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Kopfweh, Bauchschmerzen...

Sollte man Schmerzen besser aushalten oder sofort eine Tablette nehmen?

Frau hat Schmerzen am Kopf und nimmt Tabletten
Schmerzen aushalten oder eine Tablette nehmen? Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort, wie Experten erklären. Foto: Getty Images

4. Juli 2024, 17:12 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Drückende Kopfschmerzen, Magenkrämpfe oder das unangenehme Ziehen im Rücken – jeder hat das wohl schon durchebt. Doch was ist eigentlich das Beste bei Schmerzen? Sollte man sofort ein Schmerzmittel einnehmen oder es lieber darauf verzichten? FITBOOK ist diesen Fragen mithilfe von zwei Experten auf den Grund gegangen.

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Die einen scheinen stets eine kleine Apotheke mit sich herumzutragen, um auf alles vorbereitet zu sein. Die anderen verzichten auf Tabletten und trotzen Schmerzen, solange es geht. Doch was empfehlen eigentlich die Experten? Sollte man Schmerzen aushalten oder sofort eine Tablette nehmen? FITBOOK hat bei zwei renommierten Schmerzexperten nachgefragt.

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Die Experten

  • Prof. Dr. Dominik Irnich ist Leiter der interdisziplinären Schmerzambulanz an der Klinik für Anästhesiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem ist er Vorsitzender der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur.
  • Prof. Dr. Göbel ist Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie, Psychologie und Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. Er hat zur Psychophysik des Schmerzes dissertiert.

Warum haben wir Schmerzen?

Niemand mag Schmerzen. Sei es der Kopfschmerz, der bei der Arbeit stört, das Magenstechen nach dem Mittagessen oder die Wunde, die Ärger bereitet. Unabhängig davon, ob man Schmerzen aushalten oder eine Tablette nehmen sollte, haben Schmerzen eine wichtige Funktion für unseren Körper. Das betont der Münchner Schmerzexperte Prof. Dr. Irnich im Gespräch mit FITBOOK: „Schmerz hat eine Schutz- und Warnfunktion. Da gibt der Körper ein Signal, dass irgendetwas nicht stimmt.“ Schmerz könne körperlichen oder psychischen Ursprungs sein. Auch soziale Faktoren könnten eine Rolle spielen.

Akute von chronischen Schmerzen unterscheiden

Bei Schmerzen unterscheiden Experten zwischen akuten und chronischen Schmerzen. Ein akuter Schmerz hat eine klar erkennbare Ursache und ist im besten Fall nach kurzer Zeit wieder weg. Dazu zählen zum Beispiel der Kopfschmerz, der vielleicht aufgrund einer konkreten Stresssituaion ausgelöst wird, oder aber der Wundschmerz, wenn man sich das Knie aufgeschlagen hat.

Chronische Schmerzen sind dagegen Schmerzen, die immer wieder kommen, länger anhalten und dadurch das Leben des Betroffenen deutlich beeinträchtigen können. Oft ist die Grenze zwischen akut und chronisch für Betroffene selbst nicht einfach zu erkennen. „Wenn jemand tatsächlich immer wieder unter Schmerzen leidet – Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen – dann befindet man sich schon auf dem Weg zum chronischen Schmerz. Den chronischen Schmerz muss man dann sehr umfassend behandeln“, erklärt Schmerzexperte Prof. Irnich.

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Wann sollte man ein Medikament nehmen?

Wenn der Schmerz kommt, stellt sich die Frage: aushalten oder Tablette nehmen? Grundsätzlich ist die Expertenmeinung, dass man Schmerzen jeglicher Art stets so schnell wie möglich behandeln sollte. „Ob das immer mit einer Tablette sein muss, das muss man dann immer noch ganz genau im Detail betrachten“, sagt Prof. Irnich. „Bei einem Unfall oder einer Verletzung beispielsweise sind Medikamente natürlich dafür da, den Schmerz zu lindern.“ Auch bei einem akuten Kopfschmerz helfe eine Tablette, aber die längerfristige Selbstmedikation sei immer kritisch, denn viele frei verkäufliche Schmerzmittel haben starke unerwünschte Wirkungen, vor allem bei Langzeiteinnahme.

Außerdem sei jemand, der vier- oder fünfmal im Monat Kopfschmerzattacken habe, bereits ein chronischer Schmerzpatient, so der Experte zu FITBOOK. Und je chronischer der Schmerz wird, desto weniger wirken Medikamente. Besonders in diesem Fall müssen Einnahme und Dauer mit einem Arzt besprochen werden. Ist nach eingehender Untersuchung ein passendes Schmerzmittel gefunden worden, zum Beispiel für Migräne, sei es durchaus ratsam, dieses bei Schmerzen auch direkt zu nehmen. Schmerzspezialist Prof. Dr. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel erklärt FITBOOK dazu: „Nimmt man ein Migränemittel im Anfall frühzeitig ein, ist eine schnellere Wirkung zu erwarten. Ebenfalls ist es wahrscheinlich, dass die Verträglichkeit größer und die Attacken-Dauer deutlich verkürzt ist.“

Die 10-20-Regel bei Migräne- und Kopfschmerzmittel

Es scheint also in Ordnung zu sein, bei akuten Schmerzen vereinzelt mal zu einer Tablette zu greifen. Allerdings sollte man sie nicht zu lange einnehmen. Zum einen besteht auf Dauer ein Suchtrisiko. Waren laut Epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) von 2018 rund 1,6 Millionen Deutsche medikamentenabhängig, ist die Zahl 2021 auf 2,6 Millionen angestiegen.1,2

Zum anderen kann die Einnahme der Tablette quasi nach hinten losgehen und bei zu häufiger Einnahme eine Hypersensivität – spontan auftretende Schmerzen – auslösen, Schmerztherapeut Prof. Göbel erläutert: „Dies ist insbesondere bei primären Kopfschmerzen der Fall. Man spricht dann von einem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, oder kurz MÜK. Dieser tritt auf, wenn Akut-Schmerzmittel an mindestens 10 oder mehr Tagen im Monat eingenommen werden. Daher gilt bei primären Kopfschmerzen die sogenannte 10-20-Regel.“ Diese besage, dass Migräne- und Kopfschmerzmittel an weniger als an 10 Tagen im Monat eingenommen werden sollten. An mindestens 20 Tagen im Monat sollten keine Migräne- oder Kopfschmerzmittel genutzt werden.

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Hypersensitivität

Die Hypersensivität zählt zu den Sensibilitätsstörungen. „Eine Sensibilitätsstörung ist eine Veränderung der Empfindlichkeit für Reize. Diese Veränderung kann sich in Form einer erhöhten Empfindlichkeit ausdrücken, man spricht dann von einer Hypersensitivität. Allerdings kann auch eine zu niedrige Sensibilität bestehen. Dann spricht man von einer Hyposensitivität“, so Prof. Göbel. Darüber hinaus gebe es zum Beispiel noch die Hyperpathie. In diesem Fall führten Schmerzreize, die normalerweise vielleicht nur ein leichtes oder mittleres Schmerzempfinden bedingen, zu einer besonders stark erhöhten Schmerzintensität. Von einer Allodynie spreche man, wenn normalerweise nicht schmerzhafte Reize, wie beispielsweise eine Berührung, einen Schmerz bedingen. Ein gutes Beispiel aus dem Alltag, das wohl jeder kennt: der Sonnenbrand.

Bei welche Schmerzen kann man erstmal abwarten?

Wenn bei zu langer Einnahme von Schmerzmitteln eine Störung wie Hypersensivität auftreten kann, ist es dann nicht doch besser, Schmerzen auszuhalten statt eine Tablette zu nehmen? Auch das lässt sich nicht pauschal beantworten. Akute Rückenschmerzen seien beispielsweise ein Fall, bei dem es in der Regel gut sei, erst mal abzuwarten – solange nicht Warnzeichen wie zum Beispiel Lähmung oder Fieber vorlägen. In der Regel gehe dieser wieder vorbei, Schmerzlinderung durch Akupunktur oder Physiotherapie könne helfen und dann möglichst wieder bewegen. Wenn die Beschwerden nicht besser würden oder sich noch verschlimmerten, seien weitere Untersuchungen und Behandlungen notwendig. Prof. Irnich, der Schmerzexperte der LMU München, beschreibt dies als einen „Balanceakt zwischen Schmerz wahrnehmen, ohne überzureagieren, und den Schmerz zu beachten und zu behandeln“.

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Schmerztherapeut: „Schmerz macht wieder erneut Schmerz“

Unternimmt man lange nichts gegen Schmerzen, kann das ebenfalls negative Folgen haben, wie Prof. Göbel betont: „Hat man häufiger Schmerzen, wird das Nervensystem sensitiver. An Schmerzen kann man sich nicht gewöhnen. Es ist paradox. Je mehr Schmerzen man hat, umso schmerzempfindlicher wird man. Schmerz macht wieder erneut Schmerz.“ Tatsächlich könne sogar der Effekt der Chronifizierung auftreten: Laut Prof. Irnich erhöhe sich das Risiko, dass Schmerzen chronisch werden, je häufiger Schmerz auftrete und je länger er dauere. Der Körper reagiere mit dem sogenannten Schmerzgedächtnis. Das bedeute, dass sich ein immer wiederkehrender Schmerz quasi festsetze, zum Beispiel auf Ebene des Rückenmarks oder des zentralen Nervensystems. „Um dies zu vermeiden, ist es daher wichtig, die Schmerzen nicht auszuhalten, sondern zu unterbrechen. Beispielsweise, indem man auch mögliche psychologische Faktoren oder berufliche Überbelastungen als Verstärker von Schmerzen und Chronifizierer frühzeitig angeht“, so Prof. Irnich zu FITBOOK.

Chronische Schmerzen behandeln

Bei chronischen Schmerzen werden Ursachenfindung und Behandlung sehr komplex. Zwar lassen sich akute Schmerzattacken mit Medikamenten lindern, besser ist es doch, vorausschauend zu handeln. Dafür sei es wichtig, ärztliche Expertise zurate zu ziehen und sich nicht selbst mit Medikamenten zu behelfen. Prof. Göbel erklärt, dass man bei chronischen Schmerzen beispielsweise auf langsam freisetzende Medikamente zurückgreife, die eine permanente Schmerzreduktion erzielen sollen. Generell sei eine Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen sehr differenziert. Sie müsse maßgeschneidert entsprechend der individuellen Schmerzdiagnose und dem individuellen Verlauf angepasst werden. Dabei gehe es im Falle von Medikamenten auch darum, zu vermeiden, bei fortschreitender Erkrankung eventuell eine immer höhere Dosis für die Schmerzlinderung zu benötigen.

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Chronische Schmerzen können viele Ursachen haben: biologische, psychische und soziale. Nicht selten steckt hinter den Beschwerden eine komplexe Mischung aus mehreren Faktoren. So können Wut, Ärger, Frust, persönliche oder berufliche Überlastung oder auch Unzufriedenheit in der Partnerschaft zu Schmerzen beitragen, auch zu chronischen. Bei der Schmerzbehandlung gelte es deshalb, alle Faktoren zu beachten und bei der Behandlung mit einzubeziehen. Schmerzexperte Prof. Irnich empfiehlt eine multimodale Schmerztherapie in einem gebündelten Konzept. Oft seien Verfahren der Komplementärmedizin, die die eigene Schmerzhemmung aktivieren, erfolgreich. Also Verfahren wie Akupunktur, Qigong, Mediation oder Naturheilverfahren. Zusätzlich seien Physiotherapie, Beratung und Verhaltenstherapie erfolgreiche Bausteine der Therapie. Das bedeutet: Im besten Fall lässt sich die Ursache beseitigen – und eine medikamentöse Behandlung ist nicht (mehr) notwendig.

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Fazit – aushalten oder Tablette nehmen?

Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Deshalb lässt sich die Frage „Schmerzen aushalten oder besser gleich eine Tablette nehmen?“ auch nicht pauschal beantworten. Zusammengefasst lässt sich aber sagen, dass ein akuter Schmerz gelindert werden sollte, auch um körperliche Sensibilisierung zu vermeiden. Allerdings muss – und sollte – man dafür nicht unbedingt immer zur Tablette greifen. Vielleicht hilft ja schon etwas Ruhe gegen den Stresskopfschmerz. Oder man vermeidet bestimmte Lebensmittel, die einem Magenschmerzen bereiten? Ist ein Schmerz chronisch, muss ganz genau hingeschaut und umfassend diagnostiziert werden. Denn nur eine Behandlung, die ideal an den Betroffenen und den Ursachen der Schmerzen angepasst ist, kann hier auf Dauer helfen.

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Quellen

  1. Atzendorf, J., Rauschert, C., Seitz, N.N., et al (2018). The Use of Alcohol, Tobacco, Illegal Drugs and Medicines: An Estimate of Consumption and Substance-Related Disorders in Germany. Deutsches Ärzteblatt Int. ↩︎
  2. Bundesministerium für Gesundheit. Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit. (aufgerufen am 04.07.2024) ↩︎
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