2. Februar 2024, 4:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Multiple Sklerose (MS) ist eine autoimmune, entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Verschiedene Faktoren können die krankheitstypischen Entzündungen verstärken und somit Schübe auslösen, welche sich bei Betroffenen mit Symptomen (z. B. schmerzenden Muskelkrämpfen) bemerkbar machen. Offenbar zählt zu diesen Faktoren auch ein bislang unbekannter Bestandteil in der Ernährung. Das haben Forscher in einer aktuellen Studie herausgefunden.
Nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand ist Multiple Sklerose (MS) nicht heilbar. Die Behandlung der Autoimmunerkrankung zielt darauf ab, ihren Verlauf günstig zu beeinflussen und in dieser Absicht Entzündungsreaktionen zu minimieren, welche bei den Betroffenen zu Schüben führen. Neben u. a. Infektionskrankheiten, welche die körperliche Verfassung der Erkrankten beeinträchtigen, spielt dabei auch die Ernährung eine entscheidende Rolle. Darüber hat FITBOOK bereits mit dem erfahrenen Neurologen Dr. Patrick Thilmann gesprochen. Demnach kann sich u. a. der häufige Konsum von Kochsalz sowie Milchprodukten entzündungsfördernd auswirken, folglich also zu einer erhöhten Krankheitsaktivität und dem vermehrten Auftreten von MS-Symptomen führen. Ähnliches gilt neueren Erkenntnissen zufolge offenbar für Weizen.
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Übersicht
Studie untersuchte Einfluss von Weizen auf MS-Symptome
Weizen ist zu einem wichtigen Grundnahrungsmittel geworden, steht dazu in der kürzlich erschienen Studie.1 Dem verantwortlichen Forscherteam der Universitätsmedizin Mainz ging es nun darum, herauszufinden, wie sich eine weizenhaltige Ernährung speziell auf den Zustand von MS-Kranken auswirkt.
Es sind verschiedene Krankheitsbilder im Zusammenhang mit Weizenkonsum bekannt, wobei sich hier der Begriff Gluten aufdrängt. Eine (wenn auch seltene) Allergie auf das Klebstoffeiweiß kann schwere Folgeerkrankungen des Darms und weiterer Organsysteme nach sich ziehen, wenn Betroffene es in ihrer Ernährung nicht meiden. „Bisher gab es jedoch keine eindeutigen Belege, dass eine weizenhaltige Ernährung auch entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems beeinflussen kann.“ Das erklärt Studienleiter Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Direktor am Institut für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Professor an der Harvard Medical School, in einer Pressemitteilung.2 Diese fehlenden Belege hat er mit seinem Team nun geliefert und hierbei gezeigt, dass – geht es um MS-Symptome – nicht das umstrittene Gluten kritisch zu werten ist.
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ATI-Proteine im Fokus
Im Fokus der Untersuchung standen sogenannte ATI-Proteine (ATI steht für Amylase-Trypsin-Inhibitoren). Diese kommen von Natur aus in verschiedenen Getreidearten vor und können im Darm leichte Entzündungsreaktionen auslösen. Damit nicht genug, sollen durch ATI aktivierte Entzündungszellen und Botenstoffe über das Blut in weitere Körperregionen gelangen können. Die jüngste Untersuchung habe nun hervorgebracht, dass auf diese Weise ATI-Proteine im zentralen Nervensystem bestehende Entzündungsprozesse verstärken könne – so also auch die Symptome einer Erkrankung an MS.
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Vorgehen bei der Untersuchung
Die Forscher begannen ihre Untersuchung mit einem Tiermodell. Hierbei zeigte sich am Beispiel von Mäusen, dass eine zu 25 Prozent aus Weizen bestehende Ernährung – verglichen mit einer gänzlich weizenfreien – MS-Symptome erheblich verschlechtert. Bei genauerer Betrachtung erwiesen sich die oben vorgestellten ATI-Proteine im Weizen als besonders schädlich. Bei einem Reproduktionsmodell haben demnach bereits geringe Mengen davon genügt, um die vorläufigen Ergebnisse zu bestätigen. ATI-Proteine hatten bei den Versuchstieren messbar die vorhandenen Entzündungen im Gehirn verstärkt. Die Vergabe von Glutenproteinen tat dies nicht.
Das Team schloss eine klinische Pilotstudie an. Daran hatten weibliche und männliche Patienten mit jeweils mittelschwerer Krankheitsaktivität teilgenommen. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Für einen Zeitraum von drei Monaten sollten die Probanden aus Gruppe eins eine weizenreduzierte Diät einhalten und die aus Gruppe zwei nichts an ihren bisherigen Gewohnheiten ändern. Nach Ablauf dieser ersten Phase wechselten die Gruppen ihre Ernährungsformen für wieder drei Monate. „Die MS-Betroffenen berichteten während der weizenfreien Diät von signifikant weniger Schmerzen“, ist in der Pressemitteilung nachzulesen. Auch maßen die Forscher demnach bei begleitenden Blutuntersuchungen weniger entzündliche Immunzellen.
Lebensstilveränderungen, die Neurologe Dr. Patrick Thilmann MS-Betroffenen ans Herz legt
„Dabei geht es um die zuvor schon erwähnten Lifestyle-Faktoren, die man als mögliche Mit-Verursacher der Krankheit erforscht. Diesbezüglich steht fest ist, dass sie den Verlauf einer bereits bestehenden MS-Erkrankung negativ beeinflussen. Man sollte beispielsweise aufhören, zu rauchen und auf eine salzarme – vermutlich entzündungshemmende – Ernährung achten. In unserer Praxis versuchen wir, auch über den Tellerrand hinaus zu informieren: Wir bieten eine Ernährungsberatung an und geben Empfehlungen hinsichtlich einer regelmäßigen sportlichen Aktivität. Zudem ist es uns ein Anliegen, Frauen zum Thema MS und Schwangerschaft zu informieren. Außerdem halte ich es für wichtig, neue Erkenntnisse der Forschung weiterzugeben, wie z.B. vor rund zehn Jahren die Bedeutung einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung bei MS-Patienten.“
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Bedeutung der Erkenntnisse
Mit ihren Studien wollen die Forscher ein Mal mehr die große Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit – insbesondere mit Blick auf das Darmimmunsystem– aufgezeigt haben und so auch für die Verfassung von MS-Patienten. Vor allem sehen sie hier eine Chance für die Behandlung. Denn nicht bloß kann eine weizenhaltige Ernährung MS-Symptome offensichtlich verschlimmern – Prof. Schuppan und sein Team gehen davon aus, dass sich durch den Verzicht auf Weizen eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs erzielen lässt. „Weitere Studien, die unter anderem eine weizenfreie Ernährung mit anderen medikamentösen Therapien verbinden, sind geplant“, so der Studienleiter.