14. Mai 2024, 15:06 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Alzheimer ist eine nicht heilbare degenerative Nervenerkrankung und die häufigste Demenzform. Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sind charakteristisch für die meist erst später im Leben auftretende Erkrankung. Eine spanische Studie zeigt nun: Bestimmte Ereignisse in der Kindheit können die Entstehung von Alzheimer begünstigen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 55 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt, wobei 60 bis 70 Prozent der Fälle auf Alzheimer zurückzuführen sind.1 In der Regel häuft sich die Krankheit in der Altersgruppe der über 65-Jährigen, in sehr seltenen Fällen können jedoch bereits Kinder betroffen sein (FITBOOK berichtete). Und offenbar können bereits bestimmte Ereignisse in der Kindheit das Risiko erhöhen, im späteren Leben an Alzheimer zu erkranken, wie eine Studie zeigt.
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Übersicht
Wissenschaftler rekrutierten 1290 Probanden
Die spanischen Querschnittkohorte schließt 1290 Probanden ein, welche genetisch für eine Alzheimer-Erkrankung prädisponiert waren, jedoch zum Untersuchungszeitpunkt kognitiv nicht beeinträchtigt waren.2 Sie sind eine Sub-Gruppe der größer angelegten Alfa-Studie, welche die Früherkennungsanzeichen von Alzheimer identifizieren möchte, um daraus Präventionsstrategien ableiten zu können.3 Zum Erhebungszeitpunkt waren die Teilnehmenden zwischen 48 und 77 Jahren alt.
Die Autoren verfolgten mit ihrer Forschung Hinweise zur Rolle von chronischem Stress bei der Entstehung von Alzheimer. Sie wollten wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen stressigen Lebensereignissen und Alzheimer-typischen Veränderungen im Körper gibt. Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen wurde im Journal „Annals of Neurology“ veröffentlicht.
Was wurde untersucht?
Das Forschungsteam betrachte 18 vordefinierte Lebensereignisse und wann sie im Leben der Teilnehmenden auftraten. Dazu zählten unter anderem:
- Tod von Mutter oder Vater
- Tod eines nahestehenden Menschen
- Scheidung der Eltern
- Abgebrochene Schwangerschaft
- Schwere Krankheit
- Erwerbslosigkeit
- Finanzieller Verlust
Weiterhin entnahmen die Studienautoren einem Teil der Probanden (393 Personen) Proben ihrer Rückenmarksflüssigkeit, um diese auf abnorme Proteine – Amyloid und Tau – zu untersuchen. Diese Proteine können im Gehirn verklumpen und so Alzheimer auslösen.
Außerdem waren Anzeichen einer Hirnentzündung, welche vermutlich zur Krankheitsentwicklung beiträgt, sowie das Volumen der grauen Substanz im Gehirn Teil der Untersuchungen. Die graue Substanz ist bedeutsam für das Denken und Verarbeiten von Informationen und nimmt bei Menschen mit Alzheimer ab.
Ereignisse in der Kindheit prägen die Hirnentwicklung
Das Ergebnis: Stressige Lebensereignisse in der Kindheit und im mittleren Lebensalter – nicht aber im höheren Alter – waren mit Biomarkern verbunden, die auf Alzheimer hinweisen (abnormes Amyloid und Tau).
Die Autoren schlussfolgern aus dem Vorhandensein der Biomarker, dass die Kindheit und die Lebensmitte Phasen sind, in denen die Auswirkungen von Stress in Bezug auf die Entwicklung des Gehirns besonders stark sind. Die Lebensmitte ist die Zeit, in der sich die Alzheimer-Biomarker im Gehirn ansammeln. Die Wissenschaftler mutmaßen, dass dies der Grund sein könnte, warum dieser Lebensabschnitt ebenfalls eine gefährdete Zeit ist.
Frauen und psychiatrisch Vorerkrankte wiesen eine geringere graue Substanz auf
Bei der Auswertung ihrer Daten unterteilten die Wissenschaftler die Teilnehmer abermals nach Geschlechtern und psychiatrischen Störungen im Laufe des Lebens auf, um spezifische Unterschiede aufzudecken.
Insgesamt betrachtet waren die Lebensereignisse nicht mit einer Verringerung der grauen Substanz der Probanden verbunden. Bei Teilnehmern mit psychischen Störungen in der Vorgeschichte waren stressige Lebensereignisse auch mit Alzheimer-Biomarkern, Gehirnentzündungen und verminderter grauer Substanz verbunden. Mögliche Ursachen hierfür sind, dass solche Personen anfälliger für die Auswirkungen kritischer Lebensereignisse sind oder die Störung selbst das Erleben eines Stressereignisses auslösen kann. Was diese Hypothese stützt, ist, dass diese Probanden auch über mehr Stressereignisse berichteten als Probanden ohne psychische Störungen.
Auch zwischen den Geschlechtern fanden sich Unterschiede. Bei Frauen waren stressige Lebensereignisse mit einer Verringerung der grauen Substanz verbunden, bei Männern jedoch nicht. Im Gegensatz dazu waren bei Männern stressige Lebensereignisse mit Tau-Biomarkern verbunden, bei Frauen aber nicht. Die Autoren erklären diese Unterschiede damit, dass Frauen und Männer sowohl psychologisch als auch biologisch verschieden auf Stress reagieren.
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Einschränkungen der Studie
Die Forscher mussten sich darauf verlassen, dass die Probanden sich an stressige Ereignisse in ihrer Vergangenheit erinnerten und wann diese passierten. Die Bewertung, wie belastend ein Ereignis für den einzelnen war, erfolgte zudem subjektiv und die Liste der 18 Ereignisse könnte unvollständig sein. Wichtig zu betonen ist auch, dass Marker untersucht wurden, die auf die Entwicklung der Krankheit hinweisen. Wer nach Abschluss der Studie wirklich an Alzheimer erkrankte, ist nicht bekannt.
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Ausblick
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es bestimmte Zeiträume im Leben gibt, die die Auswirkungen stressiger Lebensereignisse auf die Entwicklung des Gehirns im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit verstärken. Zumindest bei Personen mit einem höheren Krankheitsrisiko. Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, stressige Lebensereignisse im Kontext von psychischen Erkrankungen und des Geschlechts zu untersuchen. Die Studienautoren betonen weiterhin, dass psychosoziale Interventionen eine Strategie zur Verbesserung der Stressresilienz und Stressbewältigungsstrategien darstellen können. Insbesondere gilt das für Menschen, die sehr kritischen Lebensereignissen ausgesetzt waren (sind) und bei denen das Risiko eines kognitiven Verfalls besteht. In Zukunft gilt es Risikoprofile von Personen zu identifizieren und zu verfeinern, die von solchen Interventionen am meisten profitieren würden.