19. Januar 2024, 16:28 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Kann man mit einem Multivitaminpräparat das Gedächtnis verbessern und das kognitive Altern hinauszögern? Wenn man einer kürzlich im „American Journal of Clinical Nutrition“ veröffentlichten Studie glauben möchte, soll das tatsächlich möglich sein. Allerdings hat die Untersuchung auch einen entscheidenden Haken. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke über die Ergebnisse der Studie und warum man sie mit Vorsicht genießen sollte.
Bis zum Jahr 2060 wird fast jeder vierte Amerikaner 65 Jahre oder älter sein, und sich damit in einer Altersgruppe befinden, die ein erhöhtes Risiko für kognitiven Verfall, Alzheimer sowie verwandte Demenzerkrankungen aufweist. Auch geringfügige Defizite der kognitiven Funktionen im Alter gehen mit einem erhöhten Risiko für Demenzerkrankungen im späteren Leben einher. Daher ist es Ziel der Präventionsarbeit, kognitive Funktionen möglichst lang zu erhalten – beispielsweise durch Nahrungsergänzungsmittel. Bereits in der Vergangenheit sind Studien veröffentlicht worden, die einen protektiven Effekt von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren aufdeckten. Eine neue Teilstudie der COSMOS (COcoa Supplement and Multivitamin Outcomes Study) kommt nun zu dem Ergebnis, dass ein täglich eingenommenes Multivitaminpräparat Gedächtnisverlust vorbeugen könnte.1
Übersicht
Zwei Studien sind dieser Untersuchung vorangegangen
Die COSMOS ist eine groß angelegte Kohortenstudie in den USA, welche die Auswirkungen von Kakaoextrakt und/oder einem täglichen Multivitaminpräparat zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs bei 21.442 Erwachsenen im Alter von 60 Jahren oder älter untersucht. In Substudien mit einem geringeren Teilnehmerumfang wird zudem der Einfluss des Vitaminpräparats auf die Kognition untersucht.
Die Probanden wurden per Telefon und Web kontaktiert
In den zwei vorangegangenen Teilstudien fand eine erste Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten statt. Dies geschah zum einen telefonisch in der COSMOS-Mind (2262 Probanden), sowie computerbasiert in der COSMOS-Web (3960 Probanden). Diese lieferten laut einer Pressemitteilung Hinweise darauf, dass Multivitaminpräparate einen positiven Einfluss auf die Kognition sowie den Gedächtnisverlust haben.2
Was den Wissenschaftlern fehlte, war eine zusätzliche neuropsychologische Untersuchung vor Ort, um subtile Veränderungen in verschiedenen kognitiven Bereichen messen zu können.
Auch interessant: 15 Risikofaktoren für eine früh einsetzende Demenz
Dieses Mal untersuchten die Forscher die Probanden vor Ort
Die Forscher führten entsprechend eine dritte Kognitionsstudie durch, bei der die Teilnehmenden einer persönlichen Untersuchung in einer Klinik unterzogen wurden (COSMOS-Clinic, 573 Probanden). Bei den Probanden wurde die globale Kognition (allgemeine kognitive Fähigkeiten) sowie das episodische Gedächtnis für zwei Jahre untersucht. Von allen Teilnehmenden schlossen 492 alle Untersuchungen ab.
Nach der Analyse ihrer Daten stellten die Wissenschaftler einen „bescheidenen“, jedoch statistisch signifikanten Nutzen des Multivitaminpräparats fest – zumindest hinsichtlich der Veränderung des episodischen Gedächtnisses, jedoch nicht der exekutiven Funktion bzw. Aufmerksamkeit.
Anschließend werteten sie die Ergebnisse aller drei Teilstudien kombiniert aus.
Auch interessant: Der erschreckende Einfluss von künstlichen Süßstoffen auf das Gedächtnis
Multivitaminpräparat lindert Gedächtnisverlust und verbessert Kognition
Die Meta-Analyse der drei Studien kommt zu greifbareren Ergebnissen.
Sie gibt deutliche Hinweise darauf gab, dass sich die globale Kognition und auch das episodische Gedächtnis durch die tägliche Einnahme eines Multivitaminpräparats verbessert hatten. Laut Schätzungen der Studienautoren habe das Nahrungsergänzungsmittel die kognitive Alterung um etwa zwei Jahre verzögert im Vergleich Teilnehmern, die ein Placebo erhalten hatten.
Studienautor Vyas erklärte in der Pressemitteilung: „Die Meta-Analyse von drei separaten Kognitionsstudien liefert starke und konsistente Beweise dafür, dass die tägliche Einnahme eines Multivitaminpräparats, das mehr als 20 essenzielle Mikronährstoffe enthält, dabei hilft, Gedächtnisverlust zu verhindern und das kognitive Altern zu verlangsamen.“
Olivia Okereke, die leitende Autorin, fügte hinzu: „Diese Ergebnisse werden die Aufmerksamkeit vieler älterer Erwachsener erregen, die verständlicherweise sehr daran interessiert sind, die Gesundheit des Gehirns zu erhalten, da sie den Beweis für die Rolle eines täglichen Multivitamins bei der Unterstützung eines besseren kognitiven Alterns liefern.“
Auch interessant: Forscher finden fünf unterschiedliche Alzheimer-Arten
Darum sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen
Studienautoren sind dazu verpflichtet, eventuelle Interessenkonflikte oder Finanzierungen offenzulegen. Bei dieser Arbeit fällt auf, dass die Liste an Unterstützern ungewöhnlich lang geworden ist.
So finden sich Zuschüsse von Pure Encapsulations, einem großen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, auf dieser Liste. Im Abstract der Studie wird darauf hingewiesen, dass es in den USA bisher für Gesundheitsdienstleister nicht genügend Evidenz gäbe, um die Einnahme von Multivitaminpräparaten zur Prävention von Gedächtsnisverlust und einem Rückgang der globalen Kognition zu empfehlen. Das könnte im Interesse dieser Firma liegen.
Ebenso war die Life-Science-Abteilung von Mars Incorporated, ein großer amerikanischer Lebensmittelkonzern, sowie der Pharmakonzern Pfizer involviert.
Auch interessant: Neue Behandlungsmethode identifiziert, die Alzheimer-Symptome deutlich lindern kann
Laut Studie Wer in seinen 30ern und 40ern nicht gut schläft, muss mit diesen Folgen rechnen
Studie zeigt Asthma führt bei Kindern offenbar zu Gedächtnisstörungen
Krankheit Gehgeschwindigkeit ist mögliches Frühwarnzeichen für Demenz
Ab jetzt täglich zum Multivitaminpräparat greifen?
Die Prävention von Alzheimer und anderen Demenzerkrankung ist vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung bedeutsam.
Auf Grundlage dieser Studienergebnisse wäre es jedoch verfrüht zu sagen, ob Menschen ein Multivitaminpräparat einnehmen sollten, um dem kognitiven Abbau im Alter vorzubeugen – zumal sowohl Pharma- als auch Lebensmittelkonzerne als Unterstützer fungierten.
Wenn Sie Nahrungsergänzungsmittel einnehmen möchten, sprechen Sie zuvor mit Ihrem Arzt.
Quellen