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20. Februar 2025, 13:22 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Über Jahrzehnte hinweg konnte man in Europa einen Anstieg der Lebenserwartung verzeichnen. Doch seit 2011 hat sich dieser Trend verlangsamt – und in einigen Ländern ist er sogar rückläufig. Eine neue Studie zeigt, dass nicht nur die Coronapandemie, sondern auch veränderte Gesundheitsrisiken und politische Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielen. Und wir selbst sind auch nicht ganz unschuldig. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke stellt Ihnen die Studienergebnisse vor.
Vor wenigen Jahren wurde die „Global Burden of Disease 2021“-Studie (dt.: globale Krankheitslast) veröffentlicht. Dabei handelt es sich um die bisher umfangreichste Langzeitstudie zur Verbreitung von Krankheiten in 160 Ländern und Regionen. Nun erschien darauf basierend kürzlich eine Analyse, welche sich auf die Daten zur Lebenserwartung im europäischen Raum zwischen 1990 und 2021 stützt. Die Ergebnisse zeigen: Während die Lebenserwartung zwischen 1990 und 2011 jährlich stieg, kam es ab 2019 zu einem Wendepunkt. Und schuld daran ist nicht nur die Coronapandemie. Welche Gründe die Wissenschaftler identifizierten und welche Länder in Europa entgegen dem Trend die Lebenserwartung steigern konnten, erfahren Sie hier.
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Übersicht
Was die Wissenschaftler herausfinden wollten
Das Ziel der Studie war, die Ursachen für die Veränderungen in der Lebenserwartung in Europa zu analysieren. Bereits seit 2011 hatte sich der bis dahin stetige Anstieg der Lebenserwartung verlangsamt – ein Phänomen, das nicht allein durch die 2020 beginnende Coronapandemie erklärt werden konnte. Die Wissenschaftler wollten die verantwortlichen Faktoren identifizieren und herausfinden, warum einige Länder den Anstieg der Lebenserwartung besser bewahren konnten als andere.1
Für die Analyse zogen die Wissenschaftler Daten aus 16 Ländern heran: aus dem Europäischen Wirtschaftsraum stammen die Daten aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Österreich. Aus dem Vereinigten Königsreich kamen Daten zu England, Nordirland, Schottland und Wales hinzu.
Die Forscher analysierten drei Zeiträume
Innerhalb von drei Zeiträumen konnten Veränderungen in der Lebenserwartung festgestellt werden:
- 1990 bis 2011: stetiger Anstieg der Lebenserwartung (jährlicher Anstieg um durchschnittlich 0,23 Jahre)
- 2011 bis 2019: verlangsamtes Wachstum (jährlicher Anstieg um durchschnittlich 0,15 Jahre)
- 2019 bis 2021: Rückgang der Lebenserwartung (jährliche Senkung um durchschnittlich 0,18 Jahre)
Für den Rückgang der Lebenserwartung war vornehmlich die Coronapandemie verantwortlich, aber nicht ausschließlich.
Die Studie beleuchtete neben der durchschnittlichen Lebenserwartung auch spezifische Todesursachen und Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, ungesunde Ernährung, hohe Cholesterinwerte und Übergewicht.
Wie ermittelten die Wissenschaftler die Lebenserwartung?
Anhand der Gesundheitsdaten aus den genannten 16 Ländern ermittelten die Wissenschaftler die Lebenserwartung anhand alters- und geschlechtsspezifischer Sterberaten. Mithilfe einer Ursache-Wirkungs-Analyse wurde bestimmt, welche Erkrankungen und Risikofaktoren die größten Auswirkungen auf die Lebenserwartung hatten. Zudem wurde untersucht, ob die Bevölkerung bestimmten Risikofaktoren im Zeitverlauf mehr oder weniger ausgesetzt war.
Um die Lebenserwartung in verschiedenen Ländern vergleichen zu können, nutzten die Forscher ein standardisiertes Verfahren. Damit konnten sie genau berechnen, welchen Einfluss einzelne Todesursachen auf die Gesamtveränderung der Lebenserwartung haben. Dabei unterschieden sie zwischen Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Atemwegsinfektionen (einschließlich Corona) und weiteren.
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Zwei Hauptfaktoren neben Corona entdeckt
Die Analyse der Daten offenbarte, dass der Hauptgrund für den verlangsamten Anstieg der Lebenserwartung zwischen 2011 und 2019 ein geringerer Rückgang der Todesfälle durch Herz-Kreislauf- und in manchen Ländern auch Krebserkrankungen war. Und diese ließen sich auf einen zweiten, vielleicht unliebsamen Faktor zurückführen: ein ungesunder Lebensstil.
Laut den Forschern gehen die besagten Todesfälle auf folgende Anzeichen eines ungesunden Lebensstils zurück:
- Rauchen
- Alkohol
- Ungesunde Ernährung
- Hoher Cholesterinspiegel
- Übergewicht
- Bluthochdruck
- Geringe körperliche Aktivität
Ein Großteil dieser Risiken hat in fast allen untersuchten Ländern nach 2011 entweder zugenommen oder sich nicht mehr verbessert, so die Studienautoren. Zwar sank bspw. der Tabakkonsum in vielen Ländern, dafür nahm die Zahl der Menschen mit Übergewicht und schlechten Ernährungsgewohnheiten zu.
Medizinischer Fortschritt kann den ungesunden Lebensstil nicht mehr ausgleichen
Während bis 2011 die Fortschritte in der Medizin die Todesfälle durch Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen noch deutlich senken konnten, konnten nach 2011 die Folgen eines ungesunden Lebensstils offenbar auch durch verbesserte Medikamente nicht mehr ausgeglichen werden. Hauptautor Nicholas Steel sagt hierzu in einer Pressemitteilung: „Bessere Cholesterin- und Blutdruckbehandlungen haben nicht ausgereicht, um die Schäden durch Übergewicht und schlechte Ernährung auszugleichen.“2
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Einige Länder trotzen dem Trend erfolgreich
Steel erklärt: „Die Lebenserwartung älterer Menschen steigt in vielen Ländern noch immer an, was zeigt, dass wir die natürliche Obergrenze der Lebenserwartung noch nicht erreicht haben.“ Denn Länder wie Norwegen, Island, Schweden, Dänemark und Belgien konnten ihre Lebenserwartung auch nach 2011 weiter steigern, was vermutlich auf eine bessere nationale Gesundheitspolitik und Präventionsmaßnahmen zurückzuführen ist.
Dass die Daten im Durchschnitt einen gegenläufigen Trend zeigen, könnte daran liegen, dass in naher Vergangenheit viele jüngere Menschen an den Folgen ihres ungesunden Lebensstils starben. Steel sieht hier jedoch auch eine potenzielle Stellschraube: „Die Lebenserwartung spiegelt vor allem die Sterblichkeit in jüngeren Jahren wider, wo wir viel Spielraum haben, um schädliche Risiken zu reduzieren und frühe Todesfälle zu verhindern.“ Soll heißen: Auch in jungen Jahren sollte ein gesunder Lebensstil geführt werden.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Erkenntnisse sind besonders relevant für die Zukunft der europäischen Gesundheitspolitik. Eine Schlüsselrolle spielen Präventionsmaßnahmen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, etwa durch gesündere Ernährung, Bewegungsförderung und bessere medizinische Versorgung. Besonders wichtig ist es, junge Menschen zu einem gesünderen Lebensstil zu motivieren, da viele vermeidbare Todesfälle bereits in jüngeren Jahren auftreten.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie bietet eine umfassende Analyse der Lebenserwartung in Europa und liefert wertvolle Einblicke in die zugrunde liegenden Ursachen der Veränderungen. Als Stärke der Studie ist die Nutzung der „Global Burden of Disease“-Daten zu betonen, die einen internationalen Vergleich ermöglichen.
Allerdings gibt es – wie in jeder Studie – einige Einschränkungen, auf die wir jetzt einen Blick werfen:
- Datenqualität: Unterschiede in der Erfassung von Todesursachen und Risikofaktoren zwischen den Ländern können die Ergebnisse beeinflussen
- Langfristige Effekte: Die langfristigen Folgen der Coronapandemie auf die Lebenserwartung sind bislang nicht vollständig absehbar
- Indirekte Einflüsse: Faktoren wie wirtschaftliche Ungleichheit, Bildung und Umweltbedingungen spielen eine Rolle, wurden hier aber nicht im Detail untersucht
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Trotz immer mehr Hundertjähriger Laut Studie hat Menschheit die Obergrenze der Lebenserwartung erreicht
Fazit
Die Lebenserwartung in Europa wächst seit 2011 langsamer – und in einigen Ländern ist sie sogar gesunken. Hauptursachen sind Herz-Kreislauf- sowie Krebserkrankungen, gepaart mit einem ungesunden Lebensstil. Länder mit einer starken Gesundheitspolitik konnten ihre Fortschritte in der Lebenserwartung hingegen besser bewahren.
Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur individuelle Entscheidungen, sondern auch staatliche Maßnahmen eine zentrale Rolle für die Gesundheit der Bevölkerung spielen. Investitionen in Prävention, eine gesündere Ernährung und eine aktive Lebensweise könnten die Lebenserwartung in vielen Ländern wieder steigern.