht nur die aktuelle kognitive Leistung berücksichtigt, sondern auch deren Verlauf – unter gleichzeitiger Kontrolle anderer Einflussfaktoren. Dadurch konnten Verzerrungen vermieden werden, wie sie in früheren Studien mit einfacheren Verfahren oft auftraten.
Allerdings gibt es auch Einschränkungen: Die Stichprobe der Probanden war nach Alter und Geschlecht geschichtet, wodurch Männer und Hochaltrige überrepräsentiert waren. Zudem war das Durchschnittsalter mit rund 85 Jahren bereits sehr hoch, weshalb die Ergebnisse nur eingeschränkt auf jüngere Altersgruppen übertragbar sind. Die kognitive Erhebung fand über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten statt, was für die Aussagekraft spricht, aber auch technologische Veränderungen und mögliche Selektionsverzerrungen (z. B. durch Ausfälle) mit sich bringt.
Zudem wurde die Berliner Altersstudie in den frühen 1990er-Jahren im damaligen West-Berlin gestartet, weshalb kulturelle und historische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Dennoch: Die Ergebnisse wurden durch umfangreiche Sensitivitätsanalysen abgesichert und erscheinen robust.

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Fazit
Diese Studie zeigt eindrucksvoll, dass ein Sprachtest für die Wortflüssigkeit im Alter ein starker und unabhängiger Prädiktor für die Lebenserwartung ist – sogar stärker als Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit oder allgemeine Intelligenz. Wer regelmäßig sprachlich aktiv ist, könnte dadurch seine Lebenserwartung messbar beeinflussen. Die Studie unterstreicht damit auch die Bedeutung sprachlicher Übungen für das kognitive und im hohen Alter.