23. Dezember 2024, 4:27 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ölziehen ist eine Entgiftungsmethode aus dem Ayurveda, der traditionellen indischen Medizin. Und die Liste an Beschwerden, bei denen das sogenannte Gandusha hilfreich sein soll, ist lang. Nicht nur Mundgeruch, Zahnverfärbungen und Kopfschmerzen sollen gemildert werden, Erfahrungsberichten zufolge könne Ölziehen sogar bei Herzleiden und Krebserkrankungen helfen. Doch was ist eigentlich der aktuelle Forschungsstand? FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke gibt einen Überblick.
Die jahrhundertealte Detox-Methode hat einen hohen Stellenwert im Ayurveda und hat längst den Weg in viele Badezimmer hierzulande gefunden. Warum im Bad? Ganz einfach: Nach dem Zähneputzen wird ein Esslöffel eines hochwertigen (Bio-)öls in den Mund genommen und anschließend kräftig gespült. Gut, der ein oder andere wird nun das Bad vorerst verlassen, denn die Anwendung kann bis zu 20 Minuten andauern. Beim Ausspucken sollen im Öl gelöste Bakterien und Giftstoffe gleich mit den Weg nach draußen finden. Ob das funktionieren kann, wie gesund Ölziehen wirklich ist und was die Forschung zu all dem sagt, erfahren Sie hier.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Das Wirkprinzip von Ölziehen
Die Anwendung von Ölziehen ist wie bereits beschrieben denkbar einfach und eine kostengünstige Variante, um der eigenen Gesundheit etwas Gutes zu tun. Empfohlen werden auf einschlägigen Ayurveda-Portalen Kokos- und Sesamöl in Bioqualität oder auch Ghee, ein speziell hergestelltes Speisefett aus der indischen Küche.
Die Wirkung des Ölziehens basiert auf der Annahme, dass das Schwenken des Öls im Mund die Mundschleimhaut anregt, schädliche Substanzen wie Krankheitserreger und Giftstoffe abzugeben. Diese Stoffe sollen sich im Öl binden, weshalb es unbedingt ausgespuckt und nicht geschluckt werden soll.
Übrigens: Wer die Detox-Methode bereits ausprobiert hat, wird festgestellt haben, dass das Öl eine andere Farbe hat, wenn man sich ihm wieder entledigt. Befürworter des Ölziehens führen die milchig-weiße Farbe auf die im Öl gelösten Substanzen zurück. Tatsächlich ist das Öl jedoch nur über den Anwendungszeitraum emulgiert. Grund dafür sind im Speichel enthaltene Enzyme, die normalerweise Nahrung auf den Magen vorbereiten.
Bei diesen Krankheiten soll Ölziehen helfen
Zum einen soll Ölziehen der Mundhygiene dienlich sein. Mögliche Anwendungsgebiete sind:
- Zahnfleischbluten und -entzündungen
- Zahnbelag und -verfärbungen
- Parodontitis
- Zahnschmerzen
- Mundgeruch
- Karies
- Mundtrockenheit
- Rissige Lippen
Doch die Wirkung des Ölziehens sei nicht auf den Mundraum beschränkt. Zum anderen könne es bei folgenden Erkrankungen helfen:
- Kopfschmerzen
- Bronchitis und grippale Infekte
- Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
- Herzerkrankungen
- Bluterkrankungen
- Lebererkrankungen
- Nierenerkrankungen
- Thrombose
- Chronische Schlaflosigkeit
- Ekzeme, Akne, Schuppenflechte, Neurodermitis
- PMS (prämenstruelles Syndrom)
Wichtig zu betonen ist, dass längst nicht hinter allen genannten Punkten wissenschaftliche Untersuchungen, sondern häufig lediglich Erfahrungswerte stehen.
Weißere Zähne durch Ölziehen? Meine Erfahrung
„Meine Meinung zum Ölziehen: Ich habe mich 2019 an diesen Trend herangewagt, als der Hype zum ersten Mal richtig Fahrt aufnahm. Angeblich sollte es nicht nur wahnsinnig gesund sein, sondern auch weißere Zähne und einen rundum gepflegten Mundraum zaubern. Klingt doch super, oder? Motiviert habe ich mir also kleine Sachets mit Kokosöl und Minzgeschmack gekauft – ein bisschen Pepp schadet immerhin nie.
Und dann ging es los: Morgens, noch vor dem Frühstück (so wird’s immerhin empfohlen), habe ich mir ein Beutelchen voller Enthusiasmus in den Mund gegossen. Wissen Sie, wie sich lauwarmes Öl im Mund anfühlt? Nein? Ich bis dahin auch nicht. Und glauben Sie mir, es ist eine Erfahrung, die man nicht braucht. Eklig beschreibt es nicht annähernd. Aber gut, ich wollte ja durchhalten.
Man soll das Öl idealerweise fünf Minuten lang durch die Zähne ziehen. Fünf Minuten! Ich habe es maximal zwei geschafft, bevor ich es mit einem unvermeidlichen Würgereflex wieder ausgespuckt habe. Trotzdem wollte ich nicht so schnell aufgeben – ich bin keine, die beim ersten Anlauf die Flinte ins Korn wirft. Fünf Tage lang habe ich mich tapfer durch diese morgendliche Tortur gequält. Aber dann war Schluss.
Mein Fazit: nie wieder! Vielleicht klappt das Ölziehen bei anderen Menschen ja wunderbar, aber für mich bleibt es ein Trend, der genauso schnell aus meinem Leben verschwand, wie er hineingekommen war. Weißere Zähne? Fehlanzeige. Gepflegter Mundraum? Na ja. Und mein morgendlicher Chai Latte hat mich nach diesem Experiment noch glücklicher gemacht als je zuvor.“
Wobei Ölziehen wirklich helfen kann – und wobei nicht
In vielen Lebensbereichen vertrauen wir auf die Tipps und Tricks, die uns Freunde, Familie und teils auch Bekannte geben – so auch bei Gesundheitsthemen. Und wenn eine Freundin bspw. mit einer bestimmten Diät oder eben Ölziehen gute Erfahrungen gemacht hat, bekommt man Lust, ebendiese Methoden selbst einmal auszuprobieren. Allerdings lohnt es sich neben persönlichen Erfahrungswerten auch einen Blick auf den aktuellen Forschungsstand zu werfen. Kleiner Spoiler: Viel findet man leider nicht.
Am „besten“ untersucht ist die Mundhygiene
In den einschlägigen Literaturdatenbanken findet man zumindest mehrere Forschungsarbeiten, die sich dem Thema Ölziehen und Mundhygiene gewidmet haben.
Ein Review aus 2016 untersuchte 21 Forschungsarbeiten und ergab, dass Ölziehen bei der Reduzierung von Plaque möglicherweise genauso wirksam ist wie Chlorhexidin-haltiges Mundwasser. Allerdings betonen die Autoren, dass weitere klinische Untersuchungen notwendig seien, da die betrachteten Studien sich stark in ihrem Design und der Qualität der Berichterstattung unterschieden.1 Im Jahr darauf erschien ein weiteres Review, welches 21 Forschungsarbeiten analysierte – allerdings wiesen nur sechs Stück ein angemessenes Studiendesign auf. Nach näherer Betrachtung schlussfolgerte der Studienautor, dass es für Ölziehen in Bezug auf Mundhygiene keine sicheren wissenschaftlichen Belege gebe.2
Eine aktuelle, kleine Quelle aus Deutschland ist eine Bachelorarbeit, deren Ergebnisse Dr. Peter Hahner in einem Artikel bei „dentalwelt“ veröffentlichte. Die Thesis beschreibt, wie sich Ölziehen bei 25 Patienten in einer Zahnarztpraxis in Kettwig auf die Zahnfleischgesundheit auswirkte. Diese verbesserte sich laut Studienfazit tatsächlich, die Mundhygiene hingegen nicht.
Mit Ölziehen stark gegen Krebs und andere systemische Erkrankungen – kann das funktionieren?
Eine Studie, die den Effekt von Ölziehen auf den Therapieerfolg bei Krebserkrankungen untersucht, gibt es nicht. Empfehlungen, die in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden, sind lediglich auf den Mundraum beschränkt. So bewertet die Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen Ölziehen als Methode, die „allenfalls zur Reduktion von Mundgeruch“ genutzt werden kann, „nicht aber zur Vorbeugung oder Therapie von Krebs oder anderen Erkrankungen“.3 Hintergrund ist, dass Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen, z. B. im Mund-Rachen-Raum, häufig an Mundgeruch leiden.
Insgesamt werden dem Ölziehen vermutlich eine positive Wirkung auf zahlreiche Erkrankungen zugesprochen, da Entzündungen im Mundraum sich negativ auf den gesamten Körper auswirken können. Insbesondere chronische Entzündungen über einen langen Zeitraum hinweg erleichtern es Bakterien in die Blutbahn oder Lunge zu gelangen und so weitere Organe schädigen.
Zahnarzt erklärt Wie Mundgeruch entsteht und was dagegen hilft
Bleiben oft unbemerkt Wie Mandelsteine entstehen und wie man sie entfernt
Achtung! Warum Sie bei ständigem Mundgeruch unbedingt zum Zahnarzt sollten
Fazit
Der derzeitige Forschungsstand zum Ölziehen ist begrenzt und die vorliegenden Studienweisen weisen häufig lediglich kleine Stichprobengrößen und ein hohes Risiko der Verzerrung der Ergebnisse auf. Klinische Studien sind erforderlich, um die mit dem Ölziehen verbundenen Gesundheitsaussagen zu belegen (oder widerlegen). Bisher zeichnet sich ab, dass das traditionelle Verfahren vorwiegend gesundheitliche Vorteile für den Mundraum aufweist. Im Vergleich zu den konventionellen Mundhygienepraktiken ist es zudem kostengünstig. Letztlich kann aber jeder Ölziehen praktizieren, wenn er für sich einen Nutzen erkennt, denn das Risiko für Nebenwirkungen kann als gering betrachtet werden.