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Experte über das Problem mit der Abnehmspritze

Ozempic abgesetzt? „Viele erreichen ihr Ausgangsgewicht innerhalb eines Jahres wieder“

Mann spritzt sich Ozempic
Abnehmspritzen lassen die Pfunde ohne großen Aufwand purzeln. Doch was, wenn man die Medikamente wie Ozempic absetzt? Foto: Getty Images
Anna Echtermeyer
Redakteurin

31. Januar 2024, 12:51 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Semaglutid-haltige Arzneimittel wie Ozempic oder Wegovy müssen ärztlich verordnet werden. Wird die Spritze, die den Appetit massiv zügelt, rein zur Therapie von Adipositas eingesetzt, müssen Patienten bis zu 2000 Euro pro Jahr dafür hinlegen. Da ist die Verlockung groß, die Therapie abzusetzen, sobald das Wunschgewicht erreicht ist. Doch danach scheint es nur eine Frage der Zeit, bis das Ausgangsgewicht wieder erreicht ist. Warum das so ist, erklärt Prof. Dr. Norbert Stefan. Er forscht an der Universität Tübingen zu GLP-1-Therapien.

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Eigentlich ist Semaglutid ein Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit Diabetes. Längst wird es jedoch auch zur reinen Behandlung von Adipositas eingesetzt – in beiden Fällen müssen Semaglutid-haltige Medikamente wie Ozempic oder Wegovy jedoch von einem Arzt verschrieben werden. Bei der reinen Therapie von Adipositas erstattet die Krankenkasse jedoch in den allermeisten Fällen keine Kosten, Patienten müssen viel Geld zahlen. Hat das Medikament Wirkung gezeigt und das Wunschgewicht ist erreicht, liegt es nahe, Ozempic einfach abzusetzen. Doch was danach im Körper passiert, dürfte alles andere als gewünscht sein. FITBOOK sprach mit Prof. Dr. Norbert Stefan, der an der Uniklinik Tübingen unter anderem zu GLP-1-basierten Therapien forscht. Er sagt, was nach dem Absetzen von Ozempic passiert – und wie man sich dagegen wappnen kann.

Ozempic absetzen – das passiert im Körper

FITBOOK: Wer Präparate wie Ozempic und Wegovy zur reinen Gewichtsreduktion bei Adipositas verschrieben bekommt, muss tief in die Tasche greifen. Hat die Person dann ihr Wunschgewicht erreicht, liegt es nahe, das Medikament wieder abzusetzen. Sie forschen unter anderem zu dieser Thematik: Was geschieht danach im Körper? Welche Folgen hat das?
Prof. Dr. Norbert Stefan: „Für das Absetzen von GLP-1-basierten Therapien gibt es nicht allzu viele Daten. Es gibt eine kontrollierte Studie mit übergewichtigen und adipösen Menschen ohne Diabetes, die sich 68 Wochen lang Semaglutid gespritzt haben bei einer gleichzeitigen reduzierten Kalorienzufuhr auf etwa 1200 Kilokalorien pro Tag und einer sportlichen Aktivität von 150 Minuten pro Woche, was streng kontrolliert wurde. Nach den 68 Wochen hatten diese Patienten rund 15 Prozent ihres Körpergewichts verloren.

Dann wurde die Therapie abrupt abgesetzt. Genau ein Jahr später untersuchte man die Personen noch einmal. Ein Großteil hatte ihr Ausgangsgewicht wieder erreicht. Im Schnitt hatten sie zwei Drittel des verlorenen Gewichts wieder zugenommen.

„Viele erreichen ihr Ausgangsgewicht innerhalb eines Jahres wieder“

Fazit: Viele Patienten erreichen ihr Ausgangsgewicht innerhalb eines Jahres nach dem Absetzen einer GLP-1-basierten Therapie wieder. Diese Annahme ist in der Wissenschaft recht etabliert.“

Körperzellen erinnern sich offenbar nicht an Wirkung einer GLP-1-Therapie

Wie erklären Sie sich das?
„Diese Therapien scheinen keinen „Memory-Effekt“ auszulösen, wenn die Patienten wieder an Gewicht zulegen. Was natürlich wünschenswert gewesen wäre.“

Können Sie das genauer erklären?
„’Memory-Effekt‘ in der Medizin bedeutet, dass sich Zellen an die Wirkung einer Therapie erinnern. So wie die Gedächtniszellen in Muskeln, die sich nach längeren Trainingspausen an frühere Leistungen erinnern und man schneller wieder in Hochform kommt, wenn man einmal sehr sportlich war“

Auch interessant: Der „Muscle Memory“-Effekt nach längeren Trainingspausen

Ozempic, Wegovy: Die Fettmasse sinkt – die Muskelmasse aber auch, und das ist das Problem

„Es gibt möglicherweise ein grundlegendes Problem mit diesen Medikamenten: Patienten, die eine GLP-1-Therapie erhalten, haben weniger Hunger und ernähren sich kalorienreduziert. Dadurch verlieren sie natürlich Fettmasse. Aber, und das ist wichtig: weil sie aufgrund des Wirkstoffs Semaglutid, der den Appetit stark zügelt, sehr viel weniger Essen, sind die Betroffenen oft insgesamt etwas schlapp und müde, weshalb sie sich meistens auch weniger bewegen.

Als Folge baut der Körper Aminosäuren in der Muskulatur ab. Man verliert also wahrscheinlich auch etwas an Muskelmasse. So lange man sich kalorienreduziert ernährt, ist das auch kein Problem! Aber wenn man nach dem Absetzen des Medikaments wieder an Gewicht zunimmt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dann vor allem an Fett zunimmt und nicht Muskelmasse, sehr hoch. Damit verändert sich das Fett-Muskulatur-Verhältnis. Und genau das will man ja nicht!“

Weil Muskelmasse beim Abnehmen hilft, indem sie den Grundumsatz erhöht.
„Diese mögliche Folge der GLP-1-Therapien ist derzeit eine ganz wichtige Fragestellung unter Wissenschaftlern. Bezüglich der Fett-Muskel-Verteilung nach so einer Therapie hat man im Moment etwas Sorge, weil das Parameter sind, die man nicht so einfach messen kann.“

»Ohne Lebensstiländerung wird eine GLP-1-Therapie auf Dauer nicht effektiv sein

Was schlussfolgern Sie daraus? Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der beabsichtigt, mit einer GLP-1-Therapie Gewicht zu verlieren?
„Dass eine GLP-1-Therapie, wenn sie rein zur Adipositas-Behandlung verordnet wurde, sehr langfristig angelegt werden sollte und unbedingt von einer gut durchgeführten Lebensstiländerung begleitet werden muss. Dafür haben die Krankenkassen strukturelle Programme für alle Lebensbereiche: Das reicht von Ernährungsberatung über Sportprogramme bis hin zu Rehaprogrammen. Jeder sollte bei seiner Kasse nachfragen, welche Zuschüsse es gibt, damit man nicht auf seinen gesamten Kosten sitzenbleibt. Nochmal: Die Lebensstiländerung ist das A und O! Wenn man das nicht macht, wird eine GLP-1-Therapie auf Dauer wahrscheinlich nicht sehr effektiv sein.“

„Patienten werden in falscher Sicherheit gewogen“

Seitdem man es auch zur Adipositas-Therapie zugelassen hat, wandelte es sich immer mehr zum Lifestyle-Medikament, mit dem man ohne Anstrengung ein paar überschüssige Kilos verlieren kann. Prominente wie Robbie Williams, Kim Kardashian oder Elon Musk haben es vorgemacht, ihre Botschaft: Mit der Spritze das Wunschgewicht erreichen, alles ganz easy.
„Falls die medizinische Verordnung von Semaglutid zur Gewichtsabnahme nicht durch eine strukturierte Lebensstilintervention begleitet wird, werden die Patienten möglicherweise in falscher Sicherheit gewogen. Es ist vergleichbar mit einem selbstfahrenden Auto: Man lässt das Medikament für sich arbeiten. “

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Rebound-Effekt möglicherweise viel größer als erwartet

Nur geht Normalverdienern irgendwann der Sprit aus. In Deutschland kostet eine Jahresversorgung mit Ozempic oder Wegovy, wenn es rein zum Abnehmen verschrieben wird, zwischen 1100 und 2000 Euro, in den USA noch deutlich mehr. Nicht gerade Peanuts, was manche zum absetzen zwingt…
„Wenn ich die Therapie irgendwann nicht mehr bezahlen kann, weil eine reine Adipositas-Therapie aktuell in den allermeisten Fällen aus eigener Tasche gezahlt werden muss, dann habe ich im Endeffekt gelernt: Es hilft mir ein Medikament, das den Appetit wegnimmt. Ich habe dann oft nicht gelernt, meinen Lebensstil zu verändern.

Das könnte einen größeren Rebound-Effekt haben, als wir es uns bisher vorstellen können. Wenn ich die Therapie irgendwann nicht mehr bezahlen kann, könnte die Frustration kommen, weil man meist nie strukturiert gelernt hat, seinen Lebensstil zu ändern.“

Der Rebound-Effekt (auch Rebound-Phänomen) kann nach dem Absetzen von Arzneimitteln vorkommen. In dem Fall treten die Symptome einer zuvor mit dem Medikament behandelten Krankheit schnell und verstärkt wieder auf. Verursacht wird ein Rebound durch die Gewöhnung des Körpers an ein Medikament. Es bilden sich Rezeptoren zurück, auf die der Wirkstoff des Medikaments gewirkt hatte. Vereinfacht gesagt: Der Körper stumpft ab gegen einen Wirkstoff.  

Ozempic absetzen – Folgen für Cholesterin, Blutdruck und Blutzucker

Wie sieht es denn mit anderen, messbaren gesundheitlichen Folgen aus, nachdem eine GLP-1-Therapie abgesetzt wurde? Was weiß die Forschung inzwischen darüber?„Beim Cholesterin scheint es so zu sein, dass die Werte den Ausgangsbereich wieder erreichen, wenn das Medikament abgesetzt wurde. Gleiches gilt für die Verbesserung des Blutdrucks sowie eine Reduktion von Blutzucker im prädiabetischen Bereich. Es scheint also kein größerer Benefit zu bleiben.“

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Für wen und wann ist der Einsatz einer GLP-1-Therapie spezifisch zur Gewichtsreduktion Ihrer Ansicht nach denn überhaupt sinnvoll?
„Mir ist ganz wichtig zu erwähnen, dass eine GLP-1-Therapie immer ärztlich verordnet werden muss und deren Einsatz ärztlicherseits engmaschig begleitet werden soll. Diese Therapien sind nur sinnvoll, wenn sie unterstützend sind. Sie sollen einen Startschuss geben, dass man merkt: Es geht etwas, ich kann Gewicht verlieren, ich kann mich leichter bewegen. Eine Motivationshilfe, immer begleitet von einer Lebensstiländerung.“

So, wie es die Patienten in der Studie gemacht haben, die Sie eingangs zitierten: Mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung? In dem Fall der Studie waren es sogar nur rund 1200 Kilokalorien täglich und 150 Minuten Sport pro Woche. Das ist schon eine große Einschränkung.
„Die Patienten dieser Studie wurden alle intensiv angeleitet, ihren Lebensstil zu modifizieren und sie wurden dabei auch permanent kontrolliert.“

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„Mit einer Beratung vom Flyer geht das Gewicht nach dem Absetzen vermutlich noch schneller hoch“

In der Realität sieht das vermutlich häufig anders aus. Vor allem dann, wenn Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid als Schlankmacher eingesetzt wird.
„Meine Sorge ist, dass der Einsatz von Semaglutid und anderen GLP-1-Therapien den Ärzten nach der Verschreibung aus der Hand genommen wird und zu stark Richtung Lifestyle geht. Mit einer einfachen Beratung, zum Beispiel mittels Aushändigen eines Flyers mit Informationen über einen gesunden Lebensstil, geht das Gewicht nach dem Absetzen vermutlich noch schneller hoch als in der Studie beschrieben.

Weiterhin gilt es, regelmäßig und mit medizinischem Fachwissen die Vorteile der Therapie gegenüber deren Nebenwirkungen abzuwägen.“

Themen Abnehmen
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