20. Mai 2020, 13:24 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Stammzellentherapien kennt man vielleicht aus der Krebsbehandlung. Zunehmend wird die Methode aber auch in der regenerativen Medizin angewandt, etwa bei Sportverletzungen und Verschleißerscheinungen. FITBOOK erklärt, was man darüber wissen sollte.
Mit Unterstützung der ästhetischen Medizin setzt Superstar Madonna (61) bekanntlich einiges daran, ihr Alter optisch vergessen zu machen. Nun soll ihre körperliche Gesundheit von den Möglichkeiten der Biomedizin profitieren. Genauer gesagt: von Stammzellen.
Neues Knorpelgewebe dank Stammzellen
Die Sängerin soll seit inzwischen Monaten unter schmerzhaftem Knorpelschwund aufgrund einer Knieverletzung leiden. Die Behandlung habe sie aufgrund der Einschränkungen durch Corona immer weiter aufgeschoben. Jetzt endlich gehe es auf die #RoadOfRecovery (= Weg der Genesung), und zwar mithilfe von Stammzellen, wie sie auf Instagram verriet.
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Was sind Stammzellen?
Bei Stammzellen handelt es sich um Zellen im menschlichen oder tierischen Körper (und übrigens auch in Pflanzen), aus denen sich verschiedene Typen von Zellen und Gewebe entwickeln können. Je nach Art der Stammzelle sind sie gänzlich unbeschrieben – das betrifft insbesondere embryonale Stammzellen, die quasi universell einsetzbar sind –, oder sie haben nur eine geringfügige Differenzierung. Das bedeutet, dass Stammzellen verschiedenste Funktionen im Körper übernehmen können.
In der Theorie lassen sich also Stammzellen transplantieren, damit an Stelle von krankem oder zerstörtem Gewebe neues entsteht – und tatsächlich auch in der Praxis. Stammzellentherapien sind deshalb Bestandteil der Behandlung von beispielsweise verschiedenen Krebserkrankungen (etwa Leukämie). Zudem ist es in den USA seit einigen Jahren erlaubt, an Freiwilligen mit Stammzellen zu arbeiten, um versuchsweise Querschnittslähmungen zu therapieren.
Ethisch-moralische Bedenken
„Am erfolgsversprechendsten ist der Einsatz embryonaler Stammzellen. Sie sind vielseitig einsetzbar (Fachbegriff: pluripotent) und verfügen zudem über eine hohe Zellteilungsrate, was bedeutet, dass sie sich sehr schnell vermehren.
Allerdings gibt es hinsichtlich der Arbeit und Forschung mit embryonalen Stammzellen u.a. ethisch-moralische Bedenken. Sie werden für gewöhnlichem aus Zellen gezüchtet, die im Zellinneren eines Embryos im sehr frühen Stadium gewonnen werden. Entsprechender Embryo würde dafür zerstört.
Gleichwohl gilt der Einsatz embryonaler Stammzellen als riskant. Ihre hohe Zellteilungsrate kann nicht nur die Vermehrung guter, sondern auch das Wachstum bösartiger Zellen begünstigen. Es soll daher die Gefahr auf einen Tumor bestehen.“–
Stammzelleneinsatz in der Sportmedizin
In der Praxis gängig ist die Arbeit mit adulten (übersetzt: erwachsenen) Stammzellen. Sie befinden sich im erwachsenen Körper in zahlreichen Organsystemen oder Geweben und können bei derselben Person, der sie z.B. aus dem Knochenmark oder Bauchfett entnommen wurden, in bspw. ein Gelenk eingesetzt werden.
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UFC-Kämpfer und Stammzellen
Stammzellentherapien gewinnen auch im regenerativen und sportmedizinischen Bereich mehr und mehr an Bedeutung. Wer mit dem US-amerikanischen Sportgeschehen vertraut ist, könnte wissen, dass vor allem in der „Ultimate Fighting Championship (UFC)“-Szene Stammzellenbehandlungen recht üblich sind.
Comedian und Unternehmer Joe Rogan, der u.a. als Sportkommentator von Mixed-Martial-Arts-Kämpfen tätig ist und die Athleten auch jenseits des Rings interviewt, hält große Stücke auf die medizinische Innovation. „Die können verrückte Sachen leisten da in Panama“, versicherte er kürzlich, und bezieht sich dabei auf das Stemcell Institute in Panama City. Er habe seine Mitte-70-jährige Mutter mit einer Knieverletzung dorthin begleitet. Die Klink wird von Dr. Neil Riordan – ein (laut Website) „Pionier und Experte“ auf dem Gebiet – geleitet. Rogans Gesprächspartner, der Kampfkünstler Kamaru Usman, habe sich selbst in Dallas mit Stammzellen behandeln lassen.
Man braucht aber gar nicht so weit zu gucken. So soll sich auch der der spanische Tennisspieler Rafael Nadal aufgrund seiner anhaltenden Rückenprobleme mit Stammzellen haben behandeln lassen. Ebenso FC-Bayern-Torhüter Manuel Neuer.
Stammzellentherapien in Deutschland
In Deutschland sind Stammzellenbehandlungen für den universitären Bereich oder mit einer entsprechenden Sondergenehmigung erlaubt. FITBOOK hat mit dem dort tätigen Orthopäde und Unfallchirurg Dr. med. Mathias Schettle gesprochen. Er ist u.a. Spezialist für bioregenerative Therapien – und sagt uns direkt, dass es sich bei der Stammzellentherapie um ein sehr experimentelles Verfahren handelt, das nicht sehr oft angewendet wird. Zumindest bisher noch nicht.
Wie läuft eine Stammzellentherapie ab?
Laut Dr. Schettle gibt es verschiedene Methoden der Stammzellentransplantation. So werde die Maßnahme manchmal mit einer Operation verbunden. Bei Marianowicz Medizin werden die sogenannten „adulten mesenchymalen“ Stammzellen in die zu behandelnde Stelle gespritzt – unter Zugabe von Eigenblut. Der Grund: „Das Blutplasma enthält Wachstumsfaktoren und entzündungshemmende Stoffe, wodurch die Regeneration gefördert werden können soll“, so der Experte.
Patienten, die sich aufgrund von arthrotischen Beschwerden für eine Stammzellentherapie (oder „-kur“) interessieren, werden zunächst gründlich untersucht. Wie Dr. Schettle berichtet, stehen die Erfolgschancen einer Behandlung besonders gut, wenn die Arthrose noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Sollte der Patient behandeln werden, werden ihm 30 bis 40 Milliliter Bauchfett abgesaugt. Die Masse wird zentrifugiert und dadurch das Fett von den Stammzellen getrennt.
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Wie effektiv ist eine Stammzellentherapie?
Das lasse sich so einfach nicht sagen. Zwar ist Dr. Schettle vom Potential der Behandlung, die bei vielen seiner Patienten erfolgreich gewesen sein soll, überzeugt. Es gebe bisher aber keine aussagekräftigen Studien am Menschen.
Jedenfalls könne man nicht davon ausgehen, dass drei Wochen nach der Spritze etwaiger Knorpel im Gelenk nachgewachsen ist. Ob der Optimalfall eingetreten ist, sich also tatsächlich Knorpel-, Muskel- oder Sehengewebe hat wiederherstellen lassen, werde in der Regel erst nach etwa sechs Monaten kontrolliert. Darum gehe es in vielen Fällen aber nicht. Was der Patient letztendlich wahrnimmt, sei, ob der Schmerz nachgelassen hat. Und dafür verantwortlich sei vor allem das entzündungshemmende Potential der Behandlung.
Stammzellen und Tumorgefahr
„Keine Studie legt dar, dass beim Einsatz adulter mesenchymaler Stammzellen ein Entartungsrisiko besteht“, weiß Dr. Schettle. Natürlich werde von einer Therapie mit Stammzellen abgesehen, wenn eine akute Krebserkrankung besteht. Zudem kläre man vor Aufnahme der Behandlung ab, ob es in den vergangenen fünf Jahren eine gegeben habe. Wenn nicht, bestehe der Einschätzung des Arztes nach keine Gefahr auf eine Tumorentwicklung.
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Behandlung noch in den Kinderschuhen
Dr. Schettle geht davon aus, „dass Stammzellentherapien die Behandlungsmöglichkeiten von Sportverletzungen in den kommenden fünf bis zehn Jahre revolutionieren werden“. Besonderes Potential sehe er bei Teilrissen von Sehnen und Meniskusverletzungen. Bisher habe das Marianowicz Zentrum nur für Arthrose (übermäßigen Gelenkverschleiß) die Zulassung für Stammzellentherapien.