6. März 2025, 11:04 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Wie sehr sind wir eigentlich von unseren Smartphones abhängig? Eine aktuelle Studie der Universität Heidelberg hat untersucht, was im Gehirn passiert, wenn junge Erwachsene ihr Smartphone für 72 Stunden nicht nutzen dürfen. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Bestimmte Gehirnregionen, die mit Belohnung und Verlangen in Verbindung stehen, zeigen messbare Veränderungen. Damit ergänzt sie eine andere Studie, die kürzlich aufzeigen konnte, dass eine bestimmte Form der Smartphone-Abstinenz einen verjüngenden Effekt auf das Gehirn haben kann. FITBOOK erklärt die Erkenntnisse der Untersuchungen.
Während die neueste Studie primär die neuronalen Veränderungen durch Smartphone-Verzicht und mögliche suchtähnliche Effekte im Gehirn untersuchte, liefert die zweite, kurz zuvor veröffentlichte, Untersuchung zusätzliche interessante Erkenntnisse. Sie beschäftigte sich mit der Frage, ob sich nicht nur die Gehirnaktivität, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit durch eine Reduzierung der Smartphone-Nutzung verändert. Die Forschenden fanden heraus, dass Teilnehmer, die ihr Smartphone für mehrere Tage nicht nutzten, eine gesteigerte Konzentrationsfähigkeit und eine verbesserte Problemlösungsfähigkeit zeigten. Beide Untersuchungen zeigen: Für unser Gehirn hat eine eingeschränkte Nutzung oder gar komplette Smartphone-Abstinenz gesundheitliche Vorteile!
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Übersicht
Smartphone – Fluch und Segen?
Wie die meisten technischen Errungenschaften hat auch das Smartphone große Vorteile, aber auch Schattenseiten. Als ständiger Alltagsbegleiter mit Internetzugang versorgt uns das Smartphone mit allen wichtigen Informationen, die wir brauchen. Auf der anderen Seite tauchen wir oft viel zu lange und unnötig in die unendlichen Inhalte des Internets ein. Laut dem Digitalverband Bitkom verbringen 16- bis 29-Jährige in Deutschland durchschnittlich rund drei Stunden pro Tag mit ihrem Smartphone.1 Bei den 30- bis 49-Jährigen sind es 2,5 Stunden. Und bei den 50- bis 64-Jährigen sind es 148 Minuten pro Tag. Doch häufige Smartphone-Nutzung kann die Aufmerksamkeitsspanne und damit die kognitive Leistung beeinträchtigen, wie Studien zeigen.2
Was machen 72 Stunden ohne Smartphone mit dem Gehirn?
Smartphones sind mittlerweile nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Immer mehr Studien zeigen, dass übermäßige Smartphone-Nutzung (excessive smartphone use, ESU) mit suchtähnlichen Verhaltensweisen einhergehen kann.3,4 Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass übermäßige Smartphone-Nutzung mit veränderten Aktivitätsmustern in Gehirnregionen zusammenhängt, die auch bei anderen Abhängigkeitsformen eine Rolle spielen – etwa bei Internet-Gaming-Störungen oder Substanzabhängigkeit.5
Um dies besser zu verstehen, untersuchte ein Forschungsteam, wie sich eine 72-stündige Smartphone-Abstinenz auf die Gehirnaktivität von jungen Erwachsenen auswirkt. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) wurden Veränderungen in der Aktivität von Belohnungs- und Kontrollnetzwerken erfasst.6
Ein besonders interessanter Mechanismus ist die Cue-Reactivity (CR), also die Reaktion des Gehirns auf Smartphone-relevante Reize. Menschen mit einer übermäßigen Smartphone-Nutzung zeigen oft eine erhöhte neuronale Aktivität in Belohnungs- und Kontrollnetzwerken, wenn sie Bilder von Smartphones sehen. Diese Reaktion könnte mit dem Verlangen nach Nutzung zusammenhängen – ähnlich wie bei Suchterkrankungen, wenn Betroffene mit Drogen- oder Alkoholreizen konfrontiert werden. Die zentrale Frage der Studie war daher: Führt eine mehrtägige Smartphone-Abstinenz zu Veränderungen in diesen Gehirnregionen – und lassen sich Parallelen zu anderen Abhängigkeiten ziehen?
Durchführung der Studie
An der Studie nahmen 25 junge Erwachsene (18 bis 30 Jahre, 13 waren weiblich) teil, die über drei Tage hinweg auf ihre Smartphones verzichten sollten. Vor und nach dieser Phase wurden fMRT-Scans durchgeführt, um die Aktivität des Gehirns zu messen. Während der Scans wurden den Teilnehmenden Bilder von aktiven und inaktiven Smartphones sowie neutralen Objekten gezeigt, um ihre neuronale Reaktion zu untersuchen.
Zusätzlich wurden psychologische Tests durchgeführt, darunter der Smartphone Addiction Inventory (SPAI) und die Mannheimer Craving Scale (MaCS), um das Verlangen nach Smartphone-Nutzung zu bewerten. Die Analyse der Gehirnscans konzentrierte sich auf Regionen des Belohnungssystems und der Impulskontrolle, insbesondere den Nucleus accumbens (NAcc) und den vorderen cingulären Kortex (ACC). Zudem wurden die Aktivitätsmuster mit bekannten Karten für Neurotransmitter-Rezeptoren (Dopamin, Serotonin) verglichen, um mögliche Zusammenhänge mit biochemischen Prozessen herzustellen.
Auch interessant: 72 Prozent der Erwachsenen in Deutschland fehlt diese wichtige Impfung
Ergebnisse der Studie deuten auf suchtähnliche Effekte der Smartphone-Nutzung hin
Die Untersuchung ergab, dass die Gehirnaktivität in bestimmten Regionen nach 72 Stunden Smartphone-Verzicht signifikant anstieg:
- Der Nucleus accumbens (NAcc) und der vordere cinguläre Kortex (ACC) zeigten eine verstärkte Aktivität. Diese Bereiche sind für Belohnung, Motivation und Impulskontrolle entscheidend. Die Aktivitätssteigerung war mit Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren assoziiert, die auch bei anderen Suchterkrankungen eine Rolle spielen.
- Eine stärkere Aktivierung des Parietallappens stand in Zusammenhang mit dem empfundenen Verlangen nach Smartphone-Nutzung.
Überraschenderweise zeigte sich jedoch kein signifikanter Anstieg des Cravings in den psychologischen Tests. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn zwar auf den Entzug reagiert, dies aber nicht zwangsläufig als bewusstes Verlangen wahrgenommen wird.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie sich Smartphone-Entzug auf das Gehirn auswirkt. Die erhöhte Aktivität im Belohnungs- und Kontrollnetzwerk ähnelt den Veränderungen, die auch bei anderen Abhängigkeiten beobachtet wurden. Das deutet darauf hin, dass übermäßige Smartphone-Nutzung tatsächlich suchtähnliche Mechanismen aktivieren kann.
Interessant ist, dass diese Veränderungen im Gehirn nicht zwangsläufig mit einem bewusst empfundenen Verlangen einhergingen. Dies könnte bedeuten, dass die neuronalen Reaktionen auf den Entzug automatisch ablaufen, ohne dass die Betroffenen es wahrnehmen.
Für den Alltag bedeutet das: Auch wenn wir uns nicht als „smartphone-süchtig“ empfinden, könnte unser Gehirn dennoch so reagieren, als wären wir auf eine ständige Nutzung programmiert.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie ist eine der ersten, die die neuronalen Effekte von Smartphone-Abstinenz in einem längsschnittlichen Design (ein Studiendesign, das Veränderungen über Zeiträume ermitteln kann) untersucht. Dennoch gibt es einige Einschränkungen:
Keine vollständige Kontrolle der Abstinenz
Die Teilnehmenden wurden nicht aktiv überwacht, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige ihr Smartphone gelegentlich nutzten.
Kleine Stichprobengröße
Mit nur 25 Personen sind die Ergebnisse vielversprechend, aber nicht endgültig. Zukünftige Studien mit größeren Stichproben sind nötig.
Unterschied zu anderen Suchterkrankungen unklar
Die beobachteten neuronalen Veränderungen ähneln denen anderer Suchtformen, aber ob Smartphone-Nutzung tatsächlich als Abhängigkeit klassifiziert werden sollte, bleibt offen.
Für zukünftige Forschungen sind größere Studien notwendig, um besser zu verstehen, wie sich Smartphone-Nutzung auf unser Verhalten und Wohlbefinden auswirkt – und ob bewusste digitale Pausen langfristig positive Effekte haben.
Ergänzende Erkenntnisse: Kognitive Leistungssteigerung durch Verzicht
Die zweite Untersuchung stammt von Wissenschaftlern mehrerer Universitäten aus den USA und Kanada, die herausfinden wollten, wie es sich auf die Nutzer auswirkt, wenn sie nicht dauerhaft Internet auf dem Smartphone haben.7 Hierfür rekrutierten sie 467 iPhone-Nutzer mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren. Anschließend teilte man sie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Dabei mussten die Teilnehmer der Studie das Smartphone nicht komplett abschalten. Um es möglichst praktikabel zu machen, installierten sie eine App, die den mobilen Internetzugang blockierte. Die Smartphones konnten aber weiterhin Anrufe ausführen und sogar SMS-Nachrichten empfangen und senden. Sie wurden also wie die guten alten Handys auf grundlegende Kommunikationsfunktionen beschränkt. Soziale Netzwerke und Online-Zugang wurden hingegen blockiert.
In den ersten zwei Wochen blockierte die eine Gruppe den Internetzugang, während die zweite Gruppe als Kontrollgruppe diente. Danach wechselten die Gruppen für die nächsten zwei Wochen, sodass die Kontrollgruppe jetzt den Internetzugang blockierte, während die erste Gruppe wieder Internet auf dem Smartphone hatte. Das sogenannte Crossover-Design der Studie ermöglichte den Forschern, Veränderungen bei den einzelnen Personen sowie zwischen den beiden Gruppen zu vergleichen. Hierfür mussten alle Teilnehmer kognitive Tests zu Beginn, nach zwei Wochen und nach vier Wochen der Testphase absolvieren. Außerdem erhielten sie in regelmäßigen Abständen SMS-Nachrichten mit Fragen zu ihrer aktuellen Stimmung und wie sie gerade die Zeit verbrachten.
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Kognitive Leistung stieg ohne Smartphone-Funktionen
Die Auswertung der kognitiven Tests und der SMS-Antworten der Teilnehmer hat überraschende Ergebnisse zutage gebracht. Nach zwei Wochen ohne mobiles Internet auf dem Smartphone zeigten die Teilnehmer deutliche Verbesserungen in mehreren Bereichen der kognitiven Leistung. Zudem berichteten die Probanden, dass sie sich glücklicher und zufriedener empfänden und dass sich ihre psychische Gesundheit verbessert habe. Das Faszinierende daran: Der Effekt war sogar deutlicher als bei Untersuchungen mit Antidepressiva in klinischen Studien, so die Forscher. Die Probanden schnitten nicht nur besser bei Aufmerksamkeitstests ab. Sie zeigten auch positive Umkehreffekte, die vergleichbar sind mit einer kognitiven Verjüngung um etwa zehn Jahre.
„Smartphones haben unser Leben und unser Verhalten in den letzten 15 Jahren drastisch verändert, aber unsere grundlegende menschliche Psychologie ist dieselbe geblieben“, kommentiert der Hauptautor der Studie, Professor Adrian Ward, die Ergebnisse. Die große Frage lautete zu Beginn der Studie, ob die Menschen dafür gemacht sind, ständig mit allem verbunden zu sein. „Die Daten deuten darauf hin, dass wir es nicht sind“, sagt Prof. Ward.
Das sind die Studienergebnisse im Einzelnen:
- Die Bildschirmzeit ohne mobiles Internet sank von etwa fünf Stunden auf unter drei Stunden täglich.
- Die positiven Effekte auf die psychische Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden waren größer als die typischen Effekte von Antidepressiva.
- Die dauerhafte Aufmerksamkeit verbesserte sich so stark, als wäre man kognitiv zehn Jahre jünger.
- 91 Prozent der Teilnehmer verbesserten sich bei mindestens einem der Studien-Messwerte.
- Die gesundheitlichen Benefits hielten teilweise auch nach der Wiederherstellung des mobilen Internetzugangs an.
- Die Probanden verbrachten ohne Internet mehr Zeit mit persönlichen Kontakten, Sport und in der Natur.
- Diejenigen mit einem höheren anfänglichen FOMO („Fear of missing out“, zu Deutsch „Angst, etwas zu verpassen“) zeigten eine deutliche Reduzierung dieser Angst.
Durchhalten ohne mobiles Internet ist nicht einfach
Die positiven Effekte durch einen limitierten Internetzugang waren eindrucksvoll. Insgesamt verbesserten sich nicht nur die Aufmerksamkeitsspanne und das impulsive Verhalten der Teilnehmer, sondern auch ihr Schlaf. Im Schnitt schliefen sie 17 Minuten mehr pro Nacht, ohne den Zugang zu den unendlichen Inhalten des Internets.
Dennoch zeigte sich ein Problem in der Studie: Vielen Teilnehmern fiel es schwer, die Vorgabe ohne mobiles Internet durchzuhalten. Nur rund 25 Prozent der Probanden hielten die gesamten zwei Wochen durch. Dies zeigt, dass viele Menschen eine Art der Abhängigkeit vom Internet entwickelt haben. Doch hier gab es eine gute Nachricht: Selbst bei denjenigen, die keine zwei Wochen ohne Internet schafften, zeigten sich positive Effekte. Das deutet darauf hin, dass allein eine Reduzierung der Online-Zeit helfen kann.
So weisen die Forscher in ihrer Studienauswertung darauf hin, dass ein weniger extremer Ansatz für die meisten Menschen besser funktionieren könnte. Man müsse nicht gleich das mobile Internet komplett sperren. Es reiche schon, wenn man sich im Smartphone den Online-Zugang zu bestimmten Zeiten einschränkt. Dies kann man in vielen Smartphones direkt einstellen oder aber eine passende App herunterladen, die diese Funktion enthält.
Einschränkungen der Studie
Trotz der eindrucksvollen Ergebnisse weisen die Forscher auf einige Einschränkungen der Untersuchung hin. Die Stichprobe der Probanden bestand größtenteils aus motivierten Teilnehmern, die ihren Telefonkonsum selbst reduzieren wollten. So gelten diese Ergebnisse möglicherweise nicht für Menschen, die ihre Bildschirmzeit am Smartphone nicht als problematisch oder als zu viel empfinden. Darüber hinaus hatten die Teilnehmer, die das Studiendesign vollständig durchhielten, im Vergleich zu denjenigen, die vorzeitig abbrachen, bessere Ausgangswerte bei psychischer Gesundheit und Aufmerksamkeit. Zudem sagen die Forscher, dass auch ein Erwartungseffekt der Teilnehmer (die Erwartung, sich besser zu fühlen ohne Internet) einige Ergebnisse beeinflusst haben könnte.

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Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien
Die beiden Studien zeigen, dass der Verzicht auf das Smartphone sowohl das Gehirn als auch die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Nach nur 72 Stunden ohne Handy wurden messbare Veränderungen im Belohnungs- und Kontrollzentrum des Gehirns festgestellt – Bereiche, die auch bei Suchterkrankungen eine Rolle spielen. Dies deutet darauf hin, dass übermäßige Smartphone-Nutzung suchtähnliche Mechanismen aktivieren könnte. Gleichzeitig zeigte eine weitere Untersuchung, dass eine reduzierte Nutzung die Konzentrations- und Problemlösungsfähigkeit steigern kann. Diese Ergebnisse legen nahe, dass bewusste digitale Pausen nicht nur unser Belohnungssystem entlasten, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit fördern könnten. Es sind jedoch weitere Forschungen notwendig, um die langfristigen Effekte solcher Maßnahmen besser zu verstehen.