9. August 2024, 19:55 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nahrungsergänzungsmittel werden häufig unbedarft eingenommen – wo sie doch frei verkäuflich sind und nicht als Medikamente gelten. Doch das ist ein Trugschluss. Eine groß angelegte Umfrage der University of Michigan zeigt auf, wie besorgniserregend hoch die Zahl dieser Konsumenten ist. Offenbar nehmen Millionen von Menschen Präparate ein, die potenziell schädlich für ihre Leber sind. Um welche es sich handelt und wie diese wirken, erfahren Sie in diesem Artikel.
Wer sich für Nahrungsergänzungsmittel jeglicher Art interessiert, wird im Internet schnell fündig. Dort werden die unterschiedlichsten Produkte für jeden denkbaren Zweck und häufig als wahre Wundermittel angeboten. Doch nicht nur, dass die Pillen nicht unbedingt halten, was sie versprechen. Sie können zudem schädigend sein. So können Nahrungsergänzungsmittel das Risiko für Schäden der Leber erhöhen. Und dabei handelt es sich nicht etwa um ein paar unbekannte, zu vernachlässigende Präparate, sondern um sehr beliebte pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel, die Sie sicherlich auch kennen – und vielleicht sogar bereits ausprobiert haben.
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Übersicht
Laut einer Umfrage nutzen 15,6 Millionen Menschen Präparate, welche die Leber schädigen können
Wissenschaftler der University of Michigan analysierten die Daten einer Umfrage mit 9685 Teilnehmenden aus den Jahren 2017 bis 2021. Dabei stellten sie fest, dass über jeder Zweite diverse Supplemente einnahm – 4,7 Prozent der Verwender nahmen innerhalb der letzten 30 Tage eines von sechs potenziell leberschädigenden Nahrungsergänzungsmitteln ein.1
Auf Basis der Analyse rechneten die Wissenschaftler hoch, dass mehr als 15,6 Millionen Amerikaner womöglich die Gesundheit ihrer Leber aufs Spiel setzen, während sie eigentlich versuchen, durch Nahrungsergänzungsmittel ihre allgemeine Gesundheit zu verbessern.
Kurkuma war am beliebtesten
Zu den verwendeten leberschädigenden Präparaten zählten Kurkuma (3,46 Prozent), Grüntee-Extrakt (1,01 Prozent), Ashwagandha und Traubensilberkerze (0,38 Prozent), Garcinia Cambogia (0,27 Prozent) und Produkte aus rotem Hefereis (0,19 Prozent). Wichtig zu verstehen: Es ist unproblematisch grünen Tee zu trinken oder Gerichte mit Kurkuma zu würzen. In konzentrierter Form – wie es bei solchen Präparaten der Fall ist – und ohne ärztliche Absprache kann es jedoch zu unerwünschten Effekten kommen.
Grüner Tee, Kurkuma und Co. können für Krankenhausaufenthalt sorgen
Die genannten leberschädigenden Nahrungsergänzungsmittel wurden von den Befragten überwiegend zur Behandlung von Erkrankungen eingenommen. So hofften sie, ihren Cholesterinspiegel senken zu können, Depressionen oder Schmerzen lindern zu können – letzteres insbesondere, da die Studienteilnehmer häufiger an Arthritis litten, verglichen zur Allgemeinbevölkerung.
26,8 Prozent der Kurkuma-Anwender konsumierten die Produkte gezielt wegen der angeblichen Vorteile für die Gelenkgesundheit oder Arthritis, während 27,2 Prozent der Grüntee-Anwender hofften, ihr Energieniveau zu steigern. Wer Garcinia Cambogia einnahm, hoffte meist auf Unterstützung beim Abnehmen. Die meisten Teilnehmenden gaben an, die Präparate auf eigene Faust und nicht Absprache mit ihrem behandelnden Arzt eingenommen zu haben.
Offenbar ist vielen Anwendern das Risiko nicht bewusst. So hat sich die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen aufgrund von Leberschäden durch Nahrungsergänzungsmittel in den vergangenen 20 Jahren fast verdreifacht, von sieben Prozent im Jahr 2004 auf 20 Prozent im Jahr 2014.2
Wirksamkeit ist bislang unzureichend untersucht
Die Studienautoren betonen, dass die Datenlage bisher nicht ausreiche, um den Präparaten positive Wirkungen auf die Gesundheit zuzuschreiben. Insbesondere klinische Studien fehlen. Zudem warnen sie, dass pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel unzureichend staatlich kontrolliert und häufig fehlerhaft gekennzeichnet würden. Ärzte sollten sich den möglichen Nebenwirkungen bewusst sein und eine Abfrage zur Einnahme solcher Präparate in Untersuchungen einbeziehen.
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Studie mit Krankenhauspatienten identifizierte pflanzliche Präparate als Gefahr
In einer australischen Studie analysierten die Forschenden die Daten von 184 erwachsenen Patienten.3 Sie waren alle zwischen Januar 2009 und August 2020 mit durch Medikamente und Arzneimittel verursachten Leberschäden in das „Royal Prince Alfred Hospital“ in Sydney eingeliefert worden. Während sich bei einigen ein Zusammenhang mit dem Wirkstoff Paracetamol erschloss, gab bei anderen einen Zusammenhang mit Mitteln ohne Paracetamol. Dazu zählten insbesondere pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel. Ziel der Analyse war es, diese beiden unterschiedlichen Ursachen der Leberschäden miteinander zu vergleichen.
Welche Präparate führen zu Leberschäden?
Die Datenanalyse ergab, dass 115 der 184 Personen (62,5 Prozent) Leberschäden hatten, die in Verbindung mit der Einnahme des Wirkstoffs Paracetamol standen. Bei 69 Menschen und damit 37,5 Prozent bestand ein Zusammenhang zwischen ihrem Leberleiden und der Einnahme von Mitteln ohne Paracetamol. Dazu zählten Antibiotika (bei 28 Prozent der Patienten), Medikamente gegen Tuberkulose (9 Prozent) und Krebs (7 Prozent) – aber auch pflanzliche Mittel wie z. B. TCM-Präparate und Nahrungsergänzungsmittel (bei 22 Prozent der Patienten).
Leberschaden durch Nahrungsergänzungsmittel: Überlebensrate besonders gering
Innerhalb von 90 Tagen nach ihrer Aufnahme im Krankenhaus waren sieben Patienten mit einem Leberschaden, der nicht auf Paracetamol zurückzuführen war, gestorben, und zwölf bekamen eine Leber transplantiert. Bemerkenswert sind auch die Unterschiede bei der 90-Tage-Überlebensrate von Patienten ohne Lebertransplantation. Diese betrug:
- 86 Prozent bei Patienten, deren Leberschäden mit Paracetamol zusammenhingen
- 71 Prozent bei Patienten, deren Leberschäden mit Mitteln ohne Paracetamol zusammenhingen
- 59 Prozent bei den Patienten, deren Leberschäden mit pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln zusammenhing
Kava, Cassia-Zimt, Curcumin – welche Präparate sind riskant?
Studienleiter Dr. Ken Liu erklärte im Interview mit „AJP“, dass die meisten Medikamente bekanntlich das Potenzial hätten, der Leber zu schaden.4 Für ihn sei es aber eine bedeutende Erkenntnis, dass auch pflanzliche Mittel und Nahrungsergänzungsmittel, die zum Teil ohne Rezept (oder im Internet; Anm. d. Red.) zu kaufen seien, Leberschäden verursachen können. „Von den 15 Patienten mit arzneimittelbedingter Leberschädigung aufgrund von pflanzlichen Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln in meiner Studie standen fünf Fälle im Zusammenhang mit anabolen Steroiden oder Muskelaufbaupräparaten, vier mit traditioneller chinesischer Medizin, drei mit Abnehmpräparaten, einer mit Kava, einer mit Cassia-Zimt und einer mit Curcumin“, erläutert Liu.5 Bei den Abnehmpräparaten sei aufgefallen, dass sie alle Garcinia Cambogia enthalten hätten.6
Studienlage Die Wirkung von Kurkuma auf die Leber
Auswertung von über 300 Studien Nahrungsergänzungsmittel zum Abnehmen sind wirkungslos bis gefährlich
Duftendes Supergewürz Zimt soll den Blutzucker senken und beim Abnehmen helfen
Fazit
Die Studienlage zeigt eindeutig, dass Nahrungsergänzungsmittel ein Risiko für die Gesundheit bergen. Deshalb sollten stärkere Kontrollen der Präparate durchgeführt werden. Verbraucher sollten zudem besser aufgeklärt und auch gewarnt werden, während Ärzte gewissenhaft die Einnahme solcher Mittel erfragen sollten.