12. Juli 2019, 17:03 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Ein unabhängiges Gesundheitsinstitut hat ermittelt, dass 58 Prozent der neu in Deutschland zugelassenen Medikamente keinerlei Vorteil gegenüber bereits bestehenden Therapien haben. Sprich: Man hätte sich ihre Markteinführung sparen können.
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Medikamente auf den deutschen Markt, die alle eine Sache gemeinsam haben: Sie versprechen sehr viel. Das Problem: Das Versprechen wird in den meisten Fällen leider zu wenig bis gar nicht gehalten. Zu diesem Ergebnis kam das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), das zwischen 2011 und 2017 insgesamt 216 neue Arzneimittel untersucht hat, wie unter anderem die Pharmazeutische Zeitung berichtet. Nachzulesen ist das Ganze im British Medical Journal (BMJ), wo die Ergebnisse des Teams um Dr. Beate Wieseler veröffentlicht worden sind.
Das hat die Untersuchung herausgefunden
Bei gerade einmal 25 Prozent der neuen Produkte konnten die Hersteller mit klinischen Studien belegen, dass ihr Medikament einen erheblichen Zusatznutzen im Vergleich zu bereits etablierten Medikamenten bietet. Bei weiteren 16 Prozent der Marktneulinge konnte das IQWiG einen geringen oder nicht quantifizierbaren (lies: sehr geringen) Vorteil ausmachen. Der Umkehrschluss lautet: Bei 58 Prozent der Medikamente konnte das Institut keinerlei Vorteil gegenüber der Standardtherapie sehen.
Noch ernüchternder sieht es bei solchen Wirkstoffen aus, die nach einem Eilverfahren auf den Markt gekommen sind, wie frühere Studien gezeigt haben. Als Forscher untersuchten, ob seit ihrer Zulassung ein Zusatznutzen über klinische Studie nachgewiesen werden konnte, war das bei nicht mal 10 Prozent der Wirkstoffe der Fall.
Um es auf einen Satz herunterzubrechen: Viele Medikamente, die neu auf den Markt kommen, bieten keinerlei Vorteil gegenüber alten.
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Es fehlt an Wirksamkeitsstudien nach der Zulassung
Kommt ein neues Medikament auf den Markt, sind die Hersteller in der Regel verpflichtet, in weiteren Erhebungen die Wirksamkeit nachzuweisen. Postmarketing-Studien heißt das auf Pharma-Deutsch. Der Knackpunkt an der Geschichte: „Ein kritisches und allgemein bekanntes Problem mit Postmarketing-Studien ist, dass sie nicht stattfinden“, moniert Dr. Wieseler. So sei bei Untersuchungen herausgekommen, dass bis zu sechs Jahre nach Markteinführung gerade einmal die Hälfte der Hersteller ihre Postmarketing-Studien abgeschlossen hatten.
Die Expertin fordert einerseits, dass die Zulassungsbehörden ihre Statuten wieder strenger und konsequenter auslegen und vor einem Markteintritt groß angelegte Langzeitstudien einen echten Zusatznutzen belegen können. Andererseits sollte man Pharmafirmen dazu verpflichten, nicht nur gegen Placebo, sondern auch gegen schon existierende Wirkstoffe zu testen. So könnte man besser verhindern, dass Medikamente auf den Markt kommen, die auch nicht mehr können (oder sogar noch weniger) als etablierte Wirkstoffe.