30. April 2019, 7:03 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Hygienetücher, antibakterielle Gels, Desinfektionssprays und Co. – die Auswahl an Keimkillern in den Drogerieregalen ist groß. Kein Wunder, denn für immer mehr Menschen werden die handlichen Desinfektionsgel-Fläschchen zum unverzichtbaren Begleiter im Alltag. Doch der mehrmals tägliche Gebrauch bewirkt genau das Gegenteil von dem, was man sich davon verspricht, und kann auf Dauer sogar schädlich sein. Experten raten deshalb: Hände weg!
Die Haltestange in der U-Bahn angefasst, öffentliche Türklinken berührt, jemandem mit Erkältung die Hand gegeben: Viele Menschen greifen bei solchen Situationen sofort zu Desinfektionsmittel, denn gegen die haben krankmachende Keime und Bakterien keine Chance. So zumindest ein weit verbreiteter Glaube. Bei einer repräsentativen Umfrage des Wort & Bild Verlags gaben immerhin 24,3 Prozent der Bundesbürger an, dass sie stets desinfizierende Produkte bei sich tragen. Der Drang, all den „Ekel-Mikroben“ den Garaus zu machen, kann regelrecht zur Obsession werden. Doch wer meint, das mehrmals täglich stattfindende Desinfektions-Ritual trage zu einer gesunden Hygiene bei, irrt. Laut Experten gefährdet es sogar die Gesundheit. Deshalb rät das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung), Desinfektionsmittel im privaten Umfeld nur in Ausnahmefällen zur verwenden.
Der natürliche Schutzmantel der Haut wird angegriffen
Dass Desinfektionsgel alles andere als ein Hautpflegemittel ist, leuchtet natürlich ein. Allerdings ist die Gefahr, der Haut Schäden zuzufügen, nicht zu unterschätzen. „Die Zusätze können die natürliche Hautflora beschädigen, die ja wesentlich dazu beiträgt, den Organismus vor Krankheitserregern zu schützen. Auch können sie allergische Hautreaktionen und Ekzeme hervorrufen“, warnt ein Sprecher des BfR. Die Folge: Die Haut wird nicht nur rissig, gerötet und trocken, sondern erst recht durchlässig für Keime und Bakterien. Sobald also die Wirkung des aufgetragenen Desinfektionsmittels verflogen ist, können die Schadstoffe sprichwörtlich munter durchmarschieren. Hinzu kommt, dass die „guten Bakterien“, die eigentlich unsere Haut schützen, ebenfalls dran glauben müssen.
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Triclosan macht Keime multiresistent
Als besonders tückisch entpuppt sich dabei der in vielen Drogerie-Gels zugesetzte Wirkstoff Triclosan. Eigentlich ein wunderbarer Bakterienkiller und zudem geruchsneutralisierend. Problematisch ist allerdings, dass Triclosan irgendwann gegen gewisse Bakterien nichts mehr bewirken kann. „Wie diese Resistenzen genau entstehen, wird derzeit in Forschungsprojekten untersucht. In Laborexperimenten konnte bereits nachgewiesen werden, dass Bakterien nicht nur gegen Triclosan, sondern gleichzeitig gegen Antibiotika resistent werden“, heißt es weiter. Weil der umstrittene Wirkstoff zudem in Verdacht steht, das Hormonsystem zu schädigen und Allergien auszulösen, empfiehlt das BfR bereits seit Jahren, Triclosan auf den medizinischen Bereich zu beschränken. So ist Triclosan in vielen Ländern, wie beispielsweise in den USA, bereits verboten. Hierzulande findet es nicht nur in Desinfektionsmitteln, sondern auch in Deos und selbst in Zahnpasta Verwendung.
Bei Kindern droht Vergiftungsgefahr
Das BfR rät dazu, auf Desinfektionsmittel im Haushalt generell zu verzichten. Die Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels ist nicht nur von den eingesetzten Wirkstoffen und deren Konzentration abhängig, sondern auch von Anwendungsbedingungen wie der Einwirkzeit oder der Temperatur. Eine sachgerechte Anwendung ist demnach nur unter exakt definierten Bedingungen möglich. Verschlucken Kleinkinder Desinfektionsmittel, drohen zudem schlimme Vergiftungen. Eine unnötige Gefahrenquelle, auf die gut verzichtet werden kann. Und noch ein Fakt sollte überzeugen: Die vielen Chemikalien machen Desinfektionsmittel zum Umweltgift.
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Wasser und Seife reichen völlig aus
„Regelmäßiges Waschen mit Seife und Wasser reicht völlig aus, um eine gute Hygiene zu gewährleisten“, so der Sprecher. Einzige Ausnahme: Ist man in fernen Ländern unterwegs, etwa in Asien oder Afrika, und sind dort weder Wasser noch Seife in Sicht, dann ist ein Fläschchen Desinfektionsgel besser als gar nichts. Im normalen Alltag richten sie allerdings mehr Schaden als Nutzen an.