8. April 2020, 4:34 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bisher wurde Covid-19 als Lungenerkrankung beschrieben. Doch es mehren sich die Hinweise, dass auch das Herz von Coronaviren angegriffen werden kann. Ob nun direkt oder als Komplikation anderer Entzündungsprozesse im Körper, muss noch erforscht werden. Die Messung eines bestimmten Blutwerts bei einer Corona-Infektion könnte das Risiko für die Herzgesundheit voraussagen. FITBOOK wollte von dem Internisten Dr. med. Matthias Riedl wissen, was er von einer möglichen Verbindung zwischen Coronaviren und Herzschädigungen hält.
Bisher hat man das Coronavirus Sars-CoV-2 vor allem als Auslöser für bisweilen schwere Atemwegs- und Lungenerkrankungen beschrieben. Allen voran die durch Covid-19 ausgelöste Lungenentzündung führte beispielsweise in Italien mancherorts dazu, dass mehr Menschen Beatmungsgeräte gebraucht haben als zur Verfügung standen. Jetzt werden Stimmen lauter, die darauf hinweisen, dass Corona nicht nur die Lungenfunktion einschränkt, sondern auch – mehr oder weniger direkt – das Herz schädigen könnte. Eine solche jetzt erst aufkeimende Erkenntnis sollte nicht überraschen, müssen Forscher das Virus doch erst schrittweise kennenlernen.
So kam in gleich mehreren (kleinen) Studien zutage, dass bei Menschen, die einen schweren Corona-Verlauf erleiden mussten, ein bestimmter Biomarker (Troponin) im Blut erhöht war, der von Herzmuskelzellen freigesetzt wird, wenn diese absterben.
Besorgniserregender Fall aus Italien
Der italienische Wissenschaftler Riccardo Inciardi berichtet in der auf Herzmedizin spezialisierten Fachzeitschrift „JAMA Cardiology“ von dem Fall einer 53-jährigen Frau, die in Folge von Corona schwer am Herzen erkrankt ist. Sie wurde eine Woche nach Corona-typischen Symptomen (trockener Husten und Fieber) fieberfrei in einer Klinik vorstellig, weil sie unter extremer Schwäche und Kreislaufproblemen litt. Nach zahlreichen Untersuchungen wurde eine akute Myokarditis diagnostiziert. Heißt: Bei der Betroffenen (ohne Vorerkrankungen am Herzen) hatte sich der Herzmuskel entzündet.
Eine unbehandelte Myokarditis verheilt in vielen Fällen folgenlos, kann aber auch zu Herzsinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen bis hin zum Tod führen. Inciardi wird in „JAMA“ wie folgt zitiert: „Dieser Fall zeigt, dass Covid-19, wenn Komplikationen auftreten, auch das Herz betreffen kann – selbst dann, wenn Symptome und Anzeichen einer atypischen Lungenentzündung fehlen.“
Die gute Nachricht: Da die Herzmuskelentzündung recht früh entdeckt wurde, scheint die Erkrankung für die Betroffene ein glimpfliches Ende genommen zu haben. Denn zum Zeitpunkt, als Inciardi und seine Kollegen die Studie eingereicht haben, befand sich die Patientin schon wieder auf dem Weg der Besserung.
Auch interessant: Italiens dramatische Fehler im Kampf gegen Corona
Zwei Studien aus China: Corona und Herzschädigungen
Ebenfalls aus China kommen Daten, die in eine ähnliche Richtung zeigen: dass Covid-19 nicht nur auf die Lunge, sondern auch auf das Herz der Betroffenen gehen kann. Wissenschaftler der Universität Wuhan haben beispielsweise beobachtet, dass von 416 Corona-Patienten rund 20 Prozent Schäden am Herzmuskel aufwiesen. Wer zu den anderen 82 Betroffenen zählte, hatte ein deutlich höheres Risiko, an Corona zu sterben (Mortalitätsrate 51.2%), als jene 334, die ohne Herzschädigung und erhöhte Troponin-Werte blieben (Mortalitätsrate 4,5%). Nachzulesen ist das ebenfalls in „JAMA Cardiology“.
In einer weiteren Studie aus China mit 187 stationär behandelten Corona-Patienten zeigte sich, dass 52 von ihnen (27,8%) erhöhte Troponin-Werte aufwiesen, also von einem Schaden am Herzmuskel auszugehen war. Zwar lag die höchste Mortalitätsrate – erwartungsgemäß – in jener Gruppe mit Menschen, die erhöhte Troponin-Werte hatten und unter koronaren Vorerkrankungen litten (69,4%). Doch, so weist Dr. med. Robert Bonow in einem Editorial in „JAMA Cardiology“ hin, „beachtlich“ hoch war auch die Mortalitätsrate unter jenen, die zwar erhöhte Troponin-Werte, aber eben keine Vorerkrankungen am Herzen hatten (37,5%). Genau um einen solchen Fall handelte es sich ja bei der Betroffenen aus Italien. Er schreibt in diesem Zusammenhang auch von einem „wake-up call“, also einem Warnruf.
Auch interessant: So belastet Stress unser Herz-Kreislauf-System
Ist das Herz direkt oder indirekt von Corona betroffen?
Die Hauptfrage, die Mediziner noch beantworten müssen: Führte das Virus direkt zu Herzschäden bei den untersuchten Betroffenen oder war eine Schwächung des Herzens nur Folge bzw. Komplikation anderer durch Covid-19 ausgelöster Entzündungen? So oder so weisen Forscher wie Inciardi oder Bonow schon jetzt auf die Notwendigkeit hin, mögliche Herzschäden bei Corona-Infizierten auf dem Schirm zu haben. Allen voran bei Menschen mit koronaren Vorerkrankungen. Aber eben – wie der Fall der 53-jährigen Italienerin zeigt – nicht nur da. Vor diesem Hintergrund regt Inciardi die standardmäßige Messung von Troponinwerten bei Corona-Patienten an, um frühzeitig Herzschäden abzuwenden.
Auch interessant: Darum ist das Coronavirus auch ohne Symptome so ansteckend
Myokarditis Herzmuskelentzündung – Ursachen, Symptome, Behandlung
Experte zu Myokarditis-Risiko Kann eine Corona-Impfung zu einer Herzmuskelentzündung führen?
Neue Studie Corona-Impfung kann womöglich zu Herzvernarbung führen
Das sagt der Experte zu den beobachteten Fällen
Der Internist Dr. med. Matthias Riedl, Ärztlicher Direktor von medicum Hamburg, hält eine Verbindung zwischen Covid-19 und Herz-Komplikationen für durchaus plausibel, stellt aber auch klar, dass das nichts Corona-Spezifisches wäre. Gegenüber FITBOOK erklärt er: „Manche Viren haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Affinität zu Organen. Mumps betrifft vorrangig Ohrspeicheldrüse oder Hoden. Andere zeigen eine geringere wie Corona.“ Derzeit könne man davon ausgehen, dass diese Affinität zum Herzen nur mäßig ausgeprägt ist, sonst würde es häufiger auftreten. „Aber es tritt eben auf. Das kann aber bei einem Grippevirus genauso passieren“, erklärt Dr. Riedl weiter.
Dazu komme noch, dass jeder Mensch seine eigene „Bedrohungslage“ habe: „Manche Immunsysteme schützen uns nicht genug, so kommen die unterschiedlichen Verläufe zustande – unabhängig vom Alter.“ Und nicht jeder Mensch habe dieselbe organische Schwachstelle: „Jeder kennt das: Manche wissen, bei mir geht alles gleich in die Lunge. Andere bekommen hingegen leichter eine Myokarditis.“