21. August 2024, 22:17 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Auch wenn das Coronavirus in unserer Wahrnehmung eine zunehmend geringere Rolle spielt, kommt es immer noch zu Infektionen mit neuen Varianten. Und dies kann weiterhin zu Langzeitfolgen führen, bekannt als Long Covid. Nun haben Forscher entschlüsselt, warum es dazu kommt und was im Gehirn passiert. FITBOOK-Autor Martin Lewicki erklärt die Studie.
Gerade jetzt im Sommer sind die Corona-Infektionszahlen wieder leicht gestiegen. Die 7-Tage-Inzidenz lag Ende Mai 2024 noch bei gerade mal einem laborbestätigten Fall pro 100.000 Einwohnern in Deutschland.1 Ab da stiegen die Infektionszahlen auf bis zu sechs laborbestätigte Fälle Ende Juli. Weil sich nur noch sehr wenige Menschen auf Corona testen lassen, dürfte die Dunkelziffer deutlich höher sein. Und damit steigt auch das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung. Forscher haben jetzt herausgefunden, welche Veränderungen Covid-19 im Gehirn auslösen können, die wiederum zu Long Covid führen können.
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Übersicht
Die häufigsten Long-Covid-Symptome
Studien haben bereits die häufigsten Langzeitfolgen einer Corona-Infektion identifiziert, wie FITBOOK in einem früheren Beitrag berichtete. Dazu gehören folgende Symptome:
- Geruchs- und/oder Geschmacksverlust
- Unwohlsein nach körperlicher Anstrengung
- Chronischer Husten
- Brain Fog („Gehirnnebel“)
- Übermäßiger Durst
- Herzklopfen
- Schmerzen in der Brust
- Erschöpfung (Fatigue)
- Beschwerden mit der Libido / Beschwerden beim Sex
- Schwindelgefühl
- Magen-Darm-Beschwerden
- Motorische Veränderungen und Beschwerden
Forscher führten Experimente an Ratten durch
Amerikanische Wissenschaftler von der University of Colorado wollten nun herausfinden, wie es zu den Long-Covid-Symptomen sowie Veränderungen im Gehirn kommt.2 Hierzu führten sie Experimente an Ratten durch, denen spezielle Antigene des Covid-19-Virus injiziert wurden.
Wie die Forscher berichten, haben bereits frühere Untersuchungen gezeigt, dass diese immunstimulierende Antigene, die vom Covid-19-Virus ausgeschieden werden, bis zu einem Jahr nach der Infektion im Blutkreislauf von Corona-Patienten verbleiben. Zudem wurden sie auch in den Gehirnen von Corona-Kranken nachgewiesen, die verstorben sind.
Um zu untersuchen, wie sich diese Antigene auf das Gehirn und das Nervensystem auswirken, injizierten sie solch ein Antigen (S1) in die Rückenmarksflüssigkeit von Ratten. Sie verglichen dann die Blut- und Hormonwerte mit einer Kontrollgruppe von Ratten, der das Antigen nicht injiziert wurde.
Covid-19-Antigen senkt den Cortisolspiegel im Gehirn
Eine Messung der Hormonwerte ergab, dass bereits nach sieben Tagen der Spiegel des cortisolähnlichen Hormons Corticosteron im Hippocampus des Gehirns um 31 Prozent gesunken war. Hierbei handelt es sich um jene Gehirnregion, die für das Gedächtnis, die Entscheidungsfindung und das Lernen zuständig ist. Nach neun Tagen waren die Werte bei den Ratten, die das Covid-19-Antigen injiziert bekamen, um 37 Prozent gesunken.
„Neun Tage sind eine lange Zeit in der Lebensspanne einer Ratte“, kommentiert Dr. Matthew Frank, der Hauptautor der Studie, die Ergebnisse in einer Pressemitteilung.3 Im Vergleich zu Menschen ist es ein großer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass Ratten im Schnitt zwei bis drei Jahre leben.
Welche Rolle spielt Cortisol in unserem Körper?
Cortisol ist ein wichtiges Hormon, das vielen sicherlich als Stresshormon bekannt ist. Denn es wird im Körper auch in Stresssituationen ausgeschüttet und macht uns hellwach, vor allem in Gefahrensituationen. Dabei ist es auch wichtig für die Regulation unseres Schlafs und Fettstoffwechsels. Wie die Forscher in der Studie betonen, ist es zudem ein wichtiger Entzündungshemmer, der die Immunantwort bei Infektionen reguliert.
Bereits frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Patienten mit Long Covid einen niedrigen Cortisolspiegel aufweisen.4 Auch Personen, die unter chronischer Müdigkeit leiden, haben niedrige Cortisol-Werte. Klare Indizien also, dass ein geringer Cortisolspiegel negative Folgen haben kann und Entzündungen im Körper begünstigt. „Cortisol hat so viele nützliche Eigenschaften, dass ein Absenken des Cortisolspiegels eine Reihe negativer Folgen haben kann“, betont der Studienforscher Dr. Matthew Frank.
Niedriger Cortisolspiegel macht Gehirn anfälliger für Entzündungen
Um herauszufinden, wie sich der niedrige Cortisolspiegel auf Immunstress auswirkt, haben die Forscher ein weiteres Experiment mit den Ratten durchgeführt. Sie verabreichten beiden Ratten-Gruppen ein abgeschwächtes Bakterium, das zu einer leichten Infektion im Körper führte.
Bei der Analyse der Bio-Daten stellten sie fest, dass die Gruppe der Ratten, die zuvor dem Covid-19-Antigen ausgesetzt worden war, viel stärker auf die Infektion reagierte. Sie zeigten ausgeprägte Veränderungen beim Fressen, Trinken, der Körperkerntemperatur sowie der Herzfrequenz. Zudem kam es zu stärkeren Entzündungsprozessen im Gehirn und dem Nervensystem im Vergleich zu den Ratten, die nicht dem Covid-19-Antigen ausgesetzt waren.
„Erstmals konnten wir zeigen, dass die Exposition gegenüber Antigenen, die das Virus hinterlässt, die Immunantwort im Gehirn tatsächlich so verändern kann, dass bei nachfolgenden Stressfaktoren oder Infektionen überreagiert“, erklärt Dr. Frank das Ergebnis.
Obwohl es sich hier um Tierversuche handelt, ist eine gewisse Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Menschen gegeben, da eine große Ähnlichkeit zwischen dem Organismus von Ratten und Menschen besteht. Deswegen gehen die Forscher davon aus, dass auch bei Menschen die Covid-Antigene das Cortisol senken können. Das macht Long-Covid-Patienten und insbesondere ihr Gehirn anfälliger für Stress und Infektionen, was wiederum zu stärkeren Entzündungsreaktionen im Körper führt. Das Ergebnis sind dann die oben beschriebenen Symptome wie Müdigkeit, Brain Fog oder Schlafprobleme.
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Woher weiß ich, dass ich Long Covid habe?
Man spricht von Long Covid, wenn gesundheitliche Probleme mindestens vier Wochen nach einer Covid-19-Infektion noch fortbestehen. Eines der am häufigsten genannten Symptome ist hierbei eine starke Müdigkeit und Erschöpfung. Dadurch werden selbst alltägliche Dinge, wie etwa Treppensteigen oder sich etwas zu essen und zu trinken zuzubereiten, zu einer Herausforderung, wie die Stiftung Gesundheitswissen berichtet.5 Hinzu kommen oft Atembeschwerden, Muskelschmerzen sowie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
Wer also nach einer Corona-Infektion merkt, dass die Beschwerden nicht weggehen, zurückkommen oder neu auftreten, sollte am besten zum Hausarzt. Hier kann eine Ersteinschätzung der Symptome erfolgen. In einem Bericht der dpa wird vorgeschlagen, ein Symptomtagebuch zu führen, das beim Arztbesuch vorgelegt werden kann. Durch eine Reihe weiterer Untersuchungen können die Beschwerden eingeordnet und eventuell mit Long Covid in Zusammenhang gebracht werden. Je nach Schwere der Beschwerden kann der Arzt dann verschiedene Maßnahmen wie etwa eine Atemtherapie oder Physiotherapie verschreiben.
Was man selbst gegen die Long-Covid-Symptome machen kann, hat die Stiftung Gesundheitswissen in ihrem Ratgeber Leben mit Long Covid aufgelistet.