3. Juli 2023, 20:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Durchfall, Verstopfung, Schmerzen – beim Reizdarmsyndrom spielt der Verdauungstrakt verrückt. Häufig kämpfen Betroffene mit einer Vielzahl unspezifischer Symptome.
Weltweit leiden etwa elf Prozent an einem Reizdarm, wobei Frauen häufiger von den Darmbeschwerden betroffen sind.1 Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist auch als Irritable Bowel Syndrom (IBS) bekannt. FITBOOK erklärt, woran Sie einen Reizdarm erkennen, welcher Arzt der richtige ist und was Sie für Ihre Darmgesundheit machen können.
Übersicht
Definition
Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Erkrankung des Verdauungstraktes. Die Symptome können vielfältig sein, aber meist äußert sich ein Reizdarm durch Unterbauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung oder Durchfall. Dabei reagiert der Darm reagiert unspezifisch auf verschiedenste Stressoren, z. B. psychischen Stress oder bestimmte Lebensmittel. Andere ursächliche Erkrankungen, die zu solchen Symptomen führen könnten, etwa Zöliakie oder eine Allergie, liegen beim Reizdarmsyndrom nicht vor.
Symptome
Häufig verläuft die Krankheit chronisch, d. h. die Symptome treten immer wieder in Schüben oder dauerhaft auf. Das Spektrum möglicher Symptome bei einem Reizdarm ist breit. Folgende Beschwerden treten einzeln oder auch in Kombination auf:
- Blähbauch
- Durchfall
- Verstopfung
- Bauchschmerzen
- Bauchkrämpfe
- Blähungen
- Schleimbeimengungen im Stuhl
Ursachen
Obwohl das Reizdarmsyndrom eine häufige Erkrankung ist, ist ihre Entstehung und Entwicklung noch nicht gänzlich entschlüsselt. Mögliche Ursachen sind:
- Allgemeine Überempfindlichkeit des Darms und anderer Bauchorgane
- Gestörte Immunregulation
- Gestörte Darmflora
- Psychische Faktoren
- Bestimmte Lebensmittel
Hinsichtlich bestimmter Lebensmitteln konnten in Provokationssstudien bei elf bis 27 Prozent der Probanden diejenigen Lebensmittel identifiziert werden, welche die Symptome verursachten. Dabei gibt es individuelle Unterschiede.
Bis heute unklar ist die Rolle der Darmflora: Einer Studie aus Seoul zufolge stehe eine verminderte Bakterienvielfalt im Darm von Patienten mit RDS zwar im Zusammenhang mit der Erkrankung, ob sie ursächlich ist, bedarf jedoch weiterer Forschung.2 Ist die Darmflora über längere Zeit im Ungleichgewicht, kann dies zu Veränderungen der Darmschleimhaut führen. Sind Schutz- und Barrierefunktionen gestört, wird die Schleimhaut durchlässig für unerwünschte Substanzen. Der Darm wird „löchrig“, man spricht von einem Leaky Gut.
Auch scheint die Psyche eine Rolle zu spielen: Zahlreiche Studien bestätigen, dass Angstzustände und Depressionen eng mit der Entstehung, Entwicklung und dem Fortschreiten des Reizdarmsyndroms zusammenhängen. Bei RDS-Patienten weisen 39,1 Prozent Angstsymptome und 28,8 Prozent depressive Symptome auf.3
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Diagnose
Temporäre Verdauungsprobleme oder Veränderungen des Stuhlgangs sind nicht unmittelbar Grund zur Sorge. Ein Reizdarm liegt erst vor, wenn die Symptome über längere Zeit anhalten, die Lebensqualität durch die Beschwerden gemindert ist und andere Ursachen ausgeschlossen werden konnten. Konkret müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- die Beschwerden dauern seit mehr als drei Monaten an
- Bauchschmerzen
- Veränderte Stuhlgewohnheiten (Häufigkeit, Form)
- Probleme beim Stuhlgang
- Ausschluss anderer möglicherweise ursächlicher Erkrankungen, u. a.
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
- Krebserkrankungen
- Zöliakie
- Nahrungsmittel-Intoleranzen
- Nahrungsmittel-Allergien
Je nach Symptomatik kann in drei Gruppen unterschieden werden:
- RDS-D: Durchfall im Vordergrund
- RDS-O: Verstopfung im Vordergrund
- RDS-A: wechselnde Stuhlbeschwerden
Für die Diagnostik können Sie sich an Gastroenterologen wenden, diese Ärzte sind auf Magen-Darm-Erkrankungen spezialisiert. Aber auch Proktologen, Ernährungsmediziner und Allergologen können Ihnen weiterhelfen.
Behandlung
Tipps für die alltägliche Ernährung
Das National Institute for Health and Care Excellence hat einige allgemeingültige Ernährungsempfehlungen für Reizdarm-Patienten entwickelt:
- Regelmäßig essen und sich ausreichend Zeit nehmen
- Täglich circa acht Tassen Flüssigkeit – bevorzugt Wasser
- Täglich maximal drei Tassen Tee oder Kaffee
- Reduzierter Verzehr von stark fetthaltigen Nahrungsmitteln
- Reduzierter Verzehr von Alkohol und kohlensäurehaltigen Getränken
- Reduzierter Verzehr von stark ballaststoffreichen Nahrungsmitteln wie Vollkornmehl, Vollkornreis, Hülsenfrüchte, Zuckermais
- Reduzierter Verzehr von resistenter Stärke (häufig in verarbeiteten Lebensmitteln)
- Beschränkung von frischem Obst auf drei Portionen pro Tag
- Besonders bei RDS-D: Vermeidung von Zuckeralkoholen wie Sorbit oder Mannit (z. B. zuckerfreies Kaugummi)
- Bei Blähungen und Völlegefühl kann ein Esslöffel Hafer oder Leinsamen pro Tag helfen
Low–FODMAP-Diät
Sogenannte FODMAPs sind kurzkettige und fermentierbare Zucker bzw. Kohlenhydrate, die in zahlreichen Lebensmitteln vorkommen. FODMAP ist die englische Abkürzung für fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole. Oligosaccharide sind Kohlenhydrate, die aus mindestens zehn Einfachzuckern (Monosacchariden) bestehen(z.B. Stärke oder Glykogen); Disaccharide sind Zweifachzucker (z.B. Laktose) und zu den Monosacchariden zählen z.B. Fructose oder Glukose. Polyole sind mehrwertige Alkohole (z.B. Sorbitol, Xylitol).
FODMAPs werden im Dünndarm häufig schlecht absorbiert. Teilweise führen sie auch zu einer Erhöhung der Flüssigkeitsmenge im Darm. Solche FODMAPs werden zudem im Darm von Bakterien schnell fermentiert, es entstehen Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff. Das führt zu einer veränderten Darmbewegung, Blähungen und Schmerzen.
Ziel der Low-FODMAP–Diät ist es, die Symptome eines Reizdarms zu lindern und vorzubeugen.4 Dabei werden über mehrere Wochen und unter ärztlicher Aufsicht zunächst alle FODMAPs vermieden, um sie nach Symptomlinderung schrittweise wieder einzuführen und eine individuelle, dauerhafte Ernährungsform aufzustellen.
Typische FODMAP-Kohlenhydrate:
- Oligosaccharide: Hülsenfrüchte, Chcoree, Artischocken, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Weizen, Roggen, Gerste
- Disaccharide: Produkte aus Kuh-, Schafs- und Ziegenmilch (Laktose)
- Monosaccharide: Obst, Trockenobst, Honig (Fruktose)
- Polyole: zuckerfreier Kaugummi, Light-Produkte, Apfel, Birne, Kirsche, Pilze
Weitere Therapieansätze
Es gibt erste Hinweise darauf, dass Pfefferminzöl schmerzlindernd bei einem Reizdarm wirken kann. Allerdings bedarf es hierbei weiterer Forschung. Neben Pfefferminzöl soll auch Kümmelöl lindernd wirken“ erklärt Enrico Zessin, Arzt in Weiterbildung für Innere Medizin und Sportmedizin, Verbandsarzt Deutscher Leichtathletik Verband und Diplom-Molekularbiologe. Außerdem rät er: „Bei starken akuten Beschwerden können kurzfristig Spasmolytika angewandt werden. Sie entspannen die Darmmuskulatur und damit -bewegung. Sollte eine offensichtliche, psychische Komponente vorliegen, mit pathologischem Hintergrund, z. B. eine Depression oder Angststörung, sollte diese therapeutisch, ggf. auch medikamentös, z.B. mit Antidepressiva, behandelt werden.“
Zuverlässig erforscht ist die Wirkung von Präbiotika. Dabei handelt es sich um „Futter“ für diejenigen Darmbakterien, die zur Gesundheit des Darms beitragen; z. B. Inulin. Ob bei Ihnen eine zusätzliche Einnahme von Präbiotika sinnvoll ist, können Sie mit Ihrem Arzt besprechen.
Auch psychotherapeutische Ansätze werden diskutiert: Entspannungsübungen oder Strategien zur Stressvermeidung können Teil der Therapie sein. Daneben werden aktuell Meditation und Yoga als mögliche Therapieansätze erforscht.
Reizdarmsyndrom-Therapie Die Low-FODMAP-Diät soll gegen Darmbeschwerden helfen
„Löchriger“ Darm Leaky Gut – Ursachen, Symptome und Folgen für die Gesundheit
Darmgesundheit Wie unser Mikrobiom entsteht und sich verändert – und wie es mit Krankheiten zusammenhängt
Quellen
- 1. Canavan, C., West, J. Card, T. (2014). The epidemiology of irritable bowel syndrome. Clinical Epidemiology.
- 2. Gun-Ha, K., Lee, K., Shim, J. (2023). Gut Bacterial Dysbiosis in Irritable Bowel Syndrome: a Case-Control Study and a Cross-Cohort Analysis Using Publicly Available Data Sets. Microbiology Spectrum.
- 3. Chen,Y., Lian, B., Li, P. et al. (2022). Studies on irritable bowel syndrome associated with anxiety or depression in the last 20 years: A bibliometric analysis. Frontiers in Public Health.
- 4. Dietrich, W. (2021) Ernährung bei Reizdarmsyndrom: Rolle von FODMAPS. Hector-Zentrum für Ernährung.
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). (2021). Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. (aufgerufen am 3.7.2023)
- National Institute for Health and Care Excellence. Irritable Bowel Syndrome: What You Need To Know. (aufgerufen am 03.07.2023)