6. Februar 2024, 18:15 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Viele Menschen haben Angst, später einmal an Demenz zu erkranken. Jedoch sind mittlerweile unterschiedliche Faktoren bekannt, welche diese Gedächtniskrankheit begünstigen, wie etwa Vitamin-D-Mangel oder Diabetes. Doch Demenz kann auch die Folge einer Erkrankung eines bestimmten Organs, das sich im Körper weit vom Gehirn entfernt befindet, sein. Das hat jetzt eine Studie gezeigt.
Eine Demenz setzt meist schleichend ein, weshalb diese Erkrankung zu Beginn oftmals noch unentdeckt bleibt. Zu Anfang sind häufig das Kurzzeitgedächtnis und die Merkfähigkeit betroffen, später schwinden die Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Auch eine Beeinträchtigung der Sprache, des Auffassungs- und Denkvermögens ist zu beobachten. Bei bis zu 90 Prozent der Betroffenen beruht ein derartiger Krankheitsverlauf auf einer primären, also unumkehrbaren Demenz.1 Eine sekundäre Demenz tritt als eine Folgeerscheinung einer vorangegangenen Krankheit wie etwa einer Stoffwechselerkrankung, einem Vitaminmangel oder einer Alkoholkonsumstörung auf. Forscher der Virgina Commonwealth Universität führen eine Demenz nun auch auf eine Lebererkrankung – genauer die Leberzirrhose – zurück.
Übersicht
Kennzeichen einer Leberzirrhose
Der Begriff Leberzirrhose beschreibt die zunehmende Zerstörung des Lebergewebes. Durch diese Vernarbung kommt es zu einer Störung des Stoffwechsels und Blutstau. Außerdem nimmt die Funktionstüchtigkeit des lebensnotwendigen Organs ab, mitunter die Entgiftungsfunktion. Dadurch können sich Giftstoffe im Blut ansammeln, die ins Gehirn gelangen und die Gehirnfunktion beeinträchtigen. Dabei spricht man von einer hepatischen Enzephalopathie, die sich oftmals nur schwer von einer Demenz unterscheiden lässt.
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US-Amerikanische Veteranen mit einer Demenzdiagnose als Studienteilnehmer
Mithilfe des VHA Corporate Data Warehouse machten die Wissenschaftler US-amerikanische Veteranen ausfindig, bei denen eine Demenzdiagnose zwischen den Jahren 2009 und 2019 festgestellt worden war.2 Dabei schlossen sie diejenigen aus, die innerhalb dieses Zeitraums eine Leberzirrhose-Diagnose erhielten oder fehlende bzw. abnormale Labortestwerte aufwiesen. Insgesamt 177.422 Veteranen wurden anhand der Ausschlusskriterien in die Kohortenstudie mit aufgenommen. Rund 97 Prozent der Teilnehmer waren männlich, das Durchschnittsalter lag bei etwa 78 Jahren.
Anhand des Fibrose-4-Scores (FIB-4) bewertete man, ob eine Lebererkrankung vorlag. Diese Wertung ist ein angesehener Screening-Index zur Messung der Leberfibrose. Hierbei spielt auch das Alter einer Person eine wichtige Rolle: Ein hohes Alter erhöht zugleich auch den Wert. Auch weitere Begleiterkrankungen betrachtete man genauer.
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Validierung der Daten
Zur Validierung sah man sich Patienten dieser Kohorte an, die zusätzlich im Richmond VA Medical Center behandelt worden waren. Das traf auf insgesamt 89 Personen zu, von denen man die Krankenakte noch einmal bis ins Detail prüfte.
Außerdem bildete man noch eine zweite Kohorte aus 80 Demenzpatienten, die zwischen Januar und Juni 2023 in dem eben genannten Medical Center behandelt worden und noch am Leben waren. Auch bei ihnen nutzte man den Fibrose-4-Score zur Bewertung von Lebererkrankungen bei diagnostizierter Demenz.
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Zusammenhang zwischen Demenz und Leberzirrhose
Anhand der Daten stellten die Wissenschaftler fest, dass insgesamt 30 Prozent der Demenzpatienten an einer Lebererkrankung litten. Etwa 5,3 Prozent wiesen einen stark erhöhten Fibrose-4-Score von mehr als 3,25 auf. Bei 10,3 Prozent lag dieser Wert bei mehr als 2,67, was ebenfalls auf eine Leberzirrhose hindeuten kann. Zudem fiel auf, dass verschiedene Faktoren das Risiko für Leberzirrhose erhöhten, wie z.B. höheres Alter, das männliche Geschlecht, systolische Herzinsuffizienz, virale Hepatitis und Alkoholkonsum. Außerdem beobachtete man, dass ein höherer Score mit mehr Begleiterkrankungen, wie z.B. chronische Nieren- und kardiovaskuläre Erkrankungen, einherging. Die zweite Kohorte ergab ähnliche Werte: 11,2 Prozent der Patientendaten lieferten hohe Fibrose-4-Werte von mehr als 2,67.
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Diese Ergebnisse legen nahe, dass Demenz und hepatische Enzephalopathie auf hohe Fibrose-4-Werte und dadurch begründete Lebererkrankungen zurückgeführt werden können. Ebenso bedeutet es, dass viele dieser die Leber betreffenden Krankheitsbilder bis zur Studie unentdeckt geblieben waren und die fehlende Diagnose womöglich den Gedächtnisverlust hervorgerufen hatte. So liefert die Untersuchung Argumente dafür, dass Sensibilisierungsmaßnahmen auf ärztlicher Ebene von Vorteil wären, damit ein Patient bei eintretenden kognitiven Beeinträchtigungen auf Leberzirrhose untersucht werden sollte, um dem geistigen Verfall durch die Behandlung einer Zirrhose entgegenwirken und verhindern zu können, dass die Demenz noch schlimmer werde.
„Dieser unerwartete Zusammenhang zwischen Demenz und Lebergesundheit unterstreicht, wie wichtig es ist, Patienten auf potenziell behandelbare Ursachen für den kognitiven Verfall zu untersuchen“, weist Studienautor Jasmohan Bajaj in der Pressemitteilung der Studie hin.3 „Der nächste Schritt besteht darin, dafür zu sorgen, dass Gesundheitsdienstleister, die sich um Patienten mit Zirrhose und Demenz kümmern, auf eine mögliche Überschneidung mit der hepatischen Enzephalopathie aufmerksam zu machen, die behandelbar ist.“
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Einordnung der Studie
Auch wenn die Untersuchungen deutlich machen, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebererkrankung bzw. Leberzirrhose und einer Demenz besteht, gibt es einige Lücken. Zumal ist eine Demenz rein symptomatisch sehr schwer von einer hepatischen Enzephalopathie, die in den meisten Fällen reversibel ist, zu unterscheiden und kann daher als Fehldiagnose abgegeben werden. Ebenso ist nicht klar, ob die hepatische Enzephalopathie eine Vorstufe für eine Demenz sein kann. Auch sind die Kausalitäten dieses Zusammenhangs noch nicht bekannt.
Die Studie spricht außerdem nur eine bestimmte Zielgruppe an: US-amerikanische, überwiegend männliche Veteranen. Daher ist es fraglich, inwiefern sich die Untersuchungen auch auf andere Länder sowie Berufsgruppen ablichten lassen.
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Dennoch ist es kein schlechter Ansatz, mit dieser Studie darauf aufmerksam zu machen, dass man sich die Leberwerte bei Gedächtnisverlust einmal genauer ansehen sollte. „Die routinemäßige Verwendung des FIB-4-Index zur Bewertung von Demenz könnte einer beträchtlichen Anzahl von Patienten, Familien und Ärzten helfen, indem sie eine Möglichkeit zur Behandlung und einer potenziellen Umkehrung der durch die Lebererkrankung verursachten kognitiven Beeinträchtigung bietet“, erklärt Bajaj. Allerdings muss man den Zusammenhang weiter erforschen, um Demenz auch tatsächlich anhand von eintretenden Lebererkrankungen vorzubeugen.