19. August 2024, 19:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Millionen Menschen konsumieren zumindest gelegentlich Cannabis, besonders jüngere Menschen greifen regelmäßig zur weltweit beliebtesten Droge. Es hält sich zudem hartnäckig die Annahme, Marihuana zu rauchen, sei weniger gesundheitsschädlich als Tabakrauchen. Dem widerspricht eine aktuelle Studie, die erstmals einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und verschiedenen Krebsarten aufzeigen konnte. FITBOOK-Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann erklärt die Forschungserkenntnisse.
Laut eines Berichts des Statista Research Department von 2024 handelt es sich bei Cannabis um die weltweit am meisten konsumierte Droge. Jeder dritte Erwachsene in Deutschland hat laut einer Datenerhebung mindestens einmal in seinem Leben zum Joint gegriffen – bei jungen Erwachsenen sind es über 40 Prozent. Der Cannabiskonsum steigt seit Jahren kontinuierlich an, unter Erwachsenen und besonders unter Jugendlichen. Dies war der Stand vor der Einführung des Cannabisgesetzes, das im April dieses Jahres in Deutschland in Kraft trat.1,2 Angesichts der Beliebtheit von Cannabis forschen Wissenschaftler weltweit emsig zum Thema „Wirkung der (überwiegend inhalierten) Droge auf die Gesundheit“. Jetzt fanden US-Forscher heraus, dass Kiffen das Risiko für mindestens sechs Krebsarten erhöhen kann.
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Übersicht
Auswertung nationaler Daten zu Cannabiskonsum
Krebsarten des Kopf- und Halsbereichs gehören zu den sechsthäufigsten Krebsarten weltweit.3 Aus diesem Grund wollten die US-Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie herausfinden, welche Rolle Cannabiskonsum bzw. Kiffen (das Inhalieren von Marihuana) bei der Entstehung dieser Krebsarten spielen könnte.
Die Forscher fokussierten sich bei ihrer Analyse auf die Auswertung von Gesundheitsdaten aus „TriNetX“. Dabei handelt es sich um eine US-Bundesdatenbank, in der Organisationen aus der Gesundheitsbranche sowie Firmen aus der Forschung Daten sammeln.4 Die Wissenschaftler der University of California erhielten Gesundheitsdaten von rund 90 Millionen Menschen, die von 64 verschiedenen Organisationen gesammelt und der Datenbank zur Verfügung gestellt worden waren.
Anhand dieser Daten teilten die Forscher die Probanden in zwei Kohorten ein:
Kohorte 1: Gruppe mit Cannabis-bezogener Störung
Diese Kohorte umfasste Personen, die eine mit Cannabinoiden in Verbindung stehende psychische Störung und Verhaltensstörungen (bekannt als ICD-10-CM: F12), hatten. Diese können auftreten, wenn jemand viel Cannabis konsumiert und eine Abhängigkeit entwickelt hat.5 Die Personen dieser Kohorte hatten einen ambulanten Krankenhausaufenthalt hinter sich, jedoch keine Vorgeschichte mit Kopf- oder Halskrebs.
Das traf auf 116.076 Personen mit einem Durchschnittsalter von 46,4 Jahren zu, die überwiegend männlich (52,9 Prozent) und überwiegend weiß (60 Prozent) waren.
Kohorte 2: Gruppe ohne Cannabis-bezogene Störung
Zu dieser Gruppe zählten ebenfalls Menschen, die einen ambulanten Krankenhausaufenthalt hinter sich hatten. Dieser stand aber nicht im Zusammenhang mit einer durch Cannabinoide ausgelösten Störung. Die besagten Personen konsumierten also wahrscheinlich wenig oder gar kein Cannabis und hatten zudem keine Vorgeschichte mit Krebsarten, die zu Kopf- oder Halskrebs zählen. Dies traf auf 3.985.286 Personen mit einem Durchschnittsalter von 60,8 Jahren zu, die überwiegend weiblich (54,5 Prozent) und überwiegend weiß (74,9 Prozent) waren
Alle Krankenhausaufenthalte hatten zwischen 2004 und 2024 stattgefunden. Die Forscher berücksichtigten bei ihrer Analyse auch das Alter der Personen hinter den Daten – und unterschieden zwischen unter und über 60-Jährigen. Sie wendeten die Matching-Methode an, um vergleichbare Daten aus zwei Kohorten zu erhalten, mit dem Ergebnis, dass beide Gruppen, die in der Studie Berücksichtigung fanden, jeweils 115.865 Personen umfassten.6 Die Analyse der Wissenschaftler wurde am 19. April 2024 beendet.
Von primärem Interesse für die Analyse war das Auftreten von Hals- und Kopfkrebs. Derartige Diagnosen betrachtete man mit Blick auf die spezifische Krebsart, wie:
- Rachenkrebs
- Nasenrachenkrebs
- Luftröhrenkrebs
- Mundhöhlenkrebs
- Kehlkopfkrebs
- Speicheldrüsenkrebs
Hohes Maß an Kiffen steht offenbar in Verbindung mit mehreren Krebsarten
Bei der Analyse ergab sich, dass die Menschen aus der ersten Kohorte, die also stärkere Cannabis-Konsumenten waren, ein generell höheres Risiko für Krebsarten des Hals- und Kopfbereiches hatten. Dies traf in leicht, aber nicht signifikant, unterschiedlichem Maße bei allen zuvor erwähnten sechs Krebsarten zu.
Ein noch größerer Zusammenhang zwischen Marihuana und Krebs ergab sich, als die Wissenschaftlicher nur die Krebsfälle betrachteten, die ein Jahr oder später nach der Diagnose der mit Cannabis verbundenen Störung auftraten.
Eine Unterteilung der Analyseergebnisse nach älteren (über 60 Jahre) und jüngeren Personen (unter 60 Jahre) zeigte keine wesentlichen Unterschiede. Dies deutet darauf hin, dass das mit Kiffen verbundene Krebsrisiko für Menschen jeglichen Alters gleichermaßen zu gelten scheint.7
Laut Studie Täglicher Cannabiskonsum kann das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall drastisch erhöhen
Studie aus Oregon Der fatale Effekt von täglichem Kiffen auf die Hoden
Einordnung Cannabis oder Alkohol – was ist schädlicher für die Gesundheit?
Einordnung der Studie
Die Studie liefert spannende und beunruhigende Hinweise zu den möglichen Gesundheitsgefahren von Cannabiskonsum. Zwar scheint die Droge im Gegensatz zum Tabakrauchen nach bisherigen Erkenntnissen nicht die Lunge anzugreifen oder gar Lungenkrebs auszulösen. Doch verdichten sich die Anzeichen, dass Cannabis-Konsumenten stattdessen das Risiko für Krebs im Hals- und Kopfbereich in Kauf nehmen müssen.
Allerdings weist die Analyse der US-Forscher auch Schwächen auf, trotz eines umfangreichen Datensatzes. Da die Patienteninformationen aber aus unterschiedlichen Quellen in die Datenbank „TriNetX“ geflossen waren, enthielten sie sehr unterschiedliche Informationen, sodass nicht immer eine direkte Vergleichbarkeit gewährleistet war. Außerdem fehlten bei den Personen der zweiten Kohorte zumeist genauere Informationen bezüglich ihres Cannabiskonsums. Sie hatten zwar keine Störung entwickelt, was aber nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass sie nie zum Joint griffen. Auch das Treffen von Aussagen über langfristige Effekte von Cannabis war in dieser Studie nicht möglich, weil nur wenige Personen, deren Daten vorlagen, fünf Jahre oder länger begleitet worden waren.
Ein ebenfalls wichtiger Punkt: Die gewonnenen Erkenntnisse beziehen sich nur auf Korrelationen, nicht auf kausale Zusammenhänge. Um Letztere genauer verstehen zu können, bedarf es weiterer Forschung.