2. Dezember 2022, 19:58 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Gehen ist Gehen? Von wegen! Die gewohnten Bewegungsabläufe rückwärts statt vorwärts abzuspulen, soll zahlreiche Vorteile für die Gesundheit bringen. Das zeigen immer mehr Studien. Unter anderem soll es wesentlich mehr Kalorien verbrennen, rückwärts zu gehen oder zu laufen. Und nicht zuletzt Menschen mit einer Neigung zu Rückenschmerzen sollten jetzt weiterlesen.
Gehen ist gesund, und dies ein wissenschaftlicher Fakt, der immer mehr Spezifizierungen erfährt. So haben erst kürzlich Forscher einen Zusammenhang zwischen zügigem Gehen und einer höheren Lebenserwartung festgestellt. Eine drastischere Abwandlung wäre da das Rückwärtsgehen – und diese offenbar ganz besonders gesund.
Übersicht
Rückwärtsgehen ist gesund
Jack McNamara ist Dozent für klinische Bewegungsphysiologie an der University of East London. Zuletzt habe er sich im Speziellen mit den Vorzügen durch Rückwärtsgehen befasst. In einem aktuellen Beitrag für das Mediennetzwerk „The Conversations“ geht er genauer darauf ein; FITBOOK fasst die „überraschend vielen Gesundheitsvorteile“ zusammen.
Enormer Kalorienverbrauch und Fitnesssteigerung
Das Gute am Gehen sei ja, dass man ohne großen Aufwand einen gesundheitlichen Effekt erzielen kann. Selbst ein zehnminütiger strammer Spaziergang bringe dem Körper Vorteile. Das bestätige laut McNamara selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Denn Gehen scheine zwar unkompliziert, doch die Koordination erfordere eine nicht zu unterschätzende Beteiligung der sogenannten vestibulären und propriozeptiven Systeme. Diese sind jeweils für das Gleichgewicht und die Wahrnehmung des eigenen Körpers in der Atmosphäre zuständig. Umso herausfordernder sei es für das Gehirn, die erlernten Abläufe in umgekehrter Richtung abzurufen.
Das drückt sich auch in Zahlen aus. So soll man rückwärts um rund 40 Prozent mehr Kalorien verbrennen als beim vorwärts gerichteten Gehen, und somit messbar an Körperfett verlieren können. Regelmäßig ausgeführt sollen Rückwärtsgehen und -laufen einen starken Effekt auf die „kardiorespiratorische Fitness“ haben, also auf die Fähigkeit, den eigenen Körper über die Atmung und den Blutkreislauf mit Sauerstoff zu versorgen. Dies hat ein Team südafrikanischer Forscher in einer Studie mit weiblichen Probanden im Alter zwischen 18 und 23 herausgefunden1.
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Bessere Körperbalance und Entlastung der Gelenke
Am besten dokumentiert seien die Auswirkungen des Rückwärtsgehens auf die körperliche Stabilität und Balance2. Deshalb werde es mit Erfolg auch in der Therapie von Gehbehinderungen eingesetzt. Rückwärtsgehen sei weiterhin schonend und somit gesund für die Gelenke, denn man mache dabei kleinere und folglich mehr Schritte. Davon profitiere laut McNamara nicht zuletzt die Wadenmuskulatur.
Gut gegen Rücken- und Knieschmerzen
Stichwort Muskeln. Beim Rückwärtsgehen würden weiterhin die Muskeln im Bereich der Lendenwirbelsäule gestärkt. Das leuchtet ein, denn während man beim gewöhnlichen Vorwärtsgehen auch mal beispielsweise den Kopf hängen lässt, ist man rückwärts automatisch mehr um seine Haltung bedacht. Und um aufrecht stehen und gehen zu können, muss die Rückenmuskulatur aktiv sein. Der Dozent führt eine wissenschaftliche Arbeit an, der zufolge Rückwärtsgehen bei der konventionellen Behandlung von Rückenschmerzen unterstützend wirken können soll3.
Selbst Knieschmerzen soll man durch Rückwärtsgehen auf gesunde Weise lindern können. Das haben Waliser Forscher der Universität Cardiff bereits vor Jahren herausgefunden. Das Team habe zeigen können, dass Rückwärtsgehen die schmerzverursachenden Druckkräfte hinter der Kniescheibe reduzieren kann, und das unabhängig von der Laufgeschwindigkeit. „Es ist daher möglich, dass Rückwärtsgehen als Teil eines spezifischen, von einem Physiotherapeuten verordneten Rehabilitationsprogramms dazu beitragen kann, betroffene Patienten wieder arbeitsfähig zu machen“, hieß es damals in einer Pressemitteilung4.
Training der rechten Gehirnhälfte
Verbessertes Kurzzeitgedächtnis
Auch Rückwärtsgehen als Gedächtnistraining war bereits Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung, und zwar an der Londoner University of Roehampton. Das verantwortliche Forscherteam habe 100 Probanden die gleichen Videos vorgespielt, danach sollte ein Teil von ihnen vorwärts und ein Teil von ihnen rückwärts gehen. Bei der anschließenden Befragung habe sich gezeigt, dass die Rückwärts-Gruppe sich wesentlich besser an das Gesehene erinnern konnte.
Den Ergebnissen zufolge können „bewegungsinduzierte vergangenheitsgerichtete mentale Zeitreisen die Gedächtnisleistung für verschiedene Arten von Informationen verbessern“. So erklärte es Studienleiter Dr. Aksentijevic in einer entsprechenden Pressemitteilung5. Vereinfacht gesagt: Wenn man rückwärts läuft, denkt man eher an die Vergangenheit, und in Vorwärtsrichtung dagegen an die Zukunft. Denn das menschliche Gehirn verknüpfe Raum und Zeit.
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Rückwärtsgehen und Demenz vorbeugen?
Dass man durch die ungewohnten Bewegungsabläufe die rechte Gehirnhälfte trainiert, ist bekannt. Denn dabei ist besondere Konzentration gefragt, die Ausführung muss immerhin neu gelernt werden. Ebenso wie Rückwärtslesen vermag Rückwärtsgehen auf die Dauer, die geistigen Funktionen zu fördern. Beides wird deshalb auch zur Vorbeugung von Alzheimer und Demenz empfohlen.
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Quellen
- 1. E. Terblanche, C. Page, J. Kroff, et. al (2005), The Effect of Backward Locomotion Training on the Body Composition and Cardiorespiratory Fitness of Young Women, International Journal of Sports Medicine
- 2. T. Balasukumaran, B. Olivier, M. Ntsiea (2018), The effectiveness of backward walking as a treatment for people with gait impairments: a systematic review and meta-analysis, Sage Journals
- 3. B. Ansari, P. Bhati, D. Singla, et. al. (2018), Lumbar Muscle Activation Pattern During Forward and Backward Walking in Participants With and Without Chronic Low Back Pain: An Electromyographic Study, Journal of Chiropractic Medicine
- 4. Cardiff University: Tackling knee pain (aufgerufen am 2.12.2022)
- 5. University of Roehampton: Psychology team conducts research indicating that backward motion improves memory (aufgerufen am 2.12.2022)