24. März 2023, 14:05 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Viele Menschen empfinden es als bequem, mit überschlagenen Beinen zu sitzen. Dabei ist die Angewohnheit aus gesundheitlicher Sicht angeblich gar nicht so günstig – das liest man immer wieder. Eine besondere Warnung betrifft demnach Männer. Ob das wirklich stimmt? FITBOOK hat sich schlau gemacht.
Die meisten tun es, die wenigsten denken darüber nach: mit überschlagenen Beinen sitzen. Dabei gibt es offenbar zahlreiche Argumente, die aus medizinischen Gründen dagegen sprechen. Einige davon hat aktuell ein Anatomieexperte und Gesundheitsredakteur in einem Beitrag der Online-Publikation „Science Alert“ gesammelt. FITBOOK fasst zusammen – und hat bei deutschen Experten nachgefragt, ob die beliebte Sitzposition wirklich so kritisch zu bewerten ist.
Übersicht
Mit überschlagenen Beinen sitzen ist angeblich schädlich
Laut Autor Adam Taylor, Professor und Leiter des Fachbereichs Anatomie an der University of California San Francisco, kann es in verschiedener Hinsicht Schaden anrichten, mit überschlagenen Beinen zu sitzen.
Negative orthopädische Auswirkungen
Aus orthopädischer Sicht kann demnach die für den Körper ungewöhnliche Haltung u. a. eine Fehlstellung der Hüfte begünstigen. Auch soll die Wahrscheinlichkeit für Skoliose und weitere Deformationen steigen. Der Experte will in seiner Recherche weiterhin ermittelt haben, dass das Überschlagen der Beine verschiedene Erkrankungen begünstigen kann, die an den äußeren Seiten der Hüfte und des Oberschenkels starke Schmerzen verursachen können, zusammenfassend bekannt als Trochanter-Major-Schmerzsyndrom.
„Je länger und öfter Sie mit überschlagenen Beinen sitzen, desto wahrscheinlicher werden langfristige Veränderungen in der Muskellänge und Knochenanordnung in Ihrem Becken“, heißt es in dem Beitrag. Doch damit offenbar nicht genug. Durch das Sitzen mit überschlagenen Beinen ändere sich die Kopfhaltung, weshalb dauerhaft auch die Muskulatur im Bereich des Nackens in Mitleidenschaft gezogen werde.
Folgen für das Herz-Kreislauf-System
Ebenso gravierend seien die möglichen Folgen für das Herz-Kreislauf-System. Die Durchblutung werde durch das Sitzen mit überschlagenen Beinen negativ beeinflusst und dadurch dauerhaft das Risiko für Blutgerinnsel erhöht. Weiterhin könnte das Überkreuzen der Knie den Blutdruck steigen lassen und zu einem Blutstau in den Venen führen, was eine enorme Belastung für das Herz darstellen würde.
Sind Männer besonders gefährdet?
Zudem gebe es geschlechtsspezifische Risiken. Rein anatomisch betrachtet sei es für Frauen einfacher, mit überschlagenen Beinen zu sitzen, so Autor Taylor. Nicht zuletzt, da der Bewegungsradius von Männern im Hüftbereich eingeschränkt sei. Am besten sollten sie es gar nicht versuchen, so der Tenor des Beitrags. Denn bei Männern könnte das überkreuzte Sitzen auf Kosten der Spermienqualität und -menge gehen. Die dadurch verursachte Beengung lasse die Temperatur im Bereich der Genitalien ansteigen – diese sollte idealerweise zwischen 2 und 6 Grad Celsius niedriger sein als im restlichen Körper. Redakteur Taylor beruft sich auf eine wissenschaftliche Arbeit, der zufolge „Hitzestress im Hoden oxidativen Stress induziert, der (…) zu behebbaren Veränderungen“ führen kann.1
Dass eine unbedachte Sitzposition so viele Schäden anrichtet – kann das sein? FITBOOK wollte kein Risiko eingehen und hat gleich bei zwei Experten nachgefragt – einer Orthopädin und einem Urologen.
Orthopädin: „Für gesunde Patienten eher nicht schädlich“
Der erste Impuls von Caroline Skuhr, Fachärztin für Orthopädie im Münchener Marianowicz Zentrum: „Die Menge macht das Gift.“ Laut Skuhr ist es für prinzipiell gesunde Patienten eher nicht schädlich, ab und an die Beine übereinander zu schlagen. Allerdings müsse man den Körper auch als Kette sehen. Das Verschränken der Beine sorge für einen Schiefstand im Becken, den die Wirbelsäule automatisch versuche, mit einer entsprechenden Haltung auszugleichen. Bei Menschen mit bestehenden Wirbelsäulenleiden – darunter auch solche, die davon womöglich noch nichts wissen – könnte die Sitzhaltung die Probleme zu einem gewissen Maß triggern
Etwas kritischer sieht die Ärztin die Folgen für die Gefäße, und auch hier insbesondere für Menschen mit entsprechenden Vorbelastungen bzw. bei denen bestimmte Risikofaktoren wirken. Sie nennt bestehende Neigungen zu Gefäßschädigungen, Thrombosen und daneben Hormoneinflüsse (z. B. die Einnahme der Pille, Schwangerschaften) sowie Rauchen. In diesen Fällen ist dauerhaftes Sitzen mit überschlagenen Beinen zumindest nicht ideal.
Nicht übertreiben
Aber generell sollte man es mit der verschränkten Haltung nicht übertreiben. Also etwa mit überschlagenen Beinen sitzend, zusätzlich den Fuß von hinten um die Vorderseite des Schienbeins legen, wie es vor allem Frauen häufig tun. Denn: „Durch die Kniekehle verlaufen zwei Äste des Ischiasnervs“, so Skuhr. Nerven reagieren demnach mit unterschiedlichen Symptomen auf Druck. Fängt es an zu kribbeln oder schläft das Bein gar ein, sollte man dies als unmittelbares Zeichen deuten, die Position zu wechseln.
Auch Urologe gibt Entwarnung
Auch Urologe Dr. med. Christoph Pies würde in die Alarmrufe des US-amerikanischen Experten nicht sofort einstimmen. Es sei zwar richtig, dass Druck und zu hohe Temperaturen potenziell schädliche Faktoren für die Männlichkeit darstellen – „theoretisch“. Das betreffe aber auch die Bedingungen beim Sport oder in der Sauna. In der Praxis begegnen einem entsprechende Folgen nicht wirklich. „Man sitzt ja nicht stundenlang mit fest zusammengekniffenen Beinen“, so der Arzt, „sondern wechselt zwischendurch die Position, streckt mal ein Bein aus.“ Männer würden es laut Dr. Pies schon noch rechtzeitig merken, bevor sie sich mit ihrer Art zu sitzen ernsthaft etwas antun.
Fazit
Sitzen mit überschlagenen Beinen ist per se nicht problematisch. Menschen mit Vorerkrankungen oder -belastungen sollte es damit aber nicht übertreiben. Und auch Gesunde tun gut daran, auf die Signale ihres Körpers zu hören – zumal diese doch relativ eindeutig aufzeigen, wenn die vermeintlich gemütliche Sitzhaltung ungewünschte Symptome zeigt.
Gesundheitliche Ursachen Forscher alarmiert – weltweit produzieren Männer immer weniger Spermien
Jeder dritte Erwachsene betroffen 5 Tipps gegen Rückenschmerzen im Alltag
Schuld seien Phthalate Forscherin warnt: »2045 ist die Mehrheit der Männer zeugungsunfähig
Quellen
- 1. Hamilton, T., Mendes, C., Castro, L. et al. (2016). Evaluation of Lasting Effects of Heat Stress on Sperm Profile and Oxidative Status of Ram Semen and Epididymal Sperm. Oxidative Medicine and Cellular Longevity.