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Verstorbener René Weller

Neurologe über seltene Demenz-Form CTE: „Es gibt einen Point of no Return“

René Weller
René Weller in Bestform bei seinem Comeback-Kampf 2003 gegen Rasto Kovac, den er gewann. Zuletzt litt er an einer seltenen Form der Demenz, ausgelöst durch das Boxen. Foto: Getty Images
Anna Echtermeyer
Redakteurin

24. August 2023, 14:16 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Der verstorbene Ex-Boxprofi René Weller starb höchstwahrscheinlich an den Folgen einer Chronisch Traumatischen Enzephalopatie (CTE). Die seltene Demenz-Form trifft ausschließlich Menschen, die in ihrem Leben Mikrotraumen angesammelt haben. Betroffen sind American-Football-Spieler, Fußballspieler – und ganz besonders Boxer. Denn beim Boxen ist der Kopf das Ziel und Gehirnschädigungen sind damit Teil dieses Sports. Der Neurologe Prof. Frank Erbguth über den Unterschied zur normalen Demenz, den Symptomen und dem „Point of No Return“ der seltenen Erkrankung.

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René Weller, das kann man sagen, war eine Boxsport-Legende. Mehrfacher Deutscher Meister und Vize-Europameister bei den Amateuren, Deutscher Meister und zweimal Europameister bei den Profis – für nicht wenige ein Held ihrer Jugend, der den Boxsport in Deutschland mit groß gemacht hat. Doch dann, vor einigen Jahren, schlug das Schicksal heftig zu: René Weller wurde zum Pflegefall, litt an einer seltenen Form der Demenz – ausgelöst höchstwahrscheinlich durch wiederholte Erschütterungen des Gehirns. Am 22. August 2023 starb Weller im Alter von 69 Jahren. FITBOOK sprach mit einem Neurologen über die Erkrankung CTE. Was geschieht genau im Gehirn? Wie äußert sich die Krankheit? Und worin unterscheidet sie sich von der „normalen“ Demenz? Und woran sterben diese Menschen eigentlich?

CTE nur bei Menschen, die Mikrotraumen angesammelt haben

Chronisch Traumatische Enzephalopathie (kurz: CTE) ist eine schwere degenerative Hirnerkrankung. Bei CTE sind Teile des Frontallappens, der für Entscheidungen und Impulskontrolle wichtig ist, mit abgelagerten sogenannten Tau-Proteinen überzogen. Überdies sind Hirnventrikel (mit Hirnwasser gefüllte Hohlräume) erweitert und der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus ist geschrumpft. Der Corpus amygdaloideum, auch als Mandelkern bekannt, ist stark beeinträchtigt. Es ist der Teil des Hirns, der Gefühle regelt.

Von außen kann nicht unterschieden werden, ob jemand an „normaler“ Demenz erkrankt ist oder an CTE, erklärt der Neurologe Prof. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung im Gespräch mit FITBOOK. „Es gibt aber einen klinischen Unterschied: Die normale Demenz ist eine Altersfrage und Betroffene haben in der Regel keine Mikrotraumen wiederholter Art“, so Erbguth. Andersherum: CTE findet man nur bei Menschen, die Mikrotraumen ansammeln. Dazu gehören Fußballspieler (aufgrund der Kopfbälle), Rugbyspieler, American-Football-Spieler, „aber auch Menschen beim Militär, die wiederholt Schädel-Hirn-Traumen ansammeln“.

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Bei Fußballspielern hat der Torwart das geringste Risiko

Für eine Studie mit Fußballspielern wurde die Rate der degenerativen Erkrankungen (Demenz, Parkinson, ALS) statistisch verglichen mit der Position, auf der die Spieler unterwegs waren. Heraus kam, dass der Torwart das geringste Risiko hat, während Spieler, die viele Kopfbälle spielten, eine erhöhte Rate hatten (wer sich für Details zur Studie interessiert, kann hier weiterlesen).

Bei CTE gibt es „leider einen Point of no Return“

Tückisch: Die kleinen Mikrotraumen sind weit weg von einer Gehirnerschütterung und weder spür- noch sichtbar. Besonders schlimm sei es, wenn diese in hoher Frequenz auftreten, also eine Verletzung nicht ausheilt und schon die nächste folgt. Es komme nun zu einer Fehlentwicklung der Eiweißstoffe: Die Tau-Proteine lagern sich ab. „Und dann gibt es leider einen Point of no Return“, erklärt Erbguth: „Selbst, wenn Sie dann mit dem Sport aufhören würden, lagern sich trotzdem immer mehr dieser Proteine ab. Das läuft dann auch ohne weitere Traumen.“

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Symptome der CTE

Symptome einer CTE zeigen sich dann erst später, laut Erbguth mit etwa 50 Jahren – oder erst ab 70. Da ab diesem Alter auch der „normale“ Mensch mit einer geringen Wahrscheinlichkeit dement wird – das Risiko liegt zunächst bei etwa 12 Prozent und steige bis 90 Jahre auf 30 Prozent an – ist es schwer, die seltene Demenz-Form von der „normalen“ abzugrenzen. Hinweise liefert dann die Lebensweise – siehe René Weller und seine berufsbedingt zahlreichen Kopfverletzungen.

Die Symptome einer Chronisch Traumatischen Enzephalopathie teilen sich auf in:

  • klassische Gedächtnisstörungen: Störungen der Merkfähigkeit, Orientierung, Konzentration und Auffassungsgabe
  • Persönlichkeitsstörungen: Betroffene sind aggressiver, weinerlicher, rührseliger, verlieren die Zurückhaltung, oder werden enthemmter
  • Affektstörungen: Betroffene sind meist depressiv, haben manische Episoden
  • motorische Störungen: Betroffene laufen nicht mehr so schwungvoll, sondern „gebundener“

CTE kann auch parkinsonartige Erscheinungen haben: Auch bei Muhammad Ali, der 1984 eine Parkinson-Diagnose erhalten hatte und 2016 an den Folgen eines septischen Schocks starb, liegt laut Erbguth die Assoziation CTE nahe – „bewiesen ist es aber nicht“.

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Woran sterben Menschen mit CTE?

CTE ist unheilbar. Irgendwann treten unaufhaltsam die Verluste der Gehirnfunktionen ein. Erbguth: „Die Patienten sterben bspw. daran, dass sie sich verschlucken oder an einer Lungenentzündung, weil Essen in die Lunge kam.“ Auch René Weller muss vor seinem Tod eine Entzündung gehabt haben, da er am Sterbebett Antibiotika bekam, wie „BILD“ berichtete. Die Koordination von Basisfunktionen funktioniert irgendwann nicht mehr.

Was das Ausmaß des Schadens bestimmt

„Je jünger das Gehirn ist, das Mikrotaumen erleidet, umso entscheidender sind die Folgen.“ Das sich entwickelnde Gehirn ist empfindlicher als das eines Jugendlichen. Laut dem Neurologen gibt es einen klaren Dosis-Effekt: „Es ist eine Frage von Anzahl und Schwere. Die bestimmende Größe für das Ausmaß des Schadens ist die Heftigkeit des Traumas.“ Panikmache hält Erbguth dennoch nicht für angebracht.

Wie hoch ist das Risiko, CTE zu bekommen?

„Wichtig ist, dass man bei Kindern aufpasst“, betont der Neurologe. In Risikosportarten wie American Football gibt es strenge Vorschriften bei den Protektionssystemen, die den Kopf schützen. Der DFB beschloss 2022 einen „verantwortungsvollen Umgang mit dem Kopfballtraining“ von Kindern und Jugendlichen.1 Der Kopfball in der Jugendmannschaft ist laut Erbguth „kein riesiges Problem“.

Bei einem 50-Jährigen, der mit dem Boxen anfängt, sei das Risiko „überschaubar“. Etwa 10 bis 15 Prozent der entsprechenden Sportler entwickeln eine CTE. „85 bis 90 Prozent bekommen es also nicht“, entwarnt Erbguth.

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Unterschied zwischen „normaler“ Demenz und CTE

Letztendlich handele es sich um einen pathologischen Unterschied: Denn die Art des Hirnschadens sei bei CTE anders als bei Alzheimer. Wo beim Alzheimerpatienten zwei Eiweißproteine vermehrt gebildet, die das Gehirn „vermüllen“ (Beta-Amyloid und Tau-Protein), finde man bei dementen Boxern kein Beta-Amyloid. Außerdem sei der Hirnschaden bei CTE anders aufgebaut und lokalisiert, erklärt Erbguth. Weil die Veränderungen mit den derzeitigen bildgebenden Verfahren nicht sichtbar gemacht werden können – mit einem speziellen Kernspin kann man lediglich die Beta-Amyloide markieren – gilt: Beweisen lässt sich die Chronisch Traumatische Enzephalopathie erst durch eine Obduktion.

Fazit

Der Mechanismus bei CTE: Mikrotraumen in hoher Frequenz, ausgelöst durch Schläge auf dem Kopf, führen zu einer Fehlentwicklung der Tau-Proteine. Sie lagern sich ab. Ist das geschehen, läuft die Entwicklung auch ohne weitere Hirnverletzungen ab: Auch wenn ein Boxer mit seinem Sport aufhört, schreitet die Erkrankung voran. Die Chronisch Traumatische Enzephalopathie zeigt Symptomen einer Demenz, kann aber auch parkinsonartige Erscheinungen haben und ist nicht heilbar.

Was schützt die, die CTE nicht bekommen?

Interessant wäre aus Sicht des Neurologen, zu wissen, weshalb „nur“ 10 bis 15 Prozent aus der Risikogruppe Gefahr laufen, CTE zu erleiden. Was schützt die anderen? Gibt es genetische Faktoren, die die restlichen 85 bis 90 Prozent schützen? Sind Diabetes oder Bluthochdruck ein Faktor? Obwohl im Profisport unendlich viel Geld unterwegs ist, wird wenig zu CTE geforscht. Dazu sind, vermutet Erbguth, eben doch zu wenige betroffen.

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Quellen

Themen Demenz Neurologische Erkrankungen
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