2. Dezember 2024, 13:12 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Auch wenn das Coronavirus in unserer Wahrnehmung eine zunehmend geringere Rolle spielt, kommt es immer noch zu Infektionen mit neuen Varianten – was Langzeitfolgen nach sich ziehen kann. Mehrere Studien haben entschlüsselt, warum es zu Long Covid kommt und was genau im Gehirn passiert.
Mit Long Covid sind längerfristige, gesundheitliche Beeinträchtigungen gemeint, die aus einer Corona-Infektion resultieren. So können die Symptome bereits während der akuten Krankheitsphase auftreten und wochenlang nach der Erkrankung noch anhalten. Oder aber es treten nach der Infektion bereits bekannte oder neue Symptome auf. Forscher haben deshalb untersucht, was Long Covid mit dem Gehirn anstellt.
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Übersicht
Die häufigsten Long-Covid-Symptome
Studien haben bereits die häufigsten Langzeitfolgen einer Corona-Infektion identifiziert, wie FITBOOK in einem früheren Beitrag berichtete. Dazu gehören folgende Symptome:
- Geruchs- und/oder Geschmacksverlust
- Unwohlsein nach körperlicher Anstrengung
- Chronischer Husten
- Brain Fog („Gehirnnebel“)
- Übermäßiger Durst
- Herzklopfen
- Schmerzen in der Brust
- Erschöpfung (Fatigue)
- Beschwerden mit der Libido / Beschwerden beim Sex
- Schwindelgefühl
- Magen-Darm-Beschwerden
- Motorische Veränderungen und Beschwerden
Woher weiß ich, dass ich Long Covid habe?
Man spricht von Long Covid, wenn gesundheitliche Probleme mindestens vier Wochen nach einer Covid-19-Infektion noch fortbestehen. Eines der am häufigsten genannten Symptome sind starke Müdigkeit und Erschöpfung. Dadurch werden selbst alltägliche Dinge, wie etwa Treppensteigen oder sich etwas zu essen und zu trinken zuzubereiten, zu einer Herausforderung, wie die Stiftung Gesundheitswissen berichtet.1 Hinzu kommen oft Atembeschwerden, Muskelschmerzen sowie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
Wer also nach einer Corona-Infektion merkt, dass die Beschwerden nicht weggehen, zurückkommen oder neu auftreten, sollte am besten den Hausarzt aufsuchen. Hier kann eine Ersteinschätzung der Symptome erfolgen. In einem Bericht von „dpa“ wurde vorgeschlagen, ein Symptomtagebuch zu führen, das beim Arztbesuch vorgelegt werden kann. Durch eine Reihe weiterer Untersuchungen können die Beschwerden eingeordnet und eventuell mit Long Covid in Zusammenhang gebracht werden. Je nach Schwere der Beschwerden kann der Arzt dann verschiedene Maßnahmen wie etwa eine Atemtherapie oder Physiotherapie verschreiben.
Was man selbst gegen die Long-Covid-Symptome machen kann, hat die Stiftung Gesundheitswissen in ihrem Ratgeber „Leben mit Long Covid“ aufgelistet.
Forscher führten Experimente an Ratten durch
Amerikanische Wissenschaftler von der University of Colorado wollten herausfinden, wie es zu den Long-Covid-Symptomen sowie Veränderungen im Gehirn kommt.2 Hierzu führten sie Experimente an Ratten durch, denen spezielle Antigene des Covid-19-Virus injiziert wurden.
Wie die Forscher berichten, hatten bereits frühere Untersuchungen gezeigt, dass diese immunstimulierende Antigene, die vom Covid-19-Virus ausgeschieden werden, bis zu einem Jahr nach der Infektion im Blutkreislauf von Corona-Patienten verbleiben. Zudem wurden sie auch in den Gehirnen von Corona-Kranken nachgewiesen, die verstorben sind.
Um zu untersuchen, wie sich diese Antigene auf das Gehirn und das Nervensystem auswirken, injizierten sie solch ein Antigen (S1) in die Rückenmarksflüssigkeit von Ratten. Sie verglichen dann die Blut- und Hormonwerte mit einer Kontrollgruppe von Ratten, der man das Antigen nicht injizierte.
Covid-19-Antigen senkt den Cortisolspiegel im Gehirn
Eine Messung der Hormonwerte ergab, dass bereits nach sieben Tagen der Spiegel des cortisolähnlichen Hormons Corticosteron im Hippocampus des Gehirns um 31 Prozent gesunken war. Hierbei handelt es sich um jene Gehirnregion, die für das Gedächtnis, die Entscheidungsfindung und das Lernen zuständig ist. Nach neun Tagen waren die Werte bei den Ratten, die das Covid-19-Antigen injiziert bekamen, um 37 Prozent gesunken.
„Neun Tage sind eine lange Zeit in der Lebensspanne einer Ratte“, kommentiert Dr. Matthew Frank, der Hauptautor der Studie, die Ergebnisse in einer Pressemitteilung.3 Im Vergleich zu Menschen handelt es sich dabei um einen großen Zeitraum, wenn man bedenkt, dass Ratten im Schnitt zwei bis drei Jahre leben.
Welche Rolle spielt Cortisol in unserem Körper?
Cortisol ist ein wichtiges Hormon, das vielen sicherlich als Stresshormon bekannt ist. Denn es wird im Körper auch in Stresssituationen ausgeschüttet und macht uns hellwach, vor allem in Gefahrensituationen. Dabei ist es auch wichtig für die Regulation unseres Schlafs und Fettstoffwechsels. Wie die Forscher in der Studie betonen, ist es zudem ein wichtiger Entzündungshemmer, der die Immunantwort bei Infektionen reguliert.
Bereits frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Patienten mit Long Covid einen niedrigen Cortisolspiegel aufweisen.4 Auch Personen, die unter chronischer Müdigkeit leiden, haben niedrige Cortisolwerte. Klare Indizien also, dass ein geringer Cortisolspiegel negative Folgen haben kann und Entzündungen im Körper begünstigt. „Cortisol hat so viele nützliche Eigenschaften, dass ein Absenken des Cortisolspiegels eine Reihe negativer Folgen haben kann“, betont der Studienforscher Dr. Matthew Frank.
Niedriger Cortisolspiegel macht Gehirn anfälliger für Entzündungen
Um herauszufinden, wie sich der niedrige Cortisolspiegel auf Immunstress auswirkt, haben die Forscher ein weiteres Experiment mit den Ratten durchgeführt. Sie verabreichten beiden Ratten-Gruppen ein abgeschwächtes Bakterium, das zu einer leichten Infektion im Körper führte.
Bei der Analyse der Bio-Daten stellten sie fest, dass die Gruppe der Ratten, die zuvor dem Covid-19-Antigen ausgesetzt worden war, viel stärker auf die Infektion reagierte. Sie zeigten ausgeprägte Veränderungen beim Fressen, Trinken, der Körperkerntemperatur sowie der Herzfrequenz. Zudem kam es zu stärkeren Entzündungsprozessen im Gehirn und dem Nervensystem im Vergleich zu den Ratten, die nicht dem Covid-19-Antigen ausgesetzt waren.
Einordnung der Studie
„Erstmals konnten wir zeigen, dass die Exposition gegenüber Antigenen, die das Virus hinterlässt, die Immunantwort im Gehirn tatsächlich so verändern kann, dass bei nachfolgenden Stressfaktoren oder Infektionen überreagiert“, erklärt Dr. Frank das Ergebnis.
Obwohl es sich hier um Tierversuche handelt, ist eine gewisse Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Menschen gegeben, da eine große Ähnlichkeit zwischen dem Organismus von Ratten und Menschen besteht. Deswegen gehen die Forscher davon aus, dass auch bei Menschen die Covid-Antigene das Cortisol senken können. Das macht Long-Covid-Patienten und insbesondere ihr Gehirn anfälliger für Stress und Infektionen, was wiederum zu stärkeren Entzündungsreaktionen im Körper führt. Das Ergebnis sind dann die oben beschriebenen Symptome wie Müdigkeit, Brain Fog oder Schlafprobleme.
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Weitere Untersuchungen an Mäusen und menschlichen Gewebeproben
Forscher der Helmholtz-Gemeinschaft und der Ludwig-Maximilians-Universität München schlossen sich unter der Leitung von Prof. Ertürk zusammen, um auf den vorangegangenen Erkenntnissen zu den Auswirkungen von Long Covid auf das Gehirn aufzubauen.5 Hierfür führten die Wissenschaftler ebenfalls Versuche an Tieren durch – dieses Mal allerdings an Mäusen. Zunächst immunisierten sie eine Gruppe der Mäuse, indem sie ihnen mRNA-Impfstoffe injizierten. Anschließend infizierte man alle Tiere mit dem Virus, um wenige Tage später Gehirnproben für die Analysen zu entnehmen.
Damit sich diese Studie aber nicht ebenfalls nur auf das Gehirn von Tieren beschränkt, untersuchte man des Weiteren Gewebeproben von Spendern, bei denen zu Lebzeiten eine Covid-Diagnose oder ein positiver Corona-Test nach dem Tod festgestellt wurde. Wie auch bereits bei den Mäusen wendeten die Wissenschaftler eine eigens entwickelte Methode an: Mithilfe einer KI-gestützten Bildgebungstechnik können Organe und Gewebeproben transparent gemacht werden, wodurch eine dreidimensionale Visualisierung von Zellstrukturen, Metaboliten und viralen Proteinen ermöglicht wird. Somit konnten die Forscher die Verteilung des Spike-Proteins nach einer Corona-Infketion aufdecken.
Hohe Anreicherung der Spike-Proteine
Sowohl bei Mäusen als auch bei den menschlichen Gewebeproben stieß das Team auf ein hohes Vorkommen des Spike-Proteins in den Schädel-, Hirnhaut-, Knochenmark- und Gehirngewebeproben. Das besagte Protein bindet sich an sogenannte ACE2-Rezeptoren, die besonders häufig im Knochenmark und der Hirnhaut vorkommen. „Dies könnte diese Gewebe besonders anfällig für die langfristige Ansammlung des Spike-Proteins machen“, erklärt Dr. Zhouyi Rong, der Erstautor der Studie.6 Außerdem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die lang anhaltenden Symptome nach einer Corona-Infektion auf das Vorhandensein der viralen Proteine, die wiederum chronische Entzündungen hervorrufen, zurückzuführen sein könnten.
„Unsere Daten legen zudem nahe, dass persistentes Spike-Protein an den Hirngrenzen zu den langfristigen neurologischen Auswirkungen von Covid-19 und Long Covid beitragen kann. Dazu gehört eine beschleunigte Alterung des Gehirns, die bei betroffenen Personen potenziell zu einem Verlust von fünf bis zehn Jahren gesunder Gehirnfunktion führen kann“, so Ertürk.
Impfstoffe senkten die Anreicherung des Spike-Proteins
Die Wissenschaftler stießen auf eine weitere wichtige Erkenntnis: mRNA-Impfstoffe (BioNTech/Pfizer) reduzierten die Ansammlung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich. Das zeigten vor allem die Versuche an Mäusen, denn nicht geimpfte Tiere wiesen eine um 50 Prozent erhöhte Konzentration der Spike-Proteine auf.
„Diese Reduktion ist ein wichtiger Schritt“, sagt Prof. Ertürk. „Unsere Ergebnisse stammen zwar aus Mausmodellen und sind nur teilweise auf den Menschen übertragbar, weisen aber auf die Notwendigkeit zusätzlicher Therapien und Interventionen hin, um die langfristigen Belastungen durch SARS-CoV-2-Infektionen vollständig zu bewältigen.“
Einordnung der Studie
„Unsere Studie zeigt, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko langfristiger neurologischer Folgen deutlich senken und einen entscheidenden Schutz bieten. Allerdings können auch nach der Impfung Infektionen auftreten, die zu persistenten Spike-Proteinen im Körper führen“, weist Ertürk auf die Bedeutung der Studie hin. „Dies kann zu einer chronischen Gehirnentzündung und einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle und andere Hirnschäden führen, was erhebliche Auswirkungen auf die globale öffentliche Gesundheit und die Gesundheitssysteme weltweit haben könnte.“
Dennoch weisen auch diese Untersuchungen einige Einschränkungen auf. Zum einen ist bei den Versuchen mit Mäusen nicht gewährleistet, dass die Ergebnisse auch bei Menschen zutreffen. Demnach ist nicht klar, ob die Impfstoffe beim Menschen auch zu einer Reduzierung des Spike-Proteins führen.
Da die menschlichen Gewebeproben postmortal untersucht wurden, ist nicht gewährleistet, dass die auf ihnen basierenden Erkenntnisse auch auf Überlebenden übertragbar sind. Des Weiteren schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie selbst, dass die „Bewertung von menschlichem Gewebe durch die Stichprobengröße eingeschränkt“ sei und demnach größere Kohorten für weitere Forschungen benötigt würden.