22. September 2023, 13:43 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Corona bereitet vielen Menschen keine Sorgen mehr. Der Grund: Impfungen haben dafür gesorgt, dass die Symptome häufig nur mit einer schweren Erkältung oder einer Grippe vergleichbar sind. Doch sollte man nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die mit Spätfolgen einer Covid-Erkrankung zu kämpfen haben. Eine neue Studie gibt Betroffenen Hoffnung. FITBOOK-Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann erklärt, was dahintersteckt.
Häufiges Unwohlsein, Fatigue-Syndrom (Erschöpfung), Schmerzen: Long Covid kann mit diversen Symptomen einhergehen und das Leben von Betroffenen stark einschränken (FITBOOK berichtete). Dank Impfschutz und Immunisierung sind wir heute besser vor Corona und somit hoffentlich auch vor den Langzeitfolgen einer Erkrankung geschützt. Aber laut aktuellen Erkenntnissen leiden weltweit etwa 65 Millionen Menschen an Long Covid.1 Wissenschaftlern ist deshalb daran gelegen, effektive Behandlungsmöglichkeiten zu identifizieren. Jetzt lieferten Forscher aus Serbien Hinweise dafür, dass ein Präparat, das viele Sportler für den Muskelaufbau verwenden, bei Long Covid helfen könnte – nämlich Kreatin.
Übersicht
Potenzial von Kreatin bei Fatigue-Syndrom
Auch wenn das Fatigue-Syndrom vor allem durch Corona an Bekanntheit gewonnen hat – in der Medizin war es auch vorher schon als mögliche Spätfolge von viralen Erkrankungen ein Begriff. Die chronische Erschöpfung, die das Syndrom ausmacht, kann zu hohem Leidensdruck und starken Einschränkungen im Alltag von Patienten führen. Im Rahmen von Long Covid ist das Fatigue-Syndrom in den letzten Jahren in den allgemeinen Fokus gerückt, was auch zu einem Anstieg an Studien zu dem Thema geführt hat. Eine solche Studie von Sergej M. Ostojic von der Universität von Novi Sad (Serbien) konnte zeigen, dass das Syndrom offenbar mit Störungen des Kreatin-Metabolismus einhergehen kann. Daher vermutete der Forscher, dass der Einsatz von Kreatin bei einer Behandlung des Fatigue-Syndroms und darüber hinaus von Long Covid sinnvoll sein könnte.2
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Ablauf der Studie
Genau hier wollte der Wissenschaftler Ostojic zusammen mit seinem Forschungsteam mehr Gewissheit liefern und untersuchte deshalb die Wirkung einer Kreatin-Supplementierung auf Long-Covid-Patienten.
Für ihre Studie rekrutierten die Forscher Patienten zwischen 18 und 65 Jahren, deren positiver Covid-Test (Antigentest oder PCR) nicht länger als drei Monate her sein durfte.3 Alle Studienteilnehmer litten unter mäßiger bis schwerer Müdigkeit (Fatigue-Syndrom) und wiesen mindestens ein weiteres der folgenden Long-Covid-Symptome auf:
- Verlust des Geruchssinns (Anosmie)
- Störung des Geschmackssinns (Ageusie)
- Atembeschwerden
- Lungenschmerzen
- Körperschmerzen
- Kopfschmerzen
- Konzentrationsstörungen
Ausschlusskriterien waren dagegen Erkrankungen, die den Herz-Kreislauf und die Lunge betreffen und bereits vor einer Coronainfektion bestanden. Außerdem achteten die Wissenschaftler darauf, dass die Probanden in den vier Wochen vor Beginn der Studie keine Nahrungsergänzungsmittel eingenommen hatten.
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Experiment mit Kreatin und Placebo
Insgesamt nahmen zwölf Long-Covid-Betroffene an der Studie teil und wurden per Zufall in eine Studiengruppe (Intervention mit Kreatin-Supplement) und eine Kontrollgruppe (Einnahme von Placebo) aufgeteilt.
Die Kreatin-Gruppe erhielt über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich vier Gramm Kreatinmonohydrat, während die andere Gruppe unwissentlich ein Placebo einnahm. Die Probanden wurden gebeten, während des Studienzeitraums keine anderen Nahrungsergänzungsmittel zu konsumieren und ansonsten ihre übliche Ernährung beizubehalten. Bei Studienbeginn (vor Start der Intervention), sowie drei Monate und sechs Monate nach Beginn der Kreatin- bzw. Placebo-Einnahme führten die Forscher Untersuchungen und Messungen durch.
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Hintergrund: Muskelaufbau durch Kreatin-Supplementierung
In einem FITBOOK-Interview bestätigte Diplom-Ökotrophologe Prof. Nicolai Worm, dass die Supplementierung von Kreatin eine Leistungssteigerung erziele. Dies sei wissenschaftlich dokumentiert. „Zudem scheint es auch unabhängig davon die Bildung vermehrter Muskelmasse durch Krafttraining langfristig zu unterstützen“, so der Experte.
Die Wirkung von Kreatin bei Long Covid
Bei ihren Untersuchungen und Tests fokussierten die Wissenschaftler verschiedene Parameter, um die Wirkung von Kreatin bei Long Covid ermitteln zu können.
- Ausprägung der Müdigkeit: auf einer Skala von allgemeine Müdigkeit, über körperliche Müdigkeit, verminderte Motivation und verminderte Aktivität bis hin zu geistiger Müdigkeit (Einschätzung anhand von Selbstberichten der Probanden)
- Weitere Long-Covid-Symptome: Vorhandensein und Ausprägung (Selbstauskünfte der Probanden)
- Belastungstoleranz: Gehzeit bis zur Erschöpfung (Laufband-Test)
- Kreatin-Gehalt im Gewebe: Messungen in verschiedenen Regionen der Skelettmuskulatur und des Gehirns
- Mögliche Nebenwirkungen: Häufigkeit und Stärke von Magenverstimmung, Verstopfung, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen (ermittelt via Fragebogen)
Ergebnisse der Studienauswertung
Die Analyse ergab, dass sich durch die Supplementierung offenbar die Verstoffwechselung von Kreatin verbesserte – nachweisbar im Gewebe der Probanden. So maßen die Forscher erhöhte Kreatin-Werte in der Skelettmuskulatur, genauer im Oberschenkelmuskel M. vastus medialis. Auch im Gehirn zeigte sich – im Vergleich zu den Messungen vor Beginn der Supplementierung und im Vergleich zur Placebo-Gruppe – ein Effekt der Kreatin-Einnahme. Die Teilnehmer der Kreatin-Gruppe hatten höhere Kreatin-Werte in der weißen Substanz.
Auch bezüglich der erlebten Long-Covid-Symptome zeigten sich in der Kreatin-Gruppe Veränderungen. Die Supplementierung führte nach drei Monaten zu einer signifikanten Verringerung der allgemeinen Müdigkeit im Vergleich zu den Ausgangswerten. Bei der Untersuchung nach sechs Monaten zeigte sich auch eine Verminderung von mit dem Fatigue-Syndrom einhergehenden Beschwerden – darunter Altersschwäche, Atembeschwerden, Körperschmerzen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten.
Zusammenfassend kamen die Forscher daher zu dem Schluss, dass die sechsmonatige Einnahme von Kreatin die Bioenergetik des Gewebes zu verbessern und die klinischen Merkmale des Long-Covid-Müdigkeitssyndroms abzuschwächen scheint.
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Einordnung der Studienergebnisse
Die aktuelle Studie aus Serbien liefert spannende Hinweise und macht Long-Covid-Betroffenen Hoffnung. Womöglich kann ihnen die einfache Maßnahme einer Kreatin-Supplementierung Linderung verschaffen.
Da die Ergebnisse sich aber nur eine auf kleine Probandengruppe bezogen haben, ist weitere Forschung nötig, um sie zu bestätigen und zu vertiefen. Zu diesem Fazit kommt auch Studienleiter Sergej M. Ostojic in einer Pressemitteilung: „Die Befürwortung von Kreatin könnte bei der Bekämpfung dieser weitverbreiteten Erkrankung von großer Bedeutung sein, aber es sind weitere Studien erforderlich, um unsere Ergebnisse in verschiedenen Post-Covid-19-Kohorten zu bestätigen.“4
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Quellen
- 1. Davis, H.E., McCorkell, L., Vogel, J.M. et al. (2023). Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nature Reviews Microbiology.
- 2. Ostojic, S.M. (2021). Diagnostic and Pharmacological Potency of Creatine in Post-Viral Fatigue Syndrome. Nutrients.
- 3. Ostojic, S.M., Slankamenac, J., Ranisavljev, M. (2023). Effects of six-month creatine supplementation on patient- and clinician-reported outcomes, and tissue creatine levels in patients with post-COVID-19 fatigue syndrome. Food Science & Nutrition.
- 4. Wiley. Can creatine supplements help people suffering from post-COVID-19 fatigue? EurekAlert! (aufgerufen am 22.09.2023)