29. Juli 2020, 21:03 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Bei einer Skoliose ist die Wirbelsäule der Betroffenen zur Seite verkrümmt. Zu körperlichen Beschwerden führt sie spätestens, wenn eine Verdrehung der Wirbelkörper dazukommt. Gleichzeitig bedeutet Skoliose oft auch ein seelisches Problem. FITBOOK hat mit Experten über die Krankheit, ihre möglichen Ursachen und Behandlungswege gesprochen.
Orthopäden sprechen von Skoliose, wenn eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule um mindestens 1 Grad vorliegt. Der Befund ist verbreiteter, als man vielleicht meinen würde – und doch kommen nur selten Patienten deshalb zum Arzt.
Über die Gründe, Therapie und vorbeugende Maßnahmen hat sich FITBOOK von Dr. med. Willibald Walter, konservativer Wirbelsäulenspezialist und Facharzt für Orthopädie in ärztlicher Leitung am Münchner Marianowicz Zentrum für Diagnose und Therapie, erklären lassen.
„Jeder Mensch hat eine leichte Skoliose“
Absolut gerade Wirbelsäulen – also ohne eine zumindest leichte Seitenausbiegung – gibt es laut Dr. Willibald Walter so gut wie gar nicht. Mit anderen Worten: „Jeder Mensch hat eine leichte Skoliose“, sagt der Experte im Gespräch mit FITBOOK. In den meisten Fällen blieben Symptome in Form körperlicher Beschwerden allerdings aus. Die Diagnose werde daher häufig nicht oder zu spät gestellt.
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Verschiedene Arten und Ursachen von Skoliose
Man unterscheidet zwischen idiopathischer und sekundärer Skoliose, beides im Jugendalter. Laut einer beim „Ärzteblatt“ erschienenen Untersuchung sind vor allem Mädchen betroffen.
Bei der idiopathischen Skoliose ist in 90 Prozent der Fälle die Ursache nicht bekannt. Die sekundäre Skoliose ist eine Folge von Fehlbildungen, Systemerkrankungen, Nerven- oder Muskelerkrankungen. Es gibt zahlreiche weitere Differenzierungen, welche sich u.a. nach dem Zeitpunkt des Auftretens bzw. nach dem Krümmungsmuster richten.
Adulte Skoliose durch Verschleiß
Im Erwachsenenalter gibt es eine adulte oder degenerative Skoliose. Letztere ist laut Dr. Walter„im Prinzip nichts anderes als Verschleißerscheinung der Wirbel“. Dies bestätigt eine Angabe im „Ärzteblatt“-Beitrag, wonach unter den Über-60-Jährigen jeder zweite betroffen ist.
Woran erkennt man eine Skoliose?
Optisch kann sich Skoliose mit einem schiefen Becken, unterschiedlich hoch stehenden Schultern und einem seitlichen „Rippenbuckel“ bemerkbar machen.
Je nach Schwere der Verkrümmung sind Verspannungen und Schmerzen möglich – und schlimmstenfalls eine eingeschränkte Funktion der Lunge und/oder des Herzens. „Im Fall organischer Fehlfunktionen muss eine Operation diskutiert werden“, so Dr. Walter. Ansonsten operiere man höchstens dann, wenn die Beschwerden über andere therapeutische Möglichkeiten nicht in den Griff zu bekommen sind.
Skoliose nicht durch Physiotherapie heilbar, aber…
Bei Skoliose im Kindesalter zielt die Behandlung darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Dabei arbeite man mit den – leider begrenzten – Möglichkeiten der Physiotherapie.
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FITBOOK hat darüber mit Andre Scholz, Geschäftsführer der Frankfurter Physiotherapiepraxis Physion, gesprochen. Wie er uns erklärt, sei an eine Heilung der Skoliose mithilfe physiotherapeutischer Übungen nicht zu denken.
Es gehe ihm und seinen Kollegen darum, eine durch die Wirbelsäulenverkrümmung bedingte Schonhaltung zu kompensieren. „Ziel der Physiotherapie ist es, die Aktivitäten des alltäglichen Lebens möglichst beschwerdefrei zu machen“, weiß Scholz.
Seelisches Leid durch Miedertherapie
Erst bei einem fortgeschritteneren Cobb-Winkel (= Maß für die Ausprägung einer Wirbelsäulenverkrümmung) müsse man zur Miedertherapie übergehen. Das bedeutet, dass Betroffene ein spezielles Korsett tragen müssen. Und zwar ständig. „Die Korsette dürfen täglich maximal fünf bis sechs Minuten abgenommen werden“, erklärt Dr. Walter, „also etwa zum Duschen“.
Wie man sich vorstellen kann, ist das für Kinder mitunter hart. Und tatsächlich wird Skoliose im „Ärzteblatt“-Beitrag in erster Linie mit „psychosozialen Symptomen“, wie mangelndem Selbstbewusstsein und Depressionsneigung, assoziiert.
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Eine OP ist riskant und aufwändig
Eine Skoliose-Operation ist extrem aufwändig. Dabei wird die verkrümmte Wirbelsäule mit vielen Schrauben versteift, was den Bewegungsradius der Patienten langfristig einschränkt. Zudem ist der Eingriff sehr riskant. Neben den üblichen Gefahren einer Operation besteht die von Nervenquetschungen und ernsteren -verletzungen im Bereich des Rückenmarks mit der möglichen Folge einer Querschnittslähmung.
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Kann man einer Skoliose vorbeugen?
Da die idiopathische Skoliose nicht auf einen konkreten bzw. alleinigen Auslöser zurückzuführen ist, kann man ihr auch nicht vorbeugen. Etwas anders verhält es sich laut Dr. Walter bei der adulten, sprich degenerativen Skoliose. Der Experte empfiehlt körperliche Ertüchtigung für eine v.a. ausgeprägte Rücken- und Bauchmuskulatur. Das sei sinnvoll, um Verschleißerscheinungen im gesamten Körper bestmöglich im Zaum zu halten.
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Übergewicht kann Wirbelsäulenverkrümmung verschlimmern
Ebenso gelte es, starkes Übergewicht zu vermeiden. Zwar sei es nicht so, dass Adipöse eher gefährdet sind, an Skoliose zu erkranken; allerdings stellt Übergewicht eine zusätzliche Belastung für die Wirbelsäule dar und kann die Verkrümmung somit verschlimmern.