22. Mai 2024, 16:53 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
„Corona ist vorbei“, hört man häufig. Diese Ansicht teilen jedoch Menschen, die noch viele Wochen oder gar Monate später unter den schweren Folgen einer Sars-CoV-2-Infektion leiden, sicherlich nicht – ebenso wenig wohl deren Angehörige. FITBOOK-Autorin Laura Pomer hat mit einem Experten über die Krankheitsbilder von Long Covid und Post Covid gesprochen, wobei vor allem Letzteres demnach für Betroffene in vielen Fällen ein normales Leben unmöglich macht. Erschwerend kommt hinzu, dass man den Erkrankten kaum helfen kann.
Long Covid steht für Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung und ist wiederum selbst ein Krankheitsbild. FITBOOK hat schon häufiger darüber berichtet. Betroffene leiden bis zu zwölf Wochen nach einer überstandenen Infektion mit dem Coronavirus an verschiedenen Beschwerden, von Husten über Gedächtnisprobleme bis hin zu ständiger, ausgeprägter körperlicher Erschöpfung. Halten die Symptome über zwölf Wochen hinaus an, spricht man von Post Covid. „Ein großes Problem, das kaum thematisiert wird“, sagt dazu Dr. med. Michael Feld. Der eigentlich auf Schlafmedizin spezialisierte Arzt hat sich zuletzt sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Ganz aktuell veröffentlichte er einen entsprechenden Fachartikel. Wir haben ausführlich mit ihm speziell über Post Covid gesprochen.
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Übersicht
Definition von Long Covid und Post-Covid-Syndrom
„Als Post-Covid-Syndrom werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als zwölf Wochen nach Beginn der Sars-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können.“ So steht es in einer Leitlinienempfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI).1 Long Covid ist quasi ein Überbegriff für verschiedene Ausprägungen von Corona-Spätfolgen. In diesem Beitrag ist daher vereinheitlichend oft von Long / Post Covid die Rede.
Experte über Betroffene: „Man sieht diese Menschen nicht mehr“
Dr. Feld berichtet von rund 200.000 Post-Covid-Patienten in Deutschland, die „völlig kraftlos in deutschen Betten liegen“, und deren Beschwerden bleiben. Es seien vor allem viele junge Frauen darunter, was auch Statistiken belegen.2 Die Betroffenen können ihr Leben oft nur mit Unterstützung beispielsweise der Eltern meistern. „Der Schwergrad der Erkrankung kann variieren zwischen völlig bettlägerig, also nur mit dem Rollstuhl mobil, und etwa zumindest noch fähig, selbstständig zum Arzt zu gehen, aber nicht mehr zu arbeiten.“ Man sehe diese Menschen nicht mehr, mahnt der Experte.
Dass öfter Frauen als Männer an Corona-Langzeitfolgen wie Long Covid und Post Covid erkranken – „und jüngere Frauen öfter als ältere“, so Dr. Feld –, gelte allgemein auch für Autoimmunerkrankungen. Die Prävalenz dürfte mit der Genetik und dem Geschlecht zusammenhängen, mutmaßt er. Der Gedanke an Hormone liege nahe, doch man wisse noch immer nicht genau, welche Begleitfaktoren genau eine Rolle spielen.
Klassische Symptomkonstellation bei Long / Post Covid
In Studien haben sich Wissenschaftler mit den besonders häufigen Long-Covid-Symptomen befasst.3,4 Darunter sind neben denen, die Dr. Feld uns beschreiben wird, unter anderem anhaltende Schmerzen in der Brust, Libido- und Magen-Darm-Probleme. In entsprechenden Untersuchungen betonen Forscher, dass sich die Spanne der möglichen Krankheitsanzeichen nicht auf solche beschränken muss, die in der Fachliteratur dokumentiert sind. Heißt: Auch nicht aufgeführte Auffälligkeiten könnten mit einer vorangegangenen Coronavirus-Infektion zusammenhängen.
Viele Betroffene von Post Covid – der noch länger anhaltenden Form von Long Covid also – machten ursächlich einen milden Corona-Krankheitsverlauf durch, berichtet Feld. Wochen später dann fange es an, dass bei ihnen bereits leichte körperliche Anstrengungen ausgeprägte Erschöpfungssymptome nach sich ziehen. Welche konkreten Prozesse diesen Beschwerden zugrunde liegen, könne man bis heute nicht mit Gewissheit sagen. „Aber zumindest, dass es in einigen Fällen zu einer Viruspersistenz gekommen ist.“ Das bedeute, dass die Coronaviren sich so fest in die Zellen eingebracht haben, dass sie immer wieder reaktiviert werden. Es handele sich dann um „eine chronisch latente Infektion, die wiederkehrende Entzündungen hervor- und das Immunsystem auf den Plan ruft“. Das spezielle Spike-Protein auf der Oberfläche des Coronavirus verleite davon infizierte Zellen dazu, selbst Coronaviren mit Spike-Proteinen zu produzieren. Diese würden in die Zellmembran eingebaut, erklärt der Experte weiter, was ein verändertes Spannungspotenzial mit sich bringe.
Post-Exertional Malaise (PEM)
Schon länger sei der Medizin bekannt, dass es nach zum Beispiel einer Erkrankung an Borreliose oder Infektionen mit Epstein-Barr-Viren (EBV, Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers) noch Monate später zu starker Erschöpfung kommen kann. Früher habe man dies oft abgetan als „rein psychisch“, erinnert sich der Arzt. Doch inzwischen wisse man, dass es sich beim sogenannten Fatigue-Syndrom um eine chronische Erkrankung handele. Auch Long Covid und Post Covid gehen häufig mit dem postviralen Erschöpfungszustand einher. Die Ursache könne eine Überreaktion des Immunsystems sein, so Dr. Feld, mit allen entsprechenden Folgen „wie etwa der Ausschüttung von entzündungsfördernden Substanzen“.
Man nehme nun an, dass es bei einem Teil der Long- und Post-Covid-Erkrankten durch die Immunaktivität zu einer Reaktivierung von EBV-Viren kommen könne. Jene Betroffene müssten gar nicht wissen, dass sie ehemals mit EBV-Viren infiziert waren: Das Pfeiffersche Drüsenfieber kann auch still verlaufen. Durch „den zweiten Schuss mit dem Coronavirus“, wie Dr. Feld es nennt, beziehungsweise durch die immunale Aktivität könne es zu einer erneuten Aktivität der schlummernden EBV-Viren kommen, was Betroffenen folglich doppelt zu schaffen mache. Viele von ihnen leiden dann an Post-Exertional-Malaise (PEM), einem von verschiedenen Symptomen des Fatigue-Syndroms. Dieses äußert sich, wie oben beschrieben, mit schweren und dauerhaften Erschöpfungszuständen nach geringfügigen körperlichen Anstrengungen.
Brain Fog
Daneben litten viele Betroffene von Long / Post Covid an Brain Fog, auch als Gehirnnebel bekannt. Der Begriff bezeichnet häufig gemeinsam auftretende, neurokognitive Symptome. „Man kann nicht richtig denken“, beschreibt es der Arzt, „Betroffene fühlen sich wie betrunken, als hätten sie zwei Nächte nicht geschlafen.“
Posturale Tachykardiesyndrom (POTS)
Wenn man gelegen hat und aufsteht, sei es ganz normal und vielmehr eine wichtige körperliche Reaktion, dass der Puls sich etwas beschleunige, erklärt Schlafmediziner Feld. Die Blutgefäße in den Beinen werden eng, der Herzschlag ein wenig schneller und der Blutdruck steigt, was dem Kreislauf dabei hilft, sich wieder an den stehenden Zustand und die Schwerkraft zu gewöhnen. Das seien im Normalfall etwa zehn Herzschläge mehr pro Minute. Bei Long- oder Post-Covid-Erkrankten, die am Posturalen Tachykardiesyndrom (POTS) leiden, steige die Herzfrequenz nach dem Aufstehen um über 30 Schläge pro Minute an. In der Folge könne ihnen schwindelig werden, manche würden ohnmächtig. Es seien auch Symptome wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit und Kopfschmerzen möglich.
Schlafstörungen
Sehr häufig gehen Long Covid und Post Covid mit schweren Schlafstörungen einher, weiß Dr. Feld – sein Fachgebiet. So kam es auch, dass er intensiver mit dem Thema in Kontakt gekommen ist. Ärztekollegen, die in auf Long / Post Covid spezialisierten Zentren tätig sind, hätten ihm demnach Patienten zugewiesen, die der Schlafmediziner symptomatisch behandelt. Da viele der Betroffenen so geschwächt sind, dass sie nicht mehr in Arztpraxen erscheinen können, erfolgen Untersuchungen oft fernmündlich. Etwa können Schlafmessgeräte an die Patienten verschickt und diese von ihnen nach der Anwendung wieder zurückgesendet werden.
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Die Forschung arbeitet an Therapiemethoden – noch gibt es keine
Man versuche, die Forschung zu fördern. Derzeit überwiege der Bedarf an Behandlung den verfügbaren Kapazitäten um Weiten – „Betroffene ringen um Hilfe“, weiß Dr. Feld. Die wenigen existierenden Spezialabteilungen können nicht alle der hunderttausenden Leidenden aufnehmen. Eine große Zahl von ihnen bezeichnet der Arzt daher als „Gottes verlorene Kinder“ und das Problem Long / Post Covid ingesamt als enorm.
Experten erprobten zurzeit in entsprechenden Einrichtungen (z. B. in der Universitätsmedizin der Berliner Charité) verschiedenste Behandlungen. Doch selbst, wen bei einem Patienten ein Therapieansatz erste Erfolge zeige – das müsse er dann ja noch längst nicht bei jedem. Bei manchen Betroffenen wirkten demnach hohe Dosen an Melatonin oder bestimmten Mikronährstoffen. Andere benötigten eine Blutwäsche (Apherese), bei der Auto-Antikörper aus dem Blut entfernt werden. Wieder anderen kann bislang gar nicht geholfen werden.
„Man wird die Krankheit irgendwann besser behandeln können“, hofft der Experte. Derzeit sei es wichtig, ein besseres Verständnis davon zu erlangen. Und daneben auch, das Leid der Betroffenen ernst zu nehmen.