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Mental Health

Die Gefahren der Selbstdiagnose via Social Media 

Junge sieht auf sein Handy.
Wer im Netz nach Informationen über mentale Gesundheit sucht, wird schnell fündig. Doch von Selbstdiagnosen raten Experten ab. Foto: Getty Images
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FITBOOK Redaktion

18. Februar 2024, 7:58 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

ADHS, Depression oder Burn-out – in den sozialen Medien ist man oft nur einen Swipe vom Thema mentale Gesundheit entfernt. Das kann zu einer Selbstdiagnose einladen. Experten sehen das ambivalent.

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Wer sich krank fühlt, geht meist zum Arzt, der dann eine Diagnose stellt – so der klassische Weg. Doch gerade in den sozialen Medien wie TikTok und Instagram zeigt sich ein neuer Ansatz: die Selbstdiagnose. Menschen berichten darüber, wie sie selbst etwa Autismus oder ADHS bei sich festgestellt haben. Viele – und besonders Personen mit einer großen Reichweite – sprechen über ihre Symptome und erzählen von ihrer Leidensgeschichte. Aber auch Psychologinnen und Psychotherapeuten posten Inhalte zu ihrem Fachthema. Das ermutigt andere dazu, sich ebenfalls eine Selbstdiagnose via Beiträge auf Social Media zu stellen.

Bewusstsein wird geschärft

Umut Özdemir arbeitet als Psychotherapeut in Berlin, ist Buchautor und Dozent – und auf Social Media präsent. Grundsätzlich sieht er viele Vorteile darin, dass psychische Erkrankungen allen voran bei jungen Menschen durch Social Media enttabuisiert und Gesprächsthema werden.

Manchen falle so überhaupt erst auf, dass sie betroffen seien: „Ich muss ja erst mal mitbekommen, dass es mir gar nicht wie anderen geht. Dass das, was ich für normal gehalten habe, gar nicht üblich ist.“ Ohne einen Verdacht würde man oft nicht auf die Idee kommen, eine Therapiestunde zu vereinbaren.

Das beobachtet man am Beispiel ADHS, kurz für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Statistiken zeigen laut Özdemir, dass die Zahl von ADHS-Diagnosen steigt. Das habe aber nichts damit zu tun, dass die Störung mittlerweile öfter auftritt, sondern vielmehr habe sich ein Bewusstsein für die Symptome entwickelt. „Jetzt haben Menschen die Möglichkeit, sich zu informieren“, sagt der Therapeut, eben auch über Social Media.

Selbstdiagnosen sind fehleranfällig

Im Alltag als Therapeut beobachtet Özdemir, dass Menschen immer häufiger mit einem Verdacht zu ihm kommen. „Das ist für mich ein guter Hinweis darauf, die richtigen Fragen zu stellen und das nicht wegzubügeln.“ Er betont aber auch, dass solche Vermutungen noch keine Diagnose seien, diese müsste erst durch Fachleute gestellt werden. Denn Selbstdiagnosen – besonders durch Social Media – seien fehleranfällig.

„Zum einen sind sie subjektiv. Zum anderen fehlt es meist an fachlicher Expertise bezüglich der Differenzialdiagnosen.“ Gemeint ist die Diagnose einer anderen Erkrankung, die ähnliche Symptome aufweist. Kritisch sieht der Therapeut es auch, wenn Menschen ohne fachliche Einschätzung nur aufgrund einer Vermutung besondere Rücksicht von anderen erwarten: „Das kann dann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich jemand auf der vermeintlichen Diagnose ausruht.“

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Fakt und Meinung oft schwer auseinanderzuhalten

Auch der Generalsekretär der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck, warnt davor, sich in sozialen Medien über Erkrankungen zu informieren. Instagram & Co. seien als Informationsquelle zwar nicht pauschal zu verurteilen. Aber: „Oft fehlt es in den sozialen Medien an Tiefe der Recherche und zwischen Meinung und Fakten wird kaum unterschieden.“ Gerade Jugendlichen fehle es an Erfahrung, den Unterschied zu erkennen.

Gute Informationen, auch für Laien, gebe es stattdessen bei medizinischen Fachgesellschaften, in Leitlinien für Erkrankungen. Özdemir rät dennoch, Quellen kritisch zu hinterfragen. „Ganz viele springen auch einfach auf den Mental-Health-Zug auf“, teilt er seine Meinung und merkt an: „Manchmal habe ich den Eindruck, wir leben in einem Land mit 82 Millionen Experten und Expertinnen für die Psyche.“

Burkhard Rodeck sieht noch ein weiteres Problem: „Wir alle informieren uns mit einem Bias.“ Sprich: Jeder liest, was er lesen möchte. „Wir sind in unserer Wahrnehmung immer subjektiv“, so der Arzt. Deshalb sei es gerade bei einer Diagnose wichtig, dass eine möglichst neutrale, fachkundige Person involviert sei. „Für das Gespräch mit einem Arzt oder Therapeuten darf aber natürlich jeder selbst vorher Informationen sammeln.“

Therapieplätze fehlen

Ein großes Problem ist allerdings: Die Zahl von Psychotherapie-Plätzen für Kassenpatienten ist begrenzt, gleichzeitig steigt aber die Nachfrage. Ein Erstgespräch, bei dem eine Verdachtsdiagnose gestellt werden kann, ist laut Özdemir noch vergleichsweise leicht zu bekommen. Auf die eigentliche Behandlung müssten Menschen dann aber meist lange warten.

Sind Kinder und Jugendliche betroffen und ist der Leidensdruck besonders groß, rät Burkhard Rodeck Eltern, mit dem Kinder- und Jugendarzt zu sprechen. Dieser könne den Prozess oft beschleunigen. Dennoch gebe es nicht genug Behandlungsplätze in Deutschland, kritisieren beide Experten. Dieser Vorwurf wird auch auf Social Media häufig geäußert – und kann als Vorwand einer Selbstdiagnose dienen.

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Oft nur bestimmte Gruppen im Fokus

Was außerdem dazu verleitet, sich an Erfahrungsberichte vermeintlicher Leidensgenossen im Netz zu halten: Forschung und Diagnostik haben sich bisher oft auf eine bestimmte Personengruppe beschränkt, bestätigt Psychotherapeut Özdemir. Ein typisches Beispiel hierfür ist ADHS. Lange Zeit gab es vor allem die Vorstellung des hyperaktiven Jungen mit ADHS. Heute weiß man, dass Mädchen mit ADHS andere Auffälligkeiten haben können.

„Ich finde es verständlich, dass Minderheiten einander ernster nehmen, wenn sie sich austauschen“, sagt der Therapeut. Aber er ergänzt: „Zum Glück geschieht viel in der Forschung und man ist sich dieser Schwachstelle bewusst.“ Und am Ende sei bei einer Selbstdiagnose die Frage, wie es weitergehe. „Wenn man eine Behandlung möchte oder braucht, wird man nicht um eine Diagnostik mit einer Fachperson herumkommen.“

*Mit Material der dpa

Themen Krankheiten
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