5. Dezember 2020, 18:23 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Aus der Schmerzforschung weiß man, dass Schmerzen im Gehirn entstehen. Ob und wie stark wir Schmerzen empfinden, hängt entsprechend auch damit zusammen, in welcher Gefahr unser Gehirn glaubt, dass sich unser Körper befindet. Wie im neurozentrierten Training mit diesem Ansatz gearbeitet wird und wie man bei Schmerzen die Kontrolle über den eigenen Körper zurückbekommen kann, erfahren Sie hier.
Als Personal Trainerin komme ich immer wieder mit chronischen Schmerzen bei Athleten und Kunden in Berührung. Das Thema Schmerz ist in der Gesellschaft allgegenwärtig. Jeder kennt jemanden, der über ein Ziehen im Knie während oder nach der Belastung klagt, einschränkende Rückenschmerzen hat oder nach Verletzungen mit der Rehabilitation beschäftigt ist.
Inhaltsverzeichnis
Was sind Schmerzen?
Während die Schmerzforschung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immense Erkenntnisse vorweisen kann, sind im Therapie- und Trainingsbereich aus meiner Sicht noch zahlreiche Missverständnisse vorhanden. Es führt häufig dazu, dass Kunden in den Schmerz hinein trainieren. Fehlhaltungen sowie Dysbalancen werden dann durch Therapie und Training nicht verbessert, sondern manchmal sogar noch verschlimmert. Schmerz sollte daher in seiner Multidimensionalität wahrgenommen und verstanden werden.
Zunächst ist Schmerz als ein Signal des Körpers zu verstehen und nicht als Indikator für einen Gewebeschaden. Strukturelle Veränderungen, Gewebeschäden oder neuro-muskuläre und -fasziale Dysfunktionen können zu Schmerzen führen, dies ist aber nicht zwangsläufig der Fall.
So können strukturelle Schäden vorliegen, die lange nicht beachtet werden – ohne, dass Schmerzen wahrgenommen werden. Was sollte als grundlegendes Konzept verstanden werden?
Welchen Zweck erfüllen Schmerzen?
Schmerz ist überlebensnotwendig und als Schutzmechanismus unseres Körpers bedeutend. Durch das Schmerzsignal wird eine sofortige Verhaltensänderung hervorgerufen. Wenn das Zentrale Nervensystem eine Situation als nicht sicher erachtet und den Körper in Gefahr sieht, sendet es ein Schmerzsignal. Ist die Intensität des Schmerzes hoch genug, reagiert der Körper mit sofortiger Veränderung des Bewegungsmusters oder mit der Unterbrechung der Bewegung. Das Zentrale Nervensystem schützt uns reflexiv in gefährlichen Situationen, beispielsweise vor tieferen Schnitten mit dem Messer oder durch Schonhaltung bei stark ruckartigen, ungewohnten Bewegungen.
Wo entstehen Schmerzen?
Schmerzen entstehen im Gehirn – sie sind damit kein Eingangssignale des Körpers sondern Ausgangssignale des Gehirns. Ob ein Schmerzsignal gesendet wird oder nicht, entscheidet das Gehirn. Es erhält von diversen Rezeptoren Signale und damit Informationen – beispielsweise über Spannungsunterschiede im Gewebe – und sendet bei bedrohlichen Situationen Warnsignale an das Zentrale Nervensystem. Das Gehirn empfängt diese und zahlreiche weitere Informationen, integriert und interpretiert sie und entscheidet, ob die Bedrohung so hoch ist, dass Schmerzwahrnehmung freigegeben wird. Hierbei arbeiten zwölf unterschiedliche Funktionsbereiche im Gehirn zusammen. Es gibt also nicht ein Schmerzzentrum.
Wodurch wird die Schmerzentstehung beeinflusst?
An der Entscheidung des Schmerzsignals sind unter anderem die Areale der Emotionssteuerung, der Erinnerungsspeicherung sowie Planung zukünftiger Entscheidungswege beteiligt. Neben den biologischen Aspekten spielen dementsprechend auch psychologische und soziale Faktoren eine Rolle bei der Entstehung des Schmerzes.
Dies erklärt, warum lediglich bewegungsbasierte Therapie- und Trainingsansätze nicht die Lösung sein können für Athleten und Kunden mit Schmerzen. Bei gleicher Signalstärke wird beispielsweise ein Torwart bei einer Handverletzung eine andere Schmerzwahrnehmung generieren als ein Stürmer.
Ein Nervensystem, dass sich langfristig sicher und unbedroht fühlt, bildet einen gesunden und leistungsfähigen Körper. Dies gilt es, in der Therapie und im Training zu erreichen beziehungsweise zu etablieren und ist die Grundlage des neurozentrierten Trainings. Aufbauend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gehe ich im Training genau auf dieses Konzept der Schmerzentstehung und -wahrnehmung ein.
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Schmerzareale im Gehirn erreichen – 3 Übungen aus den neurozentrierten Training
Hier sind drei Übungen, mit denen Du bei Schmerzen direkt die Kontrolle über dich und deinen Körper zurück bekommen kannst. Die Übungen aktivieren Hirnareale, die bei der Schmerzentstehung, -verarbeitung und Wahrnehmung beteiligt sind.
Augenliegestütze
Diese Übung aktiviert das sogenannte Periaquäduktale Grau – einen Bereich im Mittelhirn, der für die Hemmung oder Verstärkung der Schmerzwahrnehmung zuständig ist. Wird dieser Teil trainiert und aktiviert, überprüft das Gehirn neu, ob das Schmerzsignal noch gesendet werden muss – oder nicht.
Ausführung: Setzen Sie sich aufrecht hin und strecken Sie einen Arm aus (was Ihnen angenehmer erscheint). Blick auf die Daumenspitze richten und Daumen zur Nasenspitze führen. Die Augen bleiben auf der Daumenspitze. Führen Sie die Übung in der Geschwindigkeit durch, die Ihnen angenehm ist. Beginnen Sie mit drei bis fünf Wiederholungen. Wenn Ihnen bei der Übung schwindelig wird oder Sie Kopfschmerzen bekommen, lassen Sie diese Übung aus. In diesem Fall sollten Sie das mit einem Arzt besprechen.
Fokussierte Bauchatmung
Ob man schnell eine Treppe nach oben steigen muss, einen längeren Spaziergang macht oder im Homeoffice vor dem Rechner sitzt: Man sollte stets das gesamte Atemvolumen nutzen. Das bedeutet, dass man sowohl in den Bauch, die Rippenbögen sowie den Brustkorb atmen können sollte. Um den Vagusnerv zu stimulieren und damit den Regenerationsmodus des Körpers zu unterstützen, empfiehlt sich der Fokus auf die Bauchatmung. Zur Erinnerung: Durch die vielfachen Verzweigungen des Vagusnervs ist er mit fast allen inneren Organen verbunden. Durch die fokussierte Atmung in den Bauch wird – durch die An- und Entspannung, durch die Ausdehnung und Mobilisation – dieser Hirnnerv also direkt aktiviert und stimuliert.
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Die folgende Übung ist ideal dafür. Sie wird wahlweise im aufrechten Stand oder auf dem Rücken liegend ausgeführt.
Legen Sie beide Hände auf deinen Bauch und atmen für ein paar Atemzüge durch die Nase in den Bauch. Nehmen Sie Ausdehnung des Bauches in beiden Händen wahr. Nehmen Sie die Ausdehnung und das Entspannen des Bauches im gesamten Bauchraum und Rücken wahr. Achten Sie bei allen Atemzügen darauf, ob sich die rechte und linke Körperhälfte gleichmäßig bewegen. Mit ein bisschen Routine kann man mit dieser Übung auch im stressigen Alltag immer wieder etwas Ruhe für sich einkehren lassen.
Zwerchfell-Dehnung
Über die Atmung kann man eine Vielzahl von Problemen positiv beeinflussen: Verspannungen und Beschwerden im Rücken, eine empfindliche Verdauung, nicht erholsamer Schlaf – um nur einige zu nennen.
So wird die Übung ausgeführt: Rückenlage. Ziehen Sie das Schambein zum Bauchnabel; die Lendenwirbelsäule in die Unterlage drücken. Atmen Sie maximal durch die Nase ein und legen Sie parallel die Arme ausgestreckt nach hinten ab. Mund und Rachen öffnen und maximal ausatmen. Die Arme bleiben hinten abgelegt, die Wirbelsäule ist lang gestreckt. Führen Sie drei Wiederholungen durch und nehmen Sie, ganz bewusst, die anschließende Entspannung wahr.