11. Januar 2024, 18:41 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Spätestens seitdem die EU eine Verordnung gegen Wegwerf-Produkte aus Plastik erlassen will, ist auch das Thema Mikroplastik in aller Munde. Doch wie entsteht es, wo steckt es überall drin und wie können wir es vermeiden? FITBOOK hat erstaunliche und beunruhigende Erkenntnisse dazu gefunden.
Plastikmüll und die damit verbundene Verschmutzung der Meere ist ein großes Problem. 2023 verordnete die EU-Kommission ein neue Verordnung für Mikroplastik. „Durch ein Verbot von bewusst zugesetztem Mikroplastik wird ein ernstes Problem für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen angegangen. (…) Die heutige Beschränkung betrifft sehr kleine Partikel, sie ist aber ein großer Schritt zur Verringerung der vom Menschen verursachten Umweltverschmutzung“, sagte Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius nach der Festlegung.1 Der Grund: Kunststoffe zerfallen im Meer in immer kleinere Teilchen, bis daraus Mikroplastik wird, welches in unsere Nahrungskette gelangt. Doch die Gefahr an Land ist für Menschen noch größer.
Übersicht
Was ist Mikroplastik?
Während man zumindest große Plastikteile aussortieren und vermeiden kann, scheint das sogenannte Mikroplastik ein noch größeres Problem darzustellen. Laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) werden feste und unlösliche synthetische Polymere (Kunststoffe), die kleiner als fünf Millimeter sind, als Mikroplastik bezeichnet.2
Während sich die Teilchen im Millimeter-Bereich noch mit bloßem Auge als Körner wahrnehmen lassen, kann Mikroplastik auch im Mikrometer-Bereich liegen. So sind einige der Teilchen, die beispielsweise im Trinkwasser nachgewiesen wurden, nur fünf Mikrometer klein (0,005 Millimeter) und damit für das menschliche Auge nicht mehr wahrnehmbar.
Auch interessant: Große Mengen an Mikroplastik in Meeresfrüchten entdeckt
Die Entstehung von Mikroplastik
Zum einen wird Mikroplastik gezielt als Grundmaterial für die Kunststoffproduktion sowie für den Einsatz in Kosmetika wie beispielsweise Peelings, Cremes und Duschgels hergestellt. Man spricht hier von primärem Mikroplastik.
Zum anderen entsteht Mikroplastik beim Zerfallsprozess durch Witterung und mechanischem Abrieb von größeren Kunststoffteilen. Da Plastik sich nicht komplett zersetzt, werden die Teilchen einfach immer kleiner und verbleiben dann dauerhaft beispielsweise im Meer. Hier spricht man von sekundärem Mikroplastik.
Das Umwelt Bundesamt geht davon aus, dass „Mikroorganismen nicht in der Lage sind, Kunststoffe vollständig zu zersetzen. Bis zu 450 Jahre benötigen eine Kunststoffflasche oder eine Wegwerfwindel, bis sie sich zersetzt haben“.3
Auch interessant: Erschreckend! Bestimmte Lebensmittelverpackungen können zu Gewichtszunahme führen
Hier ist Mikroplastik überall enthalten
Nun kommt die richtig schlechte Nachricht: Mikroplastik ist fast überall enthalten, wo Kunststoffe vorkommen. Vor allem Meeresorganismen wie Plankton, Fische und Muscheln nehmen die kleinen Teilchen auf und können später durch den Verzehr von Fisch und Meeresfrüchten auf unseren Tellern landen.
Neue Studie über Mikroplastik
Nun hat eine neue Studie aufgedeckt, dass eine noch kleinere Variante des Mikroplastiks existiert. Das Nanoplastik soll sogar noch schädlicher sein!4 Forscher der University of California entwickelten eine hyperspektrale Bildgebungsplattform, welche es ermöglicht Mikro-Nanokunststoffe mit hoher chemischer Spezifität zu entdecken und analysieren. Diese Technologie verfeinerten sie so, dass einzelne Nanokunststoffe mit einer Geschwindigkeit von unter 100 Nanometern erkannt wurden.
Mit Hilfe dieser Technik untersuchte das Team das Trinkwasser aus Plastikflaschen und wurde fündig: Die Wissenschaftler konnten eine hohe Konzentration an Nanoplastik in dem Wasser feststellen. Ein Liter des Trinkwasser enthielt durchschnittlich etwa 240.000 nachweisbare Plastikfragmente. Diese Menge ist zehn bis 100 Mal höher als bei früheren Schätzungen der größeren Varianten des Plastiks.
Das erschreckende an dieser Erkenntnis: Nanokunststoffe sind so klein, dass sie bespielsweise über den Darm oder die Lunge direkt in unseren Blutkreislauf gelangen. Somit können sie in jedes Organ eindringen, auch in das Herz oder das Gehirn. Ihre geringe Größe ermöglicht es ihnen sogar, in Zellen zu gelangen. Über die Plazenta ist es zudem möglich, dass sich Nanokunststoffe auch in den Körper eines Ungeborenen schleichen.
Welche Auswirkung das Nanoplastik auf den Menschen und biologische Systeme genau hat, ist bisher noch nicht bekannt. Auch die Konzentration in anderen Lebensmitteln ist unklar.
Auch interessant: Lebensmittel: Fast alle Stoffe in Plastikverpackungen unbekannt
Kosmetik
Besonders unnötig, aber leider weit verbreitet, ist der gezielte Einsatz von Mikroplastik in der Kosmetikindustrie. Speziell Peeling-Produkte nutzen kleine Kunststoffpartikel zum Reinigen, aber auch in der Gesichts- und Haarpflege, bei Duschgels, Make-up und vielen anderen Körperpflege-Produkten werden Kunststoffe verwendet. Auch in Wasch- und Reinigungsmitteln kommt es zum Einsatz, da es als Schleif- bzw. Trübungsmittel dient.5 Allein deswegen lohnt sich der Wechsel zu zertifizierten Naturprodukten, die auf synthetische Inhaltsstoffe verzichten.
Auch interessant: Einweg-Becher schaden womöglich massiv der Gesundheit
Sogar Staub enthält Mikroplastik
Bis jetzt klingt es noch so, als ob Mikroplastik durch verschiedene Verhaltensweisen vermieden werden kann. Doch was oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass Mikroplastik auch in der Luft schwebt. Denn Kleidung, Decken, Teppiche und andere Textilien enthalten feine Kunstfasern, die sich nach und nach lösen und Teil des alltäglichen Staubes werden.
Textilien, Autoreifen und Lacke
Die Weltnaturschutzunion IUCN („Internationale Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen“) hat 2017 eine erschreckende Studie vorgestellt, die analysiert, wie Mikroplastik ins Meer gelangt.6 Dabei sind nicht Kosmetikprodukte die Hauptquelle, sondern vor allem Textilwäsche und Autoreifenabrieb. Von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich gelangt entweder mehr Mikroplastik bei Waschvorgängen aus Industrie und Haushalten ins Abwasser oder durch den Autoreifenabrieb im Verkehr in Gewässer und letztendlich auch ins Meer. An dritter Stelle rangieren Fahrbahnmarkierungen, gefolgt von Lacken und Farben, die zur Versiegelung von Schiffsrümpfen genutzt werden. Erst an fünfter Stelle kommt das Mikroplastik aus Kosmetika.
Auch interessant: Diese Länder vermüllen das Mittelmeer am meisten
Ist Mikroplastik gesundheitsschädlich?
Das ist momentan die große noch immer eine Frage, an der Forscher nach wie vor arbeiten. Allerdings werden eine ganze Reihe von Erkrankungen mit dem Mikroplastik in Verbindung gebracht: Unter anderem begünstig es Brustkrebs, Unfruchtbarkeit, verfrühte Pubertät, Fettleibigkeit, Allergien und Diabetes.7 Eine gewisse Entwarnung gibt Nadja Ziebarth, Leiterin des Meeresschutzbüros vom BUND zumindest für den Verzehr von Fisch: „Wenn wir Fisch essen, verspeisen wir den Magen nicht mit. Das heißt, wir nehmen das Mikroplastik nicht direkt auf.“
Ziebarth geht davon aus, dass im besten Fall körnchengroße Partikel den Körper über den Magen-Darm-Trakt passieren und ausgeschieden werden. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schätzt das Gesundheitsrisiko für größere Partikel, die aus Kosmetika stammen als eher gering ein: „Dass sich während der Passage durch den Magen-Darm-Trakt gesundheitlich relevante Mengen an Ethylen aus den Polyethylen-Mikrokunststoffpartikeln freisetzen, ist aus Sicht des BfR unwahrscheinlich.“ Laut dem BfR sei beim Gebrauch von Kosmetika aufgrund der verwendeten Mikroplastikgröße eine Aufnahme über die gesunde und intakte Haut nicht zu erwarten.
Zellschädigung durch Mikroplastik
Der BUND trug 2021 Studienergebnisse zusammen, dass das Mikroplastik dazu im Stande ist, Bakterien zu transportieren und auch menschliche Zellen zu schädigen.8 Wie Forscher feststellten kann Mikroplastik die Zellmembran so weit dehnen, bis sie sich auflöst, indem sich kleine Kügelchen mit einer Größe von 1 bis 10 Mikrometern des Kunstoffpartikels an die Membran haften. Die Wissenschaftler warnen deshalb davor, dass das Plastik die Lebensdauer der Membran stark verringert und Funktionsstörungen der Zellen hervorruft.
Auch interessant: Experten warnen vor Schadstoffen in Papier-Trinkhalmen
So vermeiden Sie Mikroplastik
Der Menschen kann einen gewissen Einfluss darauf nehmen, wie viel von dem gesundheitsschädlichen Mikroplastik tagtäglich direkt oder indirekt entsteht. Es ist schwierig, Kunststoffe komplett aus dem Alltag zu verbannen, aber die immense Verweildauer von mehreren Hundert Jahren ist erschreckend. Ebenso die Tatsache, dass sie nach und nach zu Mikroplastik bzw. Nanoplastik zerfallen, der dann in unserem Körper landen kann.
Folgende Tipps sollten Sie beachten
- Verzicht auf Kosmetik mit synthetischen Kunststoffverbindungen. Denn zum einen schmiert man sich das Mikroplastik direkt auf den Körper und zum anderen landet es durch das Waschen im Abwasser und später in natürlichen Gewässern. Woran Sie derartige Produkte finden können, erfahren Sie hier.
- Beim Kauf von Kleidung und anderen Textilien sollte man zu Baumwollprodukten und Stoffen aus Naturfaser greifen oder zumindest darauf achten, dass sie einen sehr geringen Kunstfaseranteil haben. Denn bei jedem Waschgang gelangen Mikrokunstfasern ins Abwasser. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass sich diese Mikrofasern beim Gebrauch der Textilien lösen und wir sie dann einatmen oder mit dem Essen aufnehmen.
- Auf Getränke aus Kunststoffflaschen verzichten und zu Glasflaschen greifen. Auch Leitungswasser enthält meistens weniger Mikroplastik als Wasser aus Mehrwegflaschen.
- Wenn möglich auf Plastik verzichten. Letztendlich sollte man sich bei jedem Kauf fragen, ob es ein Produkt aus Kunststoff sein muss oder ob es eine umweltfreundliche Alternative gibt. Das gilt insbesondere für Wegwerfgegenstände, Verpackungen, Tüten, Flaschen, Küchenutensilien, Textilien und für Haushaltsgegenstände.
- Schmeißen Sie keinen Müll in die Landschaft.
- Fahren Sie so wenig Auto wie möglich.