7. Juni 2024, 3:24 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Smartwatches sind kleine Wundercomputer am Handgelenk. Sie messen unsere tägliche Aktivität, können teilweise den Schlaf tracken und dank einer EKG-Messung sogar Herzprobleme identifizieren. Doch zur verlässlichen Blutzuckermessung taugen sie noch nicht. Dies ergab ein Test mit zwei Smartwatch-Modellen an der Universität Ulm.
Smarte Uhren sind angesagt, insbesondere wegen ihrer Gesundheitsfunktionen. Sie sind wesentlich kompakter als ein Smartphone und haben nahezu kontinuierlich Kontakt mit unserer Haut. Dadurch können sie unsere körperlichen Aktivitäten optimal messen. Beim Sport kommen sie beispielsweise gerne als Pulsmesser und Kalorienzähler zum Einsatz. Im Alltag zählen sie Schritte und Stufen. Und nachts können einige Modelle sogar die Schlafqualität bewerten. Selbst die Herzfrequenz lässt sich bei einigen Modellen per EKG messen. Die gesammelten Informationen werden dann ausgewertet und in einer App nutzerfreundlich dargestellt. Einige Hersteller werben auch mit einer Glukosemessung. Doch ein Test an der Universität Ulm hat gezeigt, dass sich speziell Diabetes-Patienten nicht auf eine Smartwatch bei der Blutzuckermessung verlassen sollten.
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Übersicht
So funktioniert eine Blutzuckermessung per Smartwatch (theoretisch)
Diabetes-Typ-1-Patienten müssen regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel messen. Denn ist der Wert zu niedrig, sollten sie Zucker zu sich nehmen. Ist der Wert zu hoch, hilft ihnen eine Insulinspritze, den Wert zu senken. Hierfür müssen sie normalerweise eine kleine Blutprobe entnehmen (meist an der Fingerkuppe) und per Teststreifen an einem Messgerät den Wert bestimmen. Zum einen ist dies aufwendig und zum anderen wird der Blutzucker nicht kontinuierlich gemessen. So kann es zu einer Unterzuckerung kommen, bevor es der Patient selbst bemerkt. Ideal wäre also ein Gerät, das den Messvorgang nicht-invasiv (also ohne Blutentnahme) und vor allem selbstständig in regelmäßigen Abständen vornehmen kann.
Obwohl bislang keine Smartwatch ein medizinisch zugelassenes Gerät zur Blutzuckermessung ist, werben einige Hersteller beispielsweise beim Online-Händler Amazon mit dieser Funktion. Hierzu wird bei der entsprechenden Smartwatch-Funktion ein optisches Verfahren genutzt, das die optischen Eigenschaften des Gewebes am Handgelenk analysiert und in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration bewertet. Doch bislang gelang es noch keinem Hersteller, dieses Verfahren so zuverlässig weiterzuentwickeln, dass es medizinisch verlässliche Ergebnisse liefert. Deshalb warnen jetzt Forscher vom Institut für Diabetes-Technologie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH an der Universität Ulm vor frei verkäuflichen Smartwatches auf dem deutschen Markt, deren Hersteller den Eindruck vermitteln, genaue Blutzuckermessungen liefern zu können.1
„Unterschiede zwischen Diabetes-Typ-1 und -Typ-2“
„Der grundlegendste Unterschied zwischen Typ 1 und Typ 2 Diabetikern ist, dass Typ 1 Diabetiker einen absoluten Insulinmangel haben, weil ihre Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produzieren. Bei Typ 2 Diabetikern produziert die Bauchspeicheldrüse noch Insulin. Aber die Insulinresistenz in den körpereigenen Zellen ist gesenkt, sodass die Bauchspeicheldrüse (die Beta-Zellen) vermehrt Insulin ausschütten muss, um die Glukoseaufnahme in den Zellen zu gewährleisten. Der Typ 1 Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, wobei der Typ 2 eher auf Lifestyle und genetische Prädisposition zurückzuführen ist.“
Diese Einschätzung gab der Diabetologe FITBOOK für folgenden bereits früher erschienenen Artikel.
Forscher testen zwei Smartwatches
Dr. Manuel Eichenlaub sowie weitere Forscher an der Uni Ulm wollten es genau wissen und testeten zwei im Handel erhältliche Smartwatches mit einer angeblichen optischen Glukosemessfunktion. Der Testablauf war wie folgt: Eine Person mit Diabetes-Typ-1 trug zwei Tage lang jeweils von neun bis 22 Uhr die beiden Testgeräte gleichzeitig an den beiden Handgelenken. Somit war Smartwatch 1 (SM1) an einem Handgelenk, während die Smartwatch 2 (SM2) sich an dem anderen Handgelenk befand. Zusätzlich hatte die Testperson noch ein medizinisch zugelassenes Messsystem am Körper (CGM-System), welches den Blutzuckerspiegel kontinuierlich maß. Am dritten Tag wurde die beiden Smartwatches an einer Banane angebracht, um zu sehen, welche Werte in diesem Szenario ermittelt werden. Im Anschluss an die drei Testtage haben die Forscher sowohl die Smartwach-Daten als auch die Daten aus dem medizinischen Gerät ausgelesen und in einem Diagramm miteinander verglichen.
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Die ermittelten Daten haben nichts mit dem realen Blutzuckerverlauf zu tun
Wie sich zeigte, waren die aufgezeichneten Glukoseverläufe an allen drei Versuchstagen bei den beiden Smartwatches jeweils nahezu identisch. Dabei gab es jeweils einen Glukoseanstieg zu Uhrzeiten, an denen die meisten Menschen ihre Hauptmahlzeiten zu sich nehmen. Das war gegen neun, 13 und 19 Uhr. Der einzige große Unterschied zeigte sich an den Spitzenwerten. Die SM1 hat laut den Forschern Blutzuckermaximalwerte von rund 130 mg/dl angezeigt. Die SM2 hingegen ermittelte Spitzenwerte von ca. 160 mg/dl.
Die angezeigten Werte der Smartwatches unterschieden sich teilweise enorm von den tatsächlichen medizinisch ermittelten Werten. So hatte die Person abends zwischen 21 und 22 Uhr einen besonders hohen Glukoseanstieg und erreichte Werte von 160 bis 250 mg/dl. Die Smartwatches zeigten aber genau das Gegenteil an, also eine Absenkung des Glukosewertes auf unter 100 bis hin zu ca. 60 mg/dl. Solch eine Falschinformation kann für Diabetes-Typ-1-Patienten gefährlich sein. Deswegen raten die Forscher dringend davon ab, aktuell auf dem Markt erhältliche Modelle zu einer zuverlässigen Blutzuckermessung zu nutzen.
Banane liefert dieselben Werte wie ein Mensch
Um die Funktionsweise der Smartwatches zu überprüfen, wurden sie, wie bereits erwähnt, am dritten Tag anstatt am Handgelenk der Testperson an einer Banane angebracht. Das hatte aber nicht wie erwartet zur Folge, dass die Smartwatches keine Blutzuckerwerte ausspielten. Im Gegenteil: Sie maßen auch bei der Banane „den Blutzucker“ zwischen neun und 22 Uhr. Mehr noch: Die Banane lieferte exakt die gleichen Werte wie an den beiden Tagen zuvor, als sich die getesteten Smartwatches am menschlichen Handgelenk befunden hatten. So kommen die Forscher zu dem Schluss, dass die beiden getesteten Smartwatches ein vorgegebenes Glukoseprofil anzeigen, das dem einer Person ohne Diabetes ähnelt. Denn die Anstiege waren jeweils nur an Uhrzeiten zu beobachten, an denen viele Menschen ihre Hauptmahlzeiten einnehmen.
Da die Werte an allen drei Tagen nahezu identisch waren, gehen die Forscher davon aus, dass nicht mal eine individuelle Schätzung anhand der Herzfrequenz oder Aktivität vorgenommen wurde. Auch konnten die Smartwatches nicht unterscheiden, ob es sich um ein lebendes Gewebe am Handgelenk oder eine Bananenschale handelt. Die einzige gute Nachricht des Tests: Beide Smartwatch-Modelle werden in Deutschland nicht mehr verkauft.
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So testet man selbst, ob die Smartwatch richtig den Blutzucker misst
Grundsätzlich raten die Forscher dieser Mini-Studie davon ab, aktuelle Smartwatches zur Blutzuckermessung zu nutzen. Stattdessen sollte man sich auf medizinisch zugelassene Geräte wie ein CGM-System verlassen. Wer selbst eine Smartwatch mit Blutzuckermessfunktion besitzt oder eine testen möchte, kann die Verlässlichkeit und Aussagekraft der Werte ganz einfach überprüfen. Die Forscher empfehlen, die Mahlzeiten zu anderen Tageszeiten als den üblichen einzunehmen und dann zu beobachten, ob die Smartwatch dies anhand von Glukosespitzen in diesen Zeiträumen abbildet. Zeigt die Smartwatch keinen Unterschied zu anderen Tagen an bzw. keinen Anstieg zu den Zeiten der unterschiedlichen Mahlzeiten, dann nimmt sie höchstwahrscheinlich keine verlässliche Messung vor.