18. März 2024, 13:57 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Liste der neurologischen Erkrankungen ist lang – laut der deutschen Gesellschaft für Neurologie zählen Schlaganfälle, Hirnblutungen, Multiple Sklerose und Epilepsie zu den häufigsten Krankheiten dieser Art. Wie viele Menschen davon weltweit betroffen sind, deckt nun eine Studie auf. FITBOOK-Redakteurin Janine Riedle fasst die neuesten Erkenntnisse für Sie zusammen.
Neurologische Erkrankungen sind vielfältig, dementsprechend gibt es unzählige Symptome. Grundsätzlich unterteilt man deshalb in verschiedene Gruppen, so gibt es bspw. Erkrankungen, die sich durch Bewegungsstörungen bemerkbar machen, wie etwa die Parkinson-Krankheit. Schlaganfälle und Hirnblutungen zählen dagegen zu den zerebrovaskulären Erkrankungen. Wie häufig neurologische Erkrankungen vorkommen, fanden nun Forscher heraus.
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Übersicht
Zusammenfassung mehrerer Studiendaten
Um beurteilen zu können, bei wie vielen Menschen neurologische Krankheiten diagnostiziert worden sind, fassten Forscher die Ergebnisse einiger Studien zusammen. Man bezog alle Untersuchungen mit ein, die sich mit einer Untergruppe der Krankheiten beschäftigten, sich auf einzelne Regionen beschränkten oder Daten der Global Burden of Disease, Injuries and Risk Factors Study (GBD) verwendeten.1 Letztere erfassen alle verfügbaren bevölkerungsrepräsentativen Studien, groß angelegten Erhebungen, Volkszählungen, Versicherungsansprüche und Krankenhausaufzeichnungen. Insgesamt wertete man somit 371 Krankheiten aus 204 Ländern bzw. Regionen in einem Zeitraum von 1990 bis 2021 aus. Dabei beachtete man den Schweregrad der Krankheit oder ob diese zum Todesfall geführt hatte.
Diese neurologischen Krankheiten nahm man mit auf
Doch nicht jede neurologische Erkrankung nahm man in die Studie mit auf. So beschäftigten sich die Forscher lediglich mit Krankheiten, welche das zentrale und periphere Nervensystem betreffen. Erkrankungen, zu denen nicht ausreichend Daten zur Verfügung gestanden hatten, konnte man nicht mit einbeziehen. Ebenso ließ man diejenigen Angaben aus, deren neurologischen Folgen zum Zeitpunkt der jeweiligen wissenschaftlichen Erhebung nicht erkennbar bzw. messbar waren. So war es u. a. bei HIV oder Adrenoleukodystrophie der Fall.
Teil der Untersuchungen waren aber nicht nur neurologische Krankheiten, sondern auch neurologische Entwicklungsstörungen sowie neurologische Folgen anderer Krankheiten. Zu den Folgen gehören geistige Behinderung, kognitive Beeinträchtigung, motorische Beeinträchtigung, Epilepsie, Mikrozephalie, Neuropathie und sensorische Defizite.
Erfassung der neurologischen Erkrankungen
Die Wissenschaftler wendeten das sogenannte Bayes’sche Modell an, um die Inzidenz und Prävalenz – also die Neuerkrankungsrate und die Krankheitshäufigkeit – mit der Dauer, der Region, dem Alter sowie dem Geschlecht in einen Bezug zu setzen. Die Forscher zählten die Krankheitsfälle nur dann als prävalent, wenn die Erkrankung immer noch präsent bzw. vorübergehend oder fortschreitend war. Die Dauer einer neurologischen Krankheit bestimmte man anhand der Mortalitäts- bzw. Remissionsrate. Zudem unterteilte man die Erkrankungen in drei Zustände anhand ihres Schweregrads auf.
Um beurteilen zu können, inwieweit die neurologischen Erkrankungen bzw. Folgen die Betroffenen beeinträchtigten, führten sie auch hierfür eine Abstufung des Schweregrads ein. Die sogenannte Invalidität, die sie abgekürzt als YLD-Wert bezeichneten, gewichteten sie von „keine“ bis „schwer“. Bspw. ordnete man Kopfschmerzen als eine nicht so schwere Beeinträchtigung ein, wohingegen man eine fortgeschrittene Multiple Sklerose je nach Verlauf als „schwer“ einstufte.
Zusätzlich berechnete man die verlorenen Lebensjahre, die durch den Tod an einer neurologischen Erkrankung entstanden sind, die man YLL-Werte nannte. Diesen Wert ermittelten die Forscher, indem man das Sterbealter mit der verbleibenden Standardlebenserwartung multiplizierte.
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Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist betroffen
Nach dem Zusammentragen und der Auswertung der Daten stellten die Forscher erschreckend hohe Zahlen fest:
- Im Jahr 2021 wiesen etwa 3,4 Milliarden Menschen eine Erkrankung des Nervensystems auf, was 43 Prozent der gesamten Weltbevölkerung entspricht.
- Damit ist die Zahl der Betroffenen seit 1990 um 18 Prozent gestiegen.
- Hingegen sind die darauf begründeten Todesfälle um 33 Prozent gesunken.
- Auch wenn ein Rückgang der Sterberate zu beobachten ist, ist die Gesamtzahl der Todesfälle dennoch beachtlich: 11 Millionen Krankheitsverläufe endeten mit dem Tod.
- Etwa 168 Millionen wiesen einen hohen YLD-Wert auf, was bedeutet, dass sie durch die neurologischen Krankheiten bzw. Folgen beeinträchtigt worden waren.
Von den insgesamt 37 untersuchten, neurologischen Erkrankungen bzw. Folgen kristallisierten sich zehn als besonders auffällig heraus. So traten folgende Krankheiten am häufigsten, insbesondere im hohen Alter, auf:
- Schlaganfall
- neonatale Enzephalopathie
- Migräne
- Alzheimer und andere Demenzerkrankungen
- diabetische Neuropathie
- Meningitis
- Epilepsie
- neurologische Komplikationen aufgrund von Frühgeburten
- Autismus-Spektrum-Störung
- Krebs, der das Nervensystem befällt
Die durch Diabetes verursachte Nervenschädigung wies einen starken Anstieg auf und belegt Platz fünf der verbreitetsten neurologischen Erkrankungen weltweit. Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass rund 80 Prozent der Todesfälle aller Krankheiten, die das Nervensystem betreffen, in Ländern mit niedrigem Einkommen auftreten.
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Einordnung der Studie
Die Ergebnisse der Studie signalisieren die Dringlichkeit, neurologische Erkrankungen durch Maßnahmen vorzubeugen. „Als weltweit führende Ursache für die gesamte Krankheitslast und mit einem Anstieg […] seit 1990 müssen Erkrankungen des Nervensystems durch wirksame, kulturell akzeptable und erschwingliche Strategien für Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Langzeitpflege angegangen werden“, betont Hauptautorin der Studie Dr. Jaimie Steinmetz.2
Auch wenn die Zahlen erschreckend hoch ausfallen, sollten diese kritisch beurteilt werden: Viele der Werte beruhen auf Internetumfragen sowie Selbsteinschätzungen und könnten somit den Wahrheitsgehalt der Angaben verfälschen. Außerdem nahm man neurologische Folgen anderer Erkrankungen mit auf, was die Zahlen – besonders in den Jahren der Coronapandemie – deutlich erhöht haben könnten. Gerade mit dem Fokus auf eventuelle Präventionsmaßnahmen könnte es das Vorgehen erschweren, da man somit abseits der neurologischen Krankheiten den Blick auf andere medizinische Gebiete erweitern muss.
Da die Studie von der Bill und Melinda Gates Foundation finanziert wurde, sind die damit verbundenen Absichten und Rahmenbedingungen der Untersuchungen nicht ganz klar. Immer wieder gerät die Stiftung in die Kritik, da insbesondere dem Ehepaar oft ihre engen Kontakte zu Regierungschefs und Entwicklungsorganisationen als Vorteil nachgesagt werden, um ihre eigenen Anliegen durchzusetzen. Inwiefern sich das negativ auf die vorliegende Studie ausgewirkt haben könnte, ist aufgrund der mangelnden Transparenz ungewiss.