21. November 2024, 11:06 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wenn man über Dinge spricht, ohne die man sich sein Leben nicht mehr vorstellen kann, dann denken viele dabei an etwas Schönes. PETBOOK-Redakteurin Louisa Stoeffler denkt dabei jedoch vor allem an Migräne. Aus ihrem Leben einer Betroffenen und wie lange es wirklich gebraucht hat, bis sie mit dieser Diagnose ernst genommen wurde, berichtete sie beim BILD Tabu-Bru(n)ch, der Frauen und ihren Gesundheitsthemen eine Bühne gab, und erzählt sie jetzt hier bei FITBOOK.
Es gibt Krankheiten, von denen man zwar bestimmt schon gehört hat, aber bei denen sich nur Betroffene vorstellen können, wie sie sich wirklich anfühlen. Vor allem, wenn es Krankheiten sind, die man von außen betrachtet nicht als solche erkennen kann. Eine solche Erkrankung ist Migräne, die darüber hinaus sehr lange mit einem Stigma belegt war. Dass sie jedoch weit mehr ist als nur Kopfschmerzen oder eine Ausrede, nicht mit Freunden auszugehen, war lange keine salonfähige Meinung. Anlässlich des ersten BILD-Tabu-Bru(n)ches zum Thema Frauengesundheit breche ich jedoch nun mit diesem Stigma und erzähle in diesem Erfahrungsbericht davon, wie sich mein Leben mit Migräne anfühlt.
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Ich habe Migräne in der dritten Generation
Schon seitdem ich ein Kind war, wusste sich, dass es Migräne gibt. Vielleicht kannte ich es nicht unter diesem Namen, doch dass es eine immer wiederkehrende Krankheit war, war mir bewusst. Mein Großvater bekam immer im Sommer Kopfschmerzen und litt unter Übelkeit, besonders wenn der Luftdruck besonders hoch war. Meine Mutter kam häufig von der Arbeit nach Hause und konnte sich nur noch übergeben.
Im Gegensatz zu einem Lehrer und einer Verkäuferin habe ich es mit meinen Migräneattacken wohl noch relativ gut getroffen. Ich kann meinen Kollegen sagen, dass ich noch eine bis zwei Stunden brauche, bis ich wieder Schrift auf dem Bildschirm erkennen kann und kann an Tagen mit besonders schlimmer Attacke zu Hause arbeiten.
Allerdings war das nicht immer so. Denn die Migräne begleitet mich persönlich schon, seitdem ich auf das Gymnasium gekommen bin. Nur dass es tatsächlich diese chronische Erkrankung war und nicht Cephalgie oder „unklare Kopfschmerzen“, wie es noch in meinen ersten Diagnosen von 2003 hieß, war lange unklar.
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Von der Suche nach „Krampfadern“ im Hirn und den Folgeerkrankungen
Erinnern Sie sich an die Zeit, in der viele junge Mädchen dem Sportlehrer sagten, dass sie zu starke Regelschmerzen hatten, um am Unterricht teilzunehmen? Ich war diejenige, die trotz Kopfschmerzen mitmachen musste. Weil die Lehrer mir nicht glaubten und es für eine Ausrede hielten. Auch die Mitschüler sagten oft: „Louisa tut doch nur so“.
Im Alter von 15 Jahren ging ich regelmäßig zum Neurologen. Denn was vielen nicht bewusst ist, obwohl Migräne ja den Kopf betrifft: Es handelt sich bei ihr um eine neurologische Erkrankung. Woche für Woche waren wir auf der Suche nach „Krampfadern“ in meinem Kopf – so wurde es mir gegenüber damals bezeichnet. Mit einem kleinen Ultraschallgerät, das zwischen den Knochenplatten der seitlichen Stirn und dem Ohr angesetzt wurde, forschte mein Arzt nach Anomalien in meinem Kopf. Was als Suche nach der Ursache für meine Kopfschmerzen begann, wurde schnell zur wöchentlichen Therapiesitzung.
Denn schon längst hatte ich mehr als nur Migräne. Zu den chronischen Schmerzen gesellten sich nun weitere Diagnosen: Anorexie, chronisch depressive Verstimmung (Dysthemie) mit wiederkehrenden schweren Phasen. Mit 17 Jahren dann schließlich: Colitis ulcerosa und chronische Schlafstörungen. Ob man dies alles darauf zurückführen kann, dass ich immer wieder an Migräneattacken litt, weiß ich nicht. Geholfen hat es aber wohl nicht.
Denn offensichtlich gab es mehr als nur eine Anomalie in meinem Kopf – und in meinem Darm. Die Darm-Hirn-Verbindung und ihre Auswirkungen waren damals ebenfalls noch unbekannt. Und noch immer glaubte mir niemand, dass ich nicht einfach den Unterricht schwänzte, sondern bis zu 16 Stunden pro Tag höllische Schmerzen durchlebte. Dass ich trotzdem das Abitur und später auch das Studium schaffte, war einigen aufgrund meiner Fehlzeiten unbegreiflich.
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Eine beispielhafte Episode
Ich nehme Sie einmal mit auf eine beispielhafte Migränereise. Meist beginnt diese am Abend vor der eigentlichen Attacke. Ich bemerke ein starkes Ziehen in Nacken und Schulter, manchmal auch eine „aufziehende Wolke“ in der linken Kopfhälfte. In den meisten Fällen weigere ich mich jedoch, diese Vorzeichen als beginnende Attacke wahrzuhaben. Ich weigere mich auch fast immer, präventiv ein Kopfschmerzmittel einzuwerfen.
Allerdings bereue ich dies in der Regel um 3 Uhr nachts. Manchmal rede ich mir auch dann noch ein, dass die stechenden, irgendwie hohlen Schmerzen schon wieder weggehen, wenn ich mich auf die andere Seite drehe. Spätestens um 5 Uhr morgens hänge ich dann mit bohrenden Schmerzen über der Kloschlüssel und übergebe mich wieder und wieder, während mir der Schweiß ausbricht.
Anschließend krieche zitternd zurück ins Bett, weil ich es manchmal nicht mehr auf die Beine schaffe, versuche die erste Tablette herunterzuwürgen. Heute sind dies Triptane, wie Nara- oder Sumatriptan, die den Anfall tatsächlich rasch zum Erliegen bringen – wenn man sie rechtzeitig einnimmt. Bevor diese Medikamente jedoch verschrieben wurden, musste ich es allein mit Paracetamol probieren, da ich in einem akuten Schub der Colitis kein Ibuprofen oder Aspirin zu mir nehmen durfte. Geholfen hat dieses Medikament jedoch auch nach der achten Tablette am Tag nicht. Meine ersten Anfälle erledigten sich dann – wie zuvor erwähnt – meist erst nach 16 Stunden Hölle.
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Die Kehrtwende kam erst mit dem Burnout
Erst mit 27, nach einem Burnout und inmitten der schwersten depressiven Episode meines Lebens, fand ich eine Neurologin, die meine Probleme ernst nahm. Sie erkannte auch die Zusammenhänge zwischen Depression, Migräne und Colitis ulcerosa.
Denn seit einigen Jahren weiß man endlich mehr über Migräne. Zum Beispiel, dass sie ebenfalls eine chronisch entzündliche Krankheit ist. Mittlerweile habe ich auch das Gefühl, dass das Wissen um Migräne gesellschaftlich und medizinisch mehr ins Bewusstsein gerückt ist. Ich musste schon lange nicht mehr erklären, dass es eben mehr als „nur ein bisschen Kopfschmerz“ ist.
Mittlerweile befinde ich mich in Remission, was die Colitis ulcerosa betrifft, und habe auch die rezidivierende Depression „im Griff“. Ich habe auch gelernt, mit Diagnosen, die lebenslange Einschränkungen bedeuten, klarzukommen. Denn auch dies war am Anfang nicht einfach. Wie soll man als junges Mädchen damit umgehen, Krankheiten zu haben, die keiner nachvollziehen kann und die man ein Leben lang mit sich herumschleppt? Im Falle der Migräne sind dies für mich nun bereits über 20 Jahre. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich würde es gern.